Das Halbmondamulett.. Jens Petersen

Das Halbmondamulett. - Jens Petersen


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Suakin. Wahrscheinlich Fischer, waren sie gerade mit Instandsetzungsarbeiten an umgedrehten Booten beschäftigt. Von ihnen hörten wir zum ersten Mal, dass in der alten Stadt Dschinns wohnten. Niemandem in diesen Breiten braucht man zu erläutern, was Dschinns sind. Wird doch schon kindliches Wohlverhalten mit dem Hinweis auf diese reguliert. Sie warnten uns, dort hinüber zu gehen. Um uns zu vergewissern, dass es nicht nur Gerede sei, machten wir die Probe und boten ein verlockendes Backschisch für eine Führung. Nicht dass sie unwillig oder gar unfreundlich waren. Es war nur so, dass die Furcht vor irgendetwas größer zu sein schien.

      Interessiert äugten wir hinüber. Drüben regte sich noch immer nichts. Nur eine Wasserstrasse trennte uns von der alten Stadt. Ein einziger Erddamm führte hinüber. Stumm und bewegungslos starrte uns ein Labyrinth von kalkweißen Mauerresten und Gebäudeteilen mit ihren leeren Fensterhöhlungen an, und spiegelte sich ebenso unbewegt im Wasser darunter. Nichts war daran, was an unsere Zeit erinnerte.

      „Was sollte schon sein?“,

      ermutigte O-Chang uns.

      „Es ist helllichter Tag, wir zu viert, und Geister, die haben sich bei genauerer Betrachtung, noch allemal als Projektionen erwiesen.“

      „Aber für alle Fälle“,

      fügte ich bei,

      „und falls die Natur der sogenannten Geister eine sehr diesseitige Erklärung haben sollte, bitten wir die Männer, wenn wir nicht bis zum Sonnenuntergangsgebet zurück sind, die Polizei zu rufen.“

      Reglos schauten sie uns nach, bis wir auf der anderen Seite in die Strasse hineingingen und die erste Biegung uns ihren Augen entzog. Ohne dass es darüber einer Absprache bedurfte, blieben wir eng zusammen. Schweigend und angespannt wachsam bewegten wir uns nach allen Seiten äugend in der Straßenmitte.

      Sobald wir von der Wasserfront fort waren, bemerkten wir mehr intakte Häuser. Alle jedoch hatten sie verschlossene Türen und Fenster. Außen an den Türen hingen große Vorhängeschlösser. Folglich mussten diese Häuser noch irgendwelche Besitzer haben, die aber nicht hier wohnten. Nirgends war auch nur ein lebendes Wesen auszumachen. Wir klopften an einige der Türen und riefen durch die Spalten im Holz hinein. Die einzige Antwort war manchmal der Widerhall unserer eigenen Stimmen von den nackten Wänden.

      „Eigentlich ist es eine sehr schöne Stadt von eigenartigem Reiz und verdiente als ganzes erhalten zu werden“,

      sinnierte ich. Unbeachtet blätterte der Putz von den Mauern, Risse bildeten sich und Teile der Wände stürzten ein. Manche mit Steinhaufen angefüllten Lücken zeigten, dass hier der Verfall schon vollendet war. Einstiger Reichtum war unverkennbar an den prächtigen, manchmal palastartigen Häusern. Die meisten besaßen schöne Ornamentverzierungen. Erlesene Muschrabien, von denen die schützende Farbe herabgerieselt war, überragten die Strassen, und die Sonne ätzte das Holz trocken und rissig. Die Strasse mündete in einen Platz.

      „Hier waren ja wohl die Machthabenden zu Hause“,

      deutete Bernd auf zwei kleine, dicke Eisenmörser auf Holzlafetten zu beiden Seiten eines Portals. Die gegenüberliegende Seite des Platzes nahm die Hauptsmoschee ein mit einem achteckigen Minarett. Dazwischen ragten an den Wänden Stangen ins Leere, die wohl einmal einen Balkon trugen und immer wieder Haufen von Bausteinen. Beißende Sonne, salzige Luft und der stete Wind vom Meer trieben ihr unaufhaltsames Zerstörungswerk. Nur die Moschee wirkte wie unberührt davon. War sie soviel solider gebaut, oder kümmerte sich doch noch irgendwer um ihre Erhaltung? Auch sie erwies sich als abgeschlossen und von allen Seiten unzugänglich.

      Der große Reisende Ibn Batuta kam um 1350 mit dem Boot vom gegenüberliegenden Mekka hierher. Er schilderte die Gegend als ziemlich heiß und öde, in der nur Strauße, Gazellen und Wildesel hausten. Die Stadt Suakin hatte in ihrer Umgebung weder Wasser noch Getreideanbau, nicht einmal Bäume. Wenn die Wasservorräte in den Zisternen aufgebraucht waren, musste Nachschub von weit her auf Schiffen herbeigeholt werden. Dafür hatte die Stadt viele Ziegen und trieb Handel nach Mekka mit Fleisch, Milch, Gazellenfellen und Straußeneiern.

