Das Halbmondamulett.. Jens Petersen

Das Halbmondamulett. - Jens Petersen


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oder wurde als Baumaterial verwandt. Der Welthandel ging nun andere Wege, auf Straßen, die weitab durch nördliche Länder führten. Auch die Zentren der Macht lagen Tausende von Kilometern entfernt und jenseits der Wüste in Damaskus und Baghdad. Südarabien war zur abgelegenen, bedeutungslosen Provinz geworden. Der neue Name für das ganze Land drückte genau dieses aus: Jemen, was hieß "rechts", rechts von Mekka, wovon sonst?

      Es wurde jetzt zu einem sonderbaren Land am Rande der Welt. Jahrtausende von Kultur und Geschichte ließen sich nicht einfach in die Verbannung schicken. Heimliche Kultstätten, Relikte alter Riten und Bräuche hielten sich weit länger als irgendwo sonst. Große jüdische Gemeinden konservierten ihr Eigenleben, abgeschnitten von ihren Glaubensbrüdern in der übrigen Welt, bis sie getreu der Verheißung auf Adlerschwingen nach Israel heimgeflogen wurden. Unangefochten lebten christliche Minderheiten, bis sie auf noch ungeklärte Weise verschwanden. Der Reste alter Städte, Staudämme, Bergwerke, Opfersteine und Burgen waren weit mehr, als selbst Generationen abtragen konnten. Manche bedeckte der Wind mit dem Sand der Wüste. Die Bewohner hegten den Glauben an Geister oder an märchenhafte Schätze darin, und argwöhnten allen Fremden, die sich ihnen auch nur näherten. Überhaupt Fremde, besser sie blieben fern, brachten sie doch nur Probleme. Wie sollte man gemäß dem Gastrecht für ihre Sicherheit bürgen, wo man doch des eigenen Lebens nicht mehr sicher war? Das Land war zerrissen und in den Händen von unzähligen kleinen Herren, deren Macht meist nicht weiter reichte als der Blick von den Zinnen ihres Husn. Gar zu viele suchten ihren Lebensunterhalt im Raub. Die Geschichte war im Lande „Rechts von Mekka“ stehen geblieben. Den Imamen der Zaiditen, einer schiitischen Sekte, war es gelungen, für sich eine Erbmonarchie zu etablieren. Mit jenem religiösen Eifer, der sich stets so gern mit dem Abscheu gegen alles Fremde und Neue verbindet, bewahrten sie im Jemen nahezu unverändertes orientalisches Mittelalter.

      Der Nimbus des mysteriösen, verbotenen Landes hatte die Vorstellung fremder Autoren und Leser mit diversen Geheimnissen bestückt. Von den tatsächlichen wurden einige durch Berichte bekannt, nur wenige näher besehen. Die meisten Fundorte waren nur nach dem Hörensagen in Karten eingetragen, bestenfalls flüchtig besehen, oft unter Lebensgefahr in Eile notiert und skizziert.

      Jetzt hellwach, bemerkte ich, dass der Zug zum Stehen gekommen war. Der Staub hatte sich gelegt, und das Licht eines anderen Morgens drängte durch die Türen. Atbara hieß die Station, wie der Nebenfluss des Nils, an dem sie lag.

      Was als Reiseziel immer noch sehr weit von der Verwirklichung entfernt lag, jenseits vielerlei Hindernisse und Unwägbarkeiten, bislang nur durch Lektüre angeheizte Phantasie, tauchte am Ausgang dieser Traumbilder als Gewissheit auf. Irgendetwas hatte sich verändert, folgte einem unsichtbaren Ablauf. Die Inhalte dieser Bilder bewegten sich auf mich zu.

      Es sah so aus, als kämen auch die jüngsten Ereignisse meinen Plänen entgegen. Im September 1962 holte die Revolution den Jemen aus der Versenkung eines tausendjährigen Dornröschenschlafes. Es ging nicht allein um die Beseitigung einer despotischen Monarchie, es ging auch um den Anschluss an die Neuzeit und die Außenwelt. Lebte doch das Land Rechts von Mekka absichtlich völlig isoliert, betrieb kaum Außenhandel, und hatte nur in wenigen Hauptstädten der Welt eine diplomatische Vertretung. Es führte sein introvertiertes Eigenleben, der Weltpolitik abgekehrt. Lediglich die Engländer besetzten 1839 Aden, den wichtigsten Hafen und verhalfen einigen Dutzend kleiner Sultane und Scheichs im südlichen und südöstlichen Landesteil zu bevormundeter Unabhängigkeit.

      Am Nachmittag erreichten wir Kassala, Endpunkt der Strecke. Die zackigen Berge über der Silhouette der Stadt gehörten schon zu Äthiopien.

      Der zweite Wächter

      Beabsichtigte man in einem orientalischen oder afrikanischen Städtchen einen größeren Verkauf zu tätigen, so war die einfachste Methode: Man erzählte davon einigen Leuten, sodann brauchte man nur noch zu warten, wie alles seinen Lauf nahm. Die, schon bald eintreffenden Interessenten, ließen sich klar in drei Kategorien einteilen. Die erste bestand aus Neugierigen, die zweite aus Angebern, die weder die Absicht noch die Mittel zum Kauf hatten, dafür aber gleich alle Freunde und Bekannten mitbrachten, denen sie imponieren wollten. Die dritte Gruppe waren Interessenten, die allerdings die Hoffnung hegten, das Auto mehr oder weniger geschenkt zu bekommen. Abdul jedoch, Besitzer mehrerer Fahrzeuge und einer Garage, hatte sowohl die Mittel, als auch ein gesundes Geschäftsinteresse.

