Das Halbmondamulett.. Jens Petersen

Das Halbmondamulett. - Jens Petersen


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an niederes Dornengestrüpp oder in flache Bodensenken. Der Horizont vor uns ging unter im Flimmern, und in sich ständig wieder entziehenden Luftseen. Stumm in Wachträumen versunken verdämmerten wir den Tag. „Wenn man es recht überlegt“,

      unterbrach O-Chang die dösende Stille,

      „so müssen wir ja ganz schön zugenagelt sein.“

      „Wie meinst du?“

      „Hast du dir schon mal überlegt, was passiert, wenn wir hier ´ne Panne haben, oder hoffnungslos im Sand festsitzen? Auf dieser einsamen Route kann es Monate dauern, bis wer vorbeikommt.“

      „Was ist mit Suchaktion?“

      „Wer denn? Wir haben doch selber dafür gesorgt, dass niemand weiß, dass wir hier sind.“

      „Die Ägypter wissen es.“

      „Die werden nicht gerade in Laune sein, so wie wir die verladen haben. Außerdem sind wir schon nicht mehr auf ihrem Hoheitsgebiet.“

      „Es wird ohnehin kommen, wie es kommt“,

      sagte ich.

      „In letzter Zeit habe ich immer mehr den Eindruck, als passieren die Dinge mit uns, gleichgültig, was wir tun oder wollen.“

      „Das geht mir auch so“,

      meldete sich jetzt Bernd,

      „diese Wüste ist irgendwie eine andere Wirklichkeit. Und wisst ihr was noch? Ich werde den Eindruck nicht los, als ob mit jedem Kilometer nicht nur unser Ziel näher kommt, sondern auch unser Traum greifbarer wird.“ „Ja, ich glaube, extreme Reisen tun so etwas, sie verändern die gewohnte Realität, und die Wüste tut das ihrige.“

      „Was wir sonst daheim für Realität halten“,

      überlegte O-Chang,

      „kommt mir sowieso vor, wie eine Bandschleife, die sicheren Boden

      unter den Füßen suggerierren soll.“ „Genau, und das Reisen hilft, ein wenig Korrektur daran vorzunehmen.“

      „Was unser Ziel betrifft“,

      mischte ich mich ein,

      „sind wir ja noch viel mehr bereit,

      den Sprung ins Ungewisse zu wagen. In ein rätselhaftes Land, abgeschlossen vom Rest der Welt und in einer ganz anderen Zeit lebend.“

      „Erst einmal müssen wir überhaupt bis dorthin durchkommen.“

      Unterbrochen wurden derlei Spekulationen, weil Bernd gerade verbissen und mit Vollgas auf eine breite Sandbank zusteuerte. Diesmal reichte der Schwung nicht, er musste immer weiter herunterschalten.

      „Raus“,

      brüllte er, als er den ersten Gang einschob. 0-Chang und ich sprangen ab, rannten hinterher und schoben. Auch das half nicht lange. Der Wagen saß im Sand fest. Nichts anderes blieb übrig, als Fuß vom Gas und Motor aus. Jeder weitere Versuch würde ihn nicht vorwärts bringen, sondern nur noch tiefer eingraben. Jetzt mußten wir Steine unter die Achsenmitte legen und schweißgebadet die Räder frei schaufeln, sowie zwei mählich ansteigende Gräben bis zum ebenen Boden, in die wir die Sandleitern auslegten.

      Bernd mußte nun ganz behutsam anfahren und, sobald er sich einmal vorwärts bewegte, versuchen immer mehr an Fahrt zu gewinnen, um erst wieder anzuhalten, wenn er festen Boden unter den Rädern wußte, gleichgültig wie weit er uns dabei zurück ließ.

      Als die Sonne dem Horizont nahte, hielten wir an. Wegen der Hitze wäre es zwar angenehmer nachts zu reisen, wie Karawanen es gerne taten, aber wir hätte uns dabei zu leicht verfahren oder in einen Wadi stürzen können.

      Während Bernd den Motor entsandete und den Ölfilter reinigte, bauten wir anderen das Lager auf. Die knappe Spanne zwischen Sonnenuntergang und völliger Dunkelheit ließ in kurzer Folge die grandiosesten Schauspiele erleben. Der Dunst und das Flimmern des Tages hatten sich aufgelöst, die Sicht wurde glasklar, und die Landschaft gewann an Weite. Es war als dehnte der Raum sich aus, wurde durch die Stille noch majestätischer. Chamäleonartig färbte sich dann alles von orange bis blutrot, und binnen weniger Minuten war es dunkel.