      In manchen Gassen mussten wir über Berge von Mauersteinen steigen um weiter zu kommen. Sie waren dicker als die bei uns üblichen Ziegel und nahezu quadratisch. Einige Muschrabien lagen dadurch jetzt in Augenhöhe. Einst sehr fein gearbeitet waren sie eine kostbare Miniaturarchitektur in Holz, die sich nun langsam und unbesehen auflöste. Ihre zierlichen Gitter für sehnsüchtige Blicke auf die Außenwelt gedacht, Trost für eingesperrte weibliche Augen und Seelen, denen wenigstens das Plaisir der Neugierde und der Träumerei belassen bleiben sollte.

      „Ich wollte schon immer mal wissen, was dahinter zu sehen ist.“

      Bernd kletterte auf einen Steinhaufen und drückte das Auge gegen die engen Maschen im Ornament eines der hölzernen Gitter.

      „Und? Was ist?“

      „Nichts. Sonst war es immer verboten, und jetzt, wo man 'mal reingucken kann, - nichts als Dunkelheit.“

      Ein idealer Naturhafen auf einer Insel in einer geschützten Bucht gelegen, war Suakin Jahrhunderte lang der Umschlagplatz für den Sudan, angelegt von den Arabern, ihren Händlern das Tor zu einem riesigen Hinterland. Ein Hinterland welches von ihnen zunehmend kolonisiert und auch missioniert wurde, lange vor den Europäern. Die frisch bekehrten Gläubigen pilgerten über Suakin gen Mekka. - Das heißt nicht alle sich hier einschiffenden Afrikaner waren Pilger und alles andere als freiwillig in Suakin.

      „Ja natürlich“,

      überkam es mich. Die anderen schauten mich verwundert an.

      „Was ist?“

      „Das Gerede von den Geistern. Wenn denn etwas Wahres daran sein sollte, an jenen Geistern, die man die Ruhelosen nennt. Jene, die so Grässliches erlitten, so unerträglich Grausames, dass sie weder unter der Erde noch auf dem Grunde des Meeres ihren Frieden fanden, dann allerdings hätte man Grund, an diesem Ort Geister zu fürchten.“

      Das Geheimnis für den Reichtum Suakins beruhte auf einer Kalkulation für dessen Sollseite Andere mit Verzweiflung und Tränen aufkamen. Ganze Dörfer und Stämme zogen in Hand- und Fußeisen an Ketten geschmiedet durch seine prächtigen Strassen zur Verladung in die Schiffe, überfallen und wie Vieh zusammengetrieben oder auch von eigenen skrupellosen Fürsten verschachert. Die, die solches taten und auch am Ende unter dem Schlussstrich den Profit zusammenzählten, sie saßen in Suakin und jenseits des Roten Meeres.

      „Biläd As-Sudan“,

      Land der Schwarzen, wie die Araber es nannten, musste über die Jahrhunderte ein schier endloses Menschenopfer erbringen. Unvorstellbare, ohnmächtige Wut muss sich an diesem Ort angesammelt haben, Schicksale, die nicht zur Ruhe gelangen konnten.- Nur mit Dschinns hatte das nichts zu tun, die waren etwas ganz anderes. Doch davon wusste ich zu dieser Zeit noch nichts.

      Winzige, kaum sichtbare Geister ganz anderer Art waren dazu bestimmt das vorgesehene Schicksal dieser reichen Stadt zu vollstrecken. Korallen mauerten langsam, aber unabwendbar die enge Passage zum offenen Meer zu. Immer kleinere Schiffe nur noch gelangten hindurch. Von 1904 bis 1908 wurde sechzig Kilometer weiter nördlich in einem bisher unbewohnten Küstenstreifen ein neuer Hafen und eine Stadt angelegt: Port Sudan. Eine Eisenbahnlinie von dort nach Khartoum machte die Entscheidung entgültig. Suakin war nur noch verblieben zu sterben. Nach und nach floh die Bevölkerung diesen offensichtlich verfluchten Ort. Lautlos und unaufhaltsam arbeitete die Zeit an seiner Auflösung.

      Alle zugleich hielten wir im Schritt inne, wie festgefroren im Augenblick der Bewegung und blickten uns fragend an. Es bedurfte keiner Worte, jeder sah, auch die Anderen hatten es gehört: Ein schleifendes Geräusch, metallisch wie von Ketten und ein Tapsen wie von Schritten. Bildeten wir uns das nur ein? Gar zu prompt war es unseren Gedanken gefolgt. Ja, zugegeben, der Ort hatte etwas Unheimliches und das Gerede über Geister tat das seinige dazu. Aber so weit sollte es nicht kommen, dass wir uns gehen ließen und uns selber etwas vormachten. Diese Appelle an die Vernunft wurden unterbrochen durch eine erneute Folge der gleichen Geräusche. Nun ja, erklärten wir uns selber, wir waren wohl schon so an die Stille gewohnt, dass etwas so natürliches wie Schritte uns als unnatürlich erschienen. Gut, aber was


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