Das Halbmondamulett.. Jens Petersen

Das Halbmondamulett. - Jens Petersen


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ich ihm 100 Piaster in die Hand legte, sagte ich:

      „Und jetzt will ich alles wissen, wer das war, wie er aussah, was er gesagt hat und so weiter.“

      „Nun ja, da kam gestern Abend, es war schon spät und sehr ruhig im Hotel, weil schon alle Gäste schliefen, da kam so ein Typ, ob er einer von euch war oder aus irgendeinem anderen Land des Westens, das kann ich nicht sagen. Jedenfalls sagte er, er wäre ein guter, alter Freund und es wäre eine riesige Wiedersehensfreude. Er wollte sofort zu euch hinauf. Aber das durfte ich nicht zulassen, das hätte mich meinen Job gekostet. Denn da habe ich vom Chef strikteste Anweisung, unter gar keinen Umständen jemanden, der kein Gast ist, hereinzulassen. Als dieser Typ das denn endlich eingesehen hatte und aufhörte mich damit zu bedrängen, gab er mir die 50 Piaster und wollte alles über euch wissen. Wie ihr heißt, woher ihr kommt, wie lange ihr hier bleibt, was ihr im Sudan wollt. Was ihr von Beruf seid, schien ihn besonders zu interessieren, denn er fragte mehrmals nach, ob ihr vielleicht für irgendeine Zeitung daheim arbeitet, oder für eine Regierung, ob ihr viel fotografiert und Notizen macht und derlei Dinge mehr. Schließlich meinte er dann, er würde am nächsten Tag wieder kommen, aber ich dürfte auf keinen Fall etwas sagen, denn es sollte eine große Überraschung sein.“

      „Karim, ich kann dich beruhigen, du hast nichts verraten. Im Gegenteil, es war richtig, dass du mir alles erzählt hast. Wenn er ein Freund von uns wäre, müsste er denn fragen, wie wir heißen, woher wir kommen und was wir von Beruf sind?

      „Das passt zu dem, was ich beobachtet hatte“,

      nickte Hermann.

      „So Rumsteher gibt es ja hier an jeder Ecke, und das fällt nicht weiter auf. Dieser stand immer auf der anderen Strassenseite und hatte unseren Hoteleingang im Auge. Hätte mir auch noch nichts dabei gedacht, wäre er nicht prompt uns gefolgt bis vor den Eingang der Kommandantur.“

      „Wenn der, oder sagen wir besser, wenn die wüssten, weshalb wir dort einkehren, könnten sie wahrscheinlich wesentlich ruhiger schlafen.“

      Zwei Tage später kam wieder ein Sergeant am Morgen ins Hotel und bat uns höflich, ihm in die Kommandantur zu folgen. Sein Chef hieß uns Platz nehmen und fragte, ob Tee willkommen sei. Dann wurde er ernst und sagte:

      „Wir haben uns entschieden und dieses ist jetzt endgültig. Es wird ihnen gestattet nach Äthiopien auszureisen mit der Auflage, dass sie mit der Eisenbahn bis zum Grenzort Kassala fahren und ihr Fahrzeug ebenfalls auf die Bahn verladen. Noch irgendwelche Einwände?“

      Nein, ganz und gar nicht. Er schickte den Sergeanten mit unseren Pässen und der Anordnung hinaus, die entsprechenden Vermerke hinein zu stempeln, während er mit uns noch ein wenig über unsere sudanesischen Eindrücke plauderte.

      Gleich hinter der Verladerampe der Bahnstation begann die Wüste. Schnurgerade durchteilten die beiden parallelen Linien der Schienen den Sand, bis sie sich am Horizont darin verloren. Erstmals seit längerer Zeit kam wieder diese erwartungsvolle Unruhe des Reisens auf.

      “Wo bleiben denn unsere Freunde“,

      sorgte sich O-Chang.

      „Vielleicht haben sie sich jetzt beruhigt, wo offensichtlich ist, dass wir abreisen.“

      „Jedenfalls sollten zwei von uns den ganzen Zug absuchen, sowie er in Fahrt ist.“

      Bernd und ich blieben zurück im höhlenartigen Halbdunkel des Waggons.

      „Kein weisses Gesicht im ganzen Zug“,

      berichteten die Beiden, als sie zurückkamen.

      Mit der Luft kamen bald nach der Abfahrt Unmengen von Staub herein, das Dämmerlicht noch mehr verdunkelnd. Schemenhaft nur waren die Umrisse der allernächsten Umgebung auszumachen. Gelegentliche tastende Erkundungsausflüge bis an die offenen Türen der Plattform, brachten keine neuen Erkenntnisse, es sei denn die, dass draußen nach wie vor gleißender Tag war. Nichts wies daraufhin, ob wir uns noch auf der gleichen Stelle bewegten oder vielleicht schon hundert Meilen weiter. Als Basis einer kilometerhoch in den Himmel aufsteigenden Staubsäule, schob sich der Zug durch endlose trockene Ebenen. Nur einmal, wie eine Einblendung von längst Vergangenem, oder auch von dem was uns noch erwartete, sah ich eine Gruppe von Bereschinje mit ihren Kamelen, die ersten wilden Nomaden. Diesen Staubgeborenen, ledrig dunkelbraun gegerbten konnte die Sonne nichts mehr anhaben. Marionettenhaft schwebten die eleganten Körper über den Sandboden, an der Holzstange über den Schultern wie aufgehängt, die Arme lose darüber geworfen. Staub hatte ihre krausen Haarwuschel eingepudert und war die Farbe ihrer losen Röcke. Lange Schwerter in roten Lederetuis baumelten an den Hüften, Relikte einer anderen Zeit.