      „Heute Abend können wir unbesorgt ein Feuer anzünden“,

      schlug ich vor.

      „Genau“,

      meinte Hermann,

      „ein Topf Tee und 'ne warme Mahlzeit wären jetzt angesagt. Ziemlich sicher, dass wir hier im Umkreis von wenigstens hundert Kilometern allein sind.“

      „Gute Idee, was gibt´s denn heute?“

      „Tüten-Erbsensuppe surprise an Saucissones fines aus hauseigener Konservendose.“

      „Pst!“

      „Hört ihr das auch?“

      flüsterte 0-Chang. Schlagartig brach das Gespräch ab und alle horchten.

      „Ich höre da Stimmen“,

      wisperte Hermann und Bernd nickte. Alle drei sprangen auf und suchten die Umgebung ab. So dunkel war es nun doch nicht. Man konnte ein relativ weites Umfeld überblicken. Das Gelände zeigte nur leichte Sandwellen, keine größeren Sträucher oder Steine, hinter denen man sich verbergen könnte.

      Ich war als einziger sitzen geblieben. Nach einer Weile kamen sie etwas verwirrt zurück.

      „Hast du die Stimmen nicht gehört?“

      „Doch.“

      „Und?“

      „Ich hab so was schon mehrmals erlebt, in der Sahara.“

      „So wie die Stimmen waren, hätten sie ganz in unserer Nähe sein müssen. Aber da war weit und breit niemand." „Ich weiß. Ziemlich sicher, dass wir tatsächlich im Umkreis von mehr als hundert Kilometern allein sind.“

      „Und? Was ist das denn?“

      „Das hat mir bislang noch niemand sagen können. Nur dass es eines der Phänomene ist, die einem in der Wüste begegnen.“

      „Unheimlich - wundert einem nicht, wenn die Leute an Geister glauben.“

      Die Wüste erschien mir von der ersten Begegnung an, als ein magischer Ort anderer Realität. Begab man sich einmal dort hinein, so ließ man die gewohnte Welt hinter sich. Aber da war noch etwas anderes, unerklärliches, wahrnehmbar nur als eine Art Glücksgefühl. Es war, als fließe einem dort Energie zu, möglicherweise die Ursache der großen Anziehung, welche die Wüste immer wieder ausübt. Gar nicht denkbar wäre der Orient ohne die Wüste. Aller Zauber rührt ursprünglich daher. Erst die Wüste gibt den nötigen Hintergrund für das so ungemein farbige Gepränge, ist die wahre Quelle der üppigen Phantasie.

      Tagsüber sah ich sie diesmal nur an den geschlossenen Scheiben vorbeiziehen, bei offenen erwies sich der hereinfliegende Sand noch lästiger als die Hitze. Jetzt nach dem Abgang des Tages überkam mich das Verlangen hier allein zu sein. Als ich mich leise erhob, drangen aus den anderen drei Schlafsäcken nur noch ruhige, gleichmäßige Atemlaute. Der Boden, an dieser Stelle weich wie ein flauschiger Teppich, schluckte jedes Geräusch meiner Schritte. Nur wenige Minuten von Auto und Lagerstätte entfernt setzte ich mich auf eine der vielen Sandwellen.

      Erst des Nachts zeigte die Wüste ihre wahre Schönheit. Nichts lenkte mehr davon ab, kein Geräusch, kein Hitzeflimmern, nicht einmal ein Lufthauch. Der tägliche Jahrmarkt der Sinne mit seinem Gaukelspiel war verschwunden, hatte sich aufgelöst wie eine Luftspiegelung. Es gab nur noch Unendlichkeit. Alles um mich herum war Sternenhimmel, von einer nie gesehenen, unwirklichen Pracht. Zum ersten Mal ging mir auf, dass er in Wahrheit hinabreichte bis an den Boden, auf dem ich saß. Auch dieser letzte Rest Erdenkontakt schmälerte nicht die plötzliche Erkenntnis, mitten im Weltraum zu sitzen, gefolgt von der Einsicht, absolut allein zu sein, so allein wie man nur sein konnte. Nichts erinnerte mehr an vertraute Umgebung, auch Vorstellungen von Nähe und Gemeinschaft verflüchtigten sich als imaginär. Da war nur unermessliche schwarze


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