      Bevor wir überhaupt uns anschickten über den Preis zu reden, bat er darum, den Wagen in seiner Garage untersuchen zu lassen. Er fand meine Angaben von seinem Mechaniker bestätigt. Die Verhandlungen zogen sich dann gemächlich über den Nachmittag und den ganzen Abend hin. Eine meiner Bedingungen war von vornherein: Abdul übernahm den Zoll, was hieß die Gebühren sowie alles, was sonst damit zusammenhing.

      Pünktlich am nächsten Morgen erschien Abdul, um mit mir zur Zollstation zu fahren. Etwas leichtsinnig hatte ich mich von 0-Chang, Hermann und Bernd verabschiedet, die eine günstige Fahrgelegenheit nach Asmara wahrnahmen, wo wir uns wiedertreffen wollten. Die Zollstation, ein schlichtes ebenerdiges Gebäude, befand sich, wie bei Ämtern üblich, im Zustand der Belagerung. Dabei hatten die wenigsten etwas mit dem Zoll zu schaffen, sondern warteten auf irgendwen oder irgendwas, oft auch darauf ihre Dienste anbieten zu können oder waren einfach nur Publikum, welches sich an diesem Ort die Zeit vertrieb und gelegentliche Unterhaltung versprach. Wir fuhren in den Hof hinein, stellten den Wagen gut sichtbar ab und gingen geradewegs durch das frisch erwachte Interesse der Menge ins Büro.

      Eines war leider sofort deutlich: Der hier hofhaltende Beamte war von der unangenehmsten Kategorie. Es gibt sozusagen die Passiv-Korrupten, meist von einem Flair gutmütiger Trägheit umgeben, die bei entsprechender finanzieller Aufmunterung ihr phlegmatisches Naturell überwinden und Dinge möglich machen, nach denen ihnen sonst gerade nicht so wäre. Die Aktiv-Korrupten dagegen, zu denen eindeutig dieser gehörte, bieten sich nicht zur Überwindung irgendwelcher Probleme an, sondern sie schaffen erst einmal solche. Und die können sehr violent sein, über Drohungen bis hin zu Beschlagnahmen und Verhaftungen. In gewisser Weise sind diese Art Beamte wesensverwandt mit Schutzgelderpressern, denn auch sie bieten gegen Bezahlung Schutz an, vor nichts anderem als vor sich selbst. Und damit das als Notwendigkeit auch begriffen wird, heißt es erst einmal zu zeigen, wie gefährlich man sein kann. Wie den meisten seiner Spezies sah man es auch diesem nur zu deutlich an. Alles an ihm, Haltung, Rede, Gestik war herrisch, herablassend, aburteilend. Jeder vor ihm Stehende hatte sich von vornherein eines schweren Vergehens schuldig gemacht. Die Tatsache, dass er selber keine Ahnung davon hatte, konnte natürlich nicht den geringsten Einfluss auf die zu erwartende Verdammung haben. Unwissenheit schützt bekanntlich vor Strafe nicht. Eine eventuelle Linderung war nur auf dem Wege der Gnade zu erhoffen, und die hatte ihren Preis.

      Ich wünschte in diesem Moment, ich säße auch unbeschwert im Wagen nach Asmara. Wieso blieb es den anderen erspart an diesem zweiten Wächter, denn als nichts anderes erwies er sich, vorbei zu müssen? Erst sehr viel später, seit dem Erlebnis in Debre Damo, begann es mir zu dämmern; unsere Wege trennten sich schon hier, auch wenn wir weiterhin auf den gleichen Wegen und Straßen einher fuhren. Wie sollte es auch anders sein, jeder konnte nur seinen ihm ganz eigenen verfolgen. Das hieß nicht, es würde nicht hin und wieder Punkte der Begegnung, oder wie z.B. später mit Hermann, längere Strecken gemeinsamen Weges geben. Auf der Zollstation in Tessinei war mir dies alles noch längst nicht klar. Nur soviel begriff ich und das wurde auf höchst unangenehme Art immer deutlicher, dass ich hier allein mit dem zweiten Wächter konfrontiert war. Und wie es in den Erzählungen üblicherweise heißt, war er "weit schrecklicher als der erste". War jener, um die beliebte Floskel anzuwenden, "streng aber gerecht" und obendrein gar noch ein wenig wohlwollend, so erschien dieser bösartig und sich an keine der bekannten Regeln zu halten. Trotzdem musste er irgendwo berechenbar sein. Das herauszufinden musste ich mich verdammt beeilen, wollte ich nicht an ihm scheitern. Im Gegensatz zum ersten Hindernis, war ich hier auf mich allein gestellt, und selbst ein möglicher Rückweg blieb verschlossen. Auch wurde mir bald klar: Ein Kampf blieb mir diesmal nicht erspart. Das Glück sollte mir jedoch erstens zu einem mächtigen Verbündeten im Hintergrund verhelfen und zweitens zum rechtzeitigen Erkennen der Schwäche meines Gegners. So konnte ich schon sehr bald die richtige Waffenart wählen: Die Lächerlichkeit.

      Nachdem


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