      Ein Gefühl des Versinkens in der Leere übermannte mich, in einer Wüste der Empfindungen und Wahrnehmungen. Es tilgte jedes Maß für Zeitabläufe. Waren inzwischen Stunden, Wochen, Monate vergangen, oder befand ich mich in einem zeitlichen Stillstand? Erlebte ich jetzt, was immer schon die Wirklichkeit ausmachte, und war alles andere nur Einbildung? Tatsächlich verfing ich mich in derart absurden Grübeleien, bis mir wie eine plötzlich auftauchende Orientierungsmarke der Gedanke kam, dass es inzwischen Nacht geworden sein musste. Das Dämmerlicht war mittlerweile völlig von der Dunkelheit aufgesogen. Außer den Stößen der Räder, der zunehmend härter werdenden Holzpritsche und einer dem Schweiß überdrüssigen Kleidung, konnte ich nichts wahrnehmen. Die Fahrt glich einem nicht enden wollenden Fiebertraum. Der üblichen Anhaltspunkte verlustig, gingen meine Sinne immer mehr dazu über, ihr eigenes Programm einer irrealen Welt zu kreieren. Die Trennwände zwischen Wirklichkeit und Phantasie weichten auf. In diesem Zustand weder wach noch schlafend, vermochten traumartige Bilder an die Oberfläche zu gelangen. Bilder von dem, was mich die letzte Zeit so beschäftigt hatte: Die Reise ins Ungewisse, in ein verbotenes Land, in eine andere Zeit. Visionen, unbekannte Erscheinungen aus fernen Epochen jenseits dokumentierter Geschichte. Zeitalter, die sich sonst im Flimmern der Legenden verloren, zeigten sich in ungeahnter Pracht, reich an Geschehnissen, die unser Bewusstsein auf anderen Wegen nur vereinzelt und zaghaft erreichten in der Sprache längst vergessener Symbole. Verleugnete Gestalten aus Mythen und frühen Kapiteln der Überlieferung nahmen Konturen an, wurden zu Lebenden mit all der Vorläufigkeit des Menschseins. Dunkle Berge an denen die Regenwolken anlegten, Täler chaotischer Urwälder dazwischen, Vulkane am Rande der Sandmeere und blühende Gärten zu ihren Füssen. Langhaarige, braune Menschen, die den Mond anbeteten, imposante Bäume mit allerlei Zierrat behangen und auserwählte Steine solange mit Öl einrieben, bis sie den Glanz der Sonne wiedergaben. Sich noch der Zeiten unfassbarer Fruchtbarkeit erinnernd, da sie arglos waren wie die Tiere, huldigten sie dem Steinbock. Sein Gehörn war ihnen Symbol der gleichermaßen geformten Sichel des Mondes, magischer Garant für Regen, Fertilität, für Leben. Die Strenge der Wüste gemahnte sie ständig an die Ungewissheit des Weiterlebens, ein immer aufs neue erlangtes Geschenk. Tief standen sie in der Dankesschuld. Auch noch so viele Opfer vermochten diese nie aufzuwiegen.

      Voll Faszination beobachteten sie jene großen Tiere mit dem seltsamen Wuchs und den traurigen Augen, die immer wieder aus der Wüste auftauchten und als einzige Wesen Kenntnis zu haben schienen, von dem was jenseits diesem Ende der Welt vorging. Eines Tages waren diese Tiere gefangen, bezwungen und zugeritten, ihnen ein mürrisches Einlenken abgetrotzt, völlig unterwerfen sollten sie sich nie. Ausgerüstet mit zugenähten und abgedichteten Ziegenbälgen, die sich mit Wasser füllen ließen, hob die Zeit der großen Reisen an. Das geschah noch Hunderte von Generationen bevor andere im Norden begannen die Zeit aufzurechnen, ausgehend von dem fiktiven Geburtsjahr eines jener vielen Propheten. Jenseits der Wüsten entdeckten sie immer neue Länder, sogar neue Meere. Nach Monaten, manchmal Jahren kehrten die Karawanen zurück, beladen mit wundersamen Dingen, ohne die man sich schon bald ein Leben nicht mehr vorstellen konnte. Mit scharfem Blick spürten sie die Bedürfnisse und Begehrlichkeiten fremder Völker, entdeckten jenseits von Neugier und Abenteuer die Möglichkeiten des Lebensunterhaltes. Bislang unbekannter Reichtum an Gütern häufte sich an, aber auch Menschen in ungewohnter Anzahl und Nähe zusammenlebend in wundersamen Gebilden aus Lehm, Städte von denen nicht einmal mehr die Namen erhalten sind. Häuser wuchsen in den Himmel und Tempel aus kunstvoll behauenem Stein. Propheten, Magier erschienen und solche, die die Wahrheit suchten in der Beobachtung aller Dinge im Himmel und auf der Erde. Aber auch Hüter eines Wissens aus


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