Das Halbmondamulett.. Jens Petersen
dort angekommen sein. So weit zu hören war, blieb immer noch alles in tiefster Ruhe. Am Uferstrand gab es etliche Dhaus, die wegen Reparaturarbeiten an Land gezogen waren. Dazwischen standen Wrackteile und Bretter von Bauholz herum, aber auch Hütten, in denen Menschen wohnten einige mit Hunden. Hermann musste wohl Glück gehabt haben, konnte sich unbemerkt in einem abgeschirmten Winkel anziehen. Jedenfalls kam auch von dort kein beunruhigendes Geräusch herüber.
Inhalt
Jens Petersen
Das
Halbmondamulett
Zweihundert Tage in den Gegenden rechts des Verweilens
1. Verwehte Spuren
2. Die Stadt der Schinns
3. Der zweite Wächter
4. Geschichten und deren Verdich-
Tung
5. Das reine Licht der Höhe
6. Wegelagerer, Magier, Lustschlös-
ser und die Lust der Sprachlo-
sigkeit
7. Dämmerung der Zeitalter
8. Vier Patronen
9. Von modernen und alten Zeiten,
von Wein und Qat, dem siebenten
Propheten und den behaarten Bei-
nen der Königin
10. Auf der Suche nach der alten
Stadt Zufar
11. Das Gästehaus
12. Die Sache des Volkes
13. Sandkörner
14. Kain, der Wiederholungstäter
15. Der dritte Passagier
16. Magganon
17. Die Gärten des Hadramaut
18. Söhne des Weges
19. Leere
20. Al-Muhādschirūn
21. Ruhende und bewegte Steine
22. Die Hüter des Schatzes
23. Die Belagerung von Hureida
24. Der hundertneunundachtzigste Tag
"Wären da nicht die weiten Felder der Seele, es gäbe keine wirkliche Reise des Wandernden"
Ibn 'Ata Allah
Verwehte Spuren
Natürlich könnten wir immer noch umkehren und unbehelligt zurückfahren. Niemand hätte uns daran gehindert. Wußte doch niemand von unserer Anwesenheit hier, noch von unserem Vorhaben. Wir stellten den Motor ab. Die Stille hatte etwas Betäubendes. Wenige Meter vor uns endete die Straße abrupt im Sand. Dahinter war das Meer zu erkennen, reglos in der Hitze daliegend, nur das Gleißen der Sonne wiederspiegelnd.
Linker Hand ragten einige aus ausgeschnittenen Teertonnen zusammengeklopfte Hütten aus dem Sand, dahinter die Baracken und die Mine, wie eine vergessene Kulisse, zurückgelassen in der Weite von Sand und Meer. Nichts darin regte sich. Nur soviel spürten wir alle vier, hier in Marsa Alam nahm etwas seinen Anfang, zu fremdar= tig, um erkannt zu werden. Zur Rechten, in Richtung Süden, parallel zum Meer, schwang sich eine Schotterpiste über den nächsten Hügel und damit außer Sichtweite. Noch davor, schon nach wenigen hundert Metern, war eine Schranke errichtet mit einem braunen Militärzelt daneben.
„Das kann man ja wohl unter Ulk abhaken“,
bemerkte Hermann,
„denn rechts davon wären gute zweihundert Kilometer Raum sie zu umfahren.“
Als niemand Anstalten machte sie zu öffnen, stellten wir den Motor ab. Ein Soldat trat heran und hieß uns, ihm in das Zelt zu folgen. Der Offizier wollte die Pässe sehen, blätterte lustlos darin herum und überraschte uns so gar nicht, mit der Frage, ob wir Visa für den Sudan hätten. „Nein, wozu braucht man die denn auch in Ägypten?“
Er klärte uns sodann freundlich auf, dass Ausreisende schon hier abgefertigt würden, obwohl es noch über dreihundert Kilometer bis zur Grenze wären, weil keine Siedlung mehr käme, nur noch eine Kontrollstation. Wir gaben vor, nicht so nahe am Ort campieren zu wollen, sondern lieber einige Kilometer weiter am Strand unser Lager aufschlagen, um ein paar Tage mit Baden und Schnorcheln zu verbringen, bevor wir zurück nach Assuan führen. Er schien uns das abzunehmen, wohl auch, weil er mit einem Blick den Eindruck gewinnen konnte, dass wir für eine so lange Wüstenfahrt, mit unserem ohnehin wenig geeigneten VW-Kastenwagen, gar nicht ausgerüstet waren. Eine Weile unterhielten wir uns noch beim üblichen Tee, ließen uns von ihm die Kamele vorführen und wurden dann weiter gelassen. Nach etwa zwei Kilometern, gut außer Sicht- und Hörweite, errichteten wir tatsächlich am Strand unser Lager. Am Nachmittag kam, wie nicht anders erwartet, eine Kamelpatrouille vorbei. Wie es gute Sitte verlangte, luden wir die Beiden zum Tee ein.
„Unser Verschwinden“,
frohlockte Bernd, als wir endlich in Fahrt kamen,
„werden die erst in 24 Stunden bemerken, wenn die nächste Kamelpatrouille uns nicht mehr antrifft. Aber dann hat sich nichts mehr mit Verfolgung. Dann werden wir schon tief in der Wüste sein und kaum noch aufzufinden. Na ja, eigentlich sollte es den Ägyptern sowieso schnuppe sein, was wir im Sudan machen.“
Die Makkadampiste hörte schon bald auf. Es folgte eine Wegmarkierung mit Steinen und bald nur noch Spuren, an denen man sich orientieren konnte. Das Meer zur linken Seite war längst außer Sichtweite, aber manchmal tauchte ein schwarz-weiß geringelter Stab auf oder eine Pyramide aufgeschichteter Steine. Wir wussten dann, dass die Richtung noch stimmte. Später wurden auch diese Wegmarken seltener, und wir freuten uns jedes Mal, wenn wir eine zu Gesicht bekamen. An diesem Tag schafften wir noch etwa fünfzig Kilometer, ohne, außer einigen freiweidenden Kamelen, ein Lebewesen zu sehen. Das Gelände kam uns entgegen, indem es durch eine Unmenge kleiner Erhebungen unübersichtlich war. Trotzdem mussten wir sehr weit ausweichen, damit die Staubsäule, die jedes Fahrzeug unvermeidlich erzeugte, uns nicht verriet.
Als wir endlich sicher waren, Berenis jetzt weit hinter uns gelassen zu haben, drehten wir wieder nach links ab, um die Route zu suchen. Wir hatten Glück und trafen, ziemlich genau nach der errechneten Kilometerzahl, wieder auf Spuren im Sand. Jetzt lagen etwa dreihundert Kilometer leeres Land vor uns, ohne irgendeine, noch so winzige Siedlung oder Station.
Die Fahrt ging leidlich flott voran. „Die Ägypter haben wir jetzt abgehängt“,
freute sich Bernd. Von nun an war für lange Zeit nichts zu erwarten. Bei monotonem Motorgeräusch und unentwegtem Staubrieseln dösten wir nur in Badehosen so vor uns hin.
„Du hast Recht“,
überlegte 0-Chang,
„selbst wenn sie uns vielleicht verfolgt hatten, hier sind wir außerhalb ihrer Reichweite.“
Das Gefühl der Sicherheit und die Hitze machten träge, so dass auch Gespräche bald nicht mehr aufkamen.
Zur Linken musste irgendwo das Rote Meer liegen, vielleicht zwei vielleicht auch zwanzig Kilometer entfernt. Wir sahen