Das Halbmondamulett.. Jens Petersen

Das Halbmondamulett. - Jens Petersen


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und tapste weiter, in einer bestimmten Folge, einer Art Rhythmus. Wir versuchten dem Phänomen auf den Grund zu gehen. Endlich hinter einer umgefallenen Mauer auf der Rückseite war uns ein Einblick in das Gebäude gewährt. Es war leer und nur mit einem Berg von Steinen in der Mitte angefüllt. Nach oben schaute man in den offenen Himmel. Die Ansätze ringsherum an den Innenmauern zeigten, wo Dach und Stockwerke durchgebrochen waren. Auf diesem Geröll stapften einige Ziegen herum und mümmelten an den unmöglichsten Materialien, immer drei, vier Schritte vorantapsend und eine Kette hinter sich herschleifend. Aber wie kamen diese Ziegen hierher, und wem mochten sie gehören? Unsere Rufe blieben wieder unbeantwortet. Die Ketten waren nicht angepflockt, möglich wäre also auch, dass sich die Tiere irgendwo am Festland losgerissen hatten.

      Also wieder nichts mit Dschinns? Jedem ist dieses ganz bestimmte Gefühl im Nacken bekannt, beobachtet zu werden. Dreht man sich schnell genug um, so ertappt man den fixierenden Blick. Dabei folgt man mehr einer schwer zu beschreibenden plötzlichen Intuition als einer bewussten Wahrnehmung. Gleichwie es funktioniert. Hier blieb noch so rasches Umdrehen ergebnislos. Nur wurden wir dieses mulmige Gefühl im Nacken nicht los. Wir rätselten darüber:

      „Gut möglich, dass hier Menschen Unterschlupf fanden, die Gründe haben, nicht gesehen werden zu wollen.“

      „Wenn dem so ist“,

      überlegte O-Chang,

      „dann wäre gut denkbar, dass sie auch das ihre dazu getan haben, andere an Dschinns glauben zu lassen.“

      „Das hieße für uns auf der Hut zu sein. Wenigstens wissen die Fischer Bescheid und würden die Polizei benachrichtigen.“

      „Hast du schon ’mal überlegt, wo eine ist? Wahrscheinlich wäre die nächste in Port Sudan, und bis die hier ist, das kann dauern.“

      Leere und Stille wollten auch uns glauben lassen, wir wären abgesehen von einigen Ziegen die einzigen Lebewesen in dieser Stadt. Nichts anderes war zu hören, als das gelegentliche Knacken alter Gemäuer und das Stöhnen des Windes, keinerlei Anzeichen, sei es von Mensch oder Dschinn.

      „He, seht mal“,

      rief Bernd aufgeregt. Als wir uns umdrehten, war nichts zu sehen, die Erscheinung offenbar schon verschwunden. Jedenfalls behauptete unser Freund eine nahe vorbeisegelnde Dhau gesehen zu haben, das Deck eng gedrängt voller Menschen. Sie wäre für einen Moment am Ende der Straße aufgetaucht, fast schon die Häuser streifend, hinter denen sie sofort wieder verschwand. Als wir dann endlich, über mehrere Steinhaufen kletternd, am Ende der Straße angelangt waren, sahen wir tatsächlich nur einen Steinwurf entfernt eine Dhau. Ruhig und verlassen dümpelte sie auf dem Wasser, am Kai vertäut, als läge sie hier schon lange. Nur, kein Mensch war zu sehen. Wir traten näher heran, riefen hinüber und in die gegenüberliegender Häuser, die ebenso fest verschlossen waren wie alle anderen. Nichts rührte sich, kein Laut war zu hören. Wir schauten Bernd an.

      „Ich weiß doch, was ich gesehen habe! Sie war zumindest auf dem Deck brechend voll mit Menschen.“

      Er ereiferte sich:

      „Außerdem könnte die doch nie allein hier anlegen und festmachen. Da muss wenigstens einer am Ruder sein, einer mit dem Tampen an Land springen.“

      „Ist gut, Bernd, wissen wir und glauben wir dir. - Nur wo sind die alle so plötzlich geblieben?“

      Auch weiteres Suchen und Rufen brachte keine Lösung dieses Rätsels. An Bord unter Deck waren diese Menschen jedenfalls nicht mehr, soweit konnte man durch die Luken sehen. Die Dhau lag direkt am Ufer und man hatte an mehreren Stellen guten Einblick in den Innenraum. Es war keine Planke zum Kai gelegt. Die einzige Verbindung war das Seil, mit dem sie angetäut war. Wir hätten daran hinüber hanteln können, verzichteten aber auf diesen etwas akrobatischen Akt, denn wir waren uns sicher, dass sich niemand mehr an Bord befand. Schließlich würde man von so vielen Menschen auch irgendwelche Geräusche hören. Nur wo waren sie? Sie müssten alle in Windeseile an Land gegangen sein. Ja und, was dann? Und überhaupt, wozu diese ungewöhnliche Eile? Nach Bernds Schätzung müssten es etwa zwanzig Personen gewesen sein. Wir überlegten: Weggefahren könnten sie nicht sein, dazu waren die Gassen an vielen Stellen entschieden zu eng und teilweise auch noch durch Schutt und einstürzendes Mauerwerk blockiert. Außerdem hätten wir in dieser Stille jedes Motorgeräusch gehört. Das galt auch für ein eventuelles Motorboot. Selbst zu Fuß könnten sie kaum so schnell und geräuschlos verschwunden sein. Sie hatten sich einfach in Luft aufgelöst. Gut, wir werden auf alle Fälle bei unserer Rückkehr die Fischer fragen, schließlich haben die den einzigen Zugang im Auge. Seltsam, wir waren uns sicher, dass wir dort nichts erfahren würden. Eigentlich blieb allein die Möglichkeit, dass alle ziemlich hastig in einem der nächstgelegenen Häuser verschwunden waren. Nur warum diese Eile und dieses sich verbergen? Kein Laut drang aus den fest verschlossenen Mauern. O-Chang sagte, was wir alle dachten: „Genau betrachtet lässt dieses Rätsel nur eine Erklärung zu: Irgendwer hatte da etwas zu verbergen und nicht mit unserer Anwesenheit gerechnet, meinte vermutlich, wir hätten schon viel zu viel gesehen.“

      „Ein Geisterschiff voll mit Dschinns, die sich jetzt schnell unsichtbar machen",

      spottete Bernd.

      „Sehr witzig! Vielleicht war es sogar unser Glück, dass wir nicht mehr gesehen haben. Lasst uns lieber eilen, dass wir weiter kommen!“

      Dennoch die Dhau voller Menschen, die so unerklärlich schnell verschwunden waren, hatten wir damit nicht abgeschüttelt.

      Am anderen Ende setzten wir uns auf die warmen Kantsteine der Kaimauer und ließen den Blick über das Wasser gleiten. Eine Durchfahrt zwischen zwei flachen, kargen Sandzungen war zu sehen, dahinter das offene Meer. „Tor der Tränen“,

      wie immer noch der Ausgang des Roten Meeres genannt wurde, wäre für diesen ebenso zutreffend. Wir starrten auf das glasklare Wasser. Vermutlich hingen wir alle vier ähnlichen Gedanken nach, über das Auf und Ab des Schicksals, bei Städten nicht anders als bei Individuen. Was immer wir hier erwartet hatten, es trat nicht in Erscheinung.

      „Wenn möglicherweise irgendwer hinter den Gerüchten stecken mochte, so hielt er sich gut bedeckt“,

      sinnierte Hermann.

      „Auch wenn wenn hier vielleicht seltsame Dinge vor sich gehen, Geister bleiben, zumindest vorerst und für uns, das was sie schon immer waren: nichts als Projektionen.“

      „Es sei denn, man sieht sie weniger persönlich, dafür aber als Personifikationen von etwas ganz anderem“,

      warf ich ein.

      „So wie gewisse Projekte, bei denen man nicht umdenken kann?“

      „Du sagst es.“

      Derlei Gedanken kamen an diesem Ort ungerufen. Sie kamen auf leichten Füßen und scheinbar von nirgendwo, wie die kleinen Wellen unter herab baumelnden Beinen, die beschwingt und glucksend gegen den dicken Muschelbelag der Ufersteine schwappten. Es war dieses Stillsitzen, an nichts denken und nur die Bewegung des Wassers betrachten, was es diesen leichten Gedankenwellen ermöglichte mich zu erreichen. Der Zeitpunkt schien angebracht, die Suche nach einer gewissen Sorte anderer Geister fortzusetzen. Kindisch und nach einem nicht gerade bewährten Verhaltensmuster hatte ich mich in dieser Unternehmung festgefahren. Als sie nicht ablaufen wollte wie geplant, war ich mit geschlossenen Augen losgerannt und mit dem Kopf durch die Wand, nichts anderes in der Hand als die Hoffnung, diese Wand möge dünn genug sein. Daumen drücken allein hatte sich als nicht ausreichend erwiesen. Jetzt saß ich mit dem Kopf in der Wand fest. Die bewaffneten Kamelreiter hatten uns zu der Grenzstation Halaib gebracht. Auch wenn die anfängliche Aufregung sich bald gelegt hatte, so bestand kein Zweifel, dass wir wegen illegaler Einreise verhaftet waren. Nach Port Sudan gebracht und dem dortigen Kommandanten vorgeführt, drohte uns eine Anklage und womöglich ein Aufenthalt in hiesigen Gefängnissen, von denen es hiess, dass nur wenige sie wieder gesund verliessen. Anschließend würde man uns dorthin abschieben, wo wir vor vierzehn Tagen schon einmal waren. Höchste Zeit selber zu handeln!

      Während der Wartetage auf eine Entscheidung hatte man uns diesen Ausflug gestattet, unsere Pässe in Verwahrung und wohl wissend, dass nach diesen


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