Das Halbmondamulett.. Jens Petersen

Das Halbmondamulett. - Jens Petersen


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aus Byzanz und aus Persien. Abreha muss das alles sehr beflügelt haben, er plante eine weitere Ausdehnung seines Reichsgebietes. Und so herrschte eines Tages in der Stadt Mekka große Aufregung, denn vor den Toren stand ein mächtiges Heer, und nicht genug des Schreckens, in seinen Reihen etwas noch nie Gesehenes: riesige, furchteinflößende Fabelwesen: Kriegselefanten. In der Bestürzung und allgemeinen Ratlosigkeit trat ein beherzter Mekkaer Bürger auf, Angehöriger einer alten angesehenen Familie. In langen Unterhandlungen mit viel Zähigkeit, diplomatischem Geschick und vor allem reichlich an Barem, gelang es ihm, Mekka frei zu kaufen und Abreha zur Umkehr zu bewegen, ungeachtet dessen, dass der Name Mekka von makata, verweilen herrührt. Der Name jenes verdienten Kaufmannes, Abdul Mutallib Ibn Haschim Al Kuraischit, geriet nicht in Vergessenheit, war jener Grandseigneur doch der Großvater Muhammads.

      Kein Stern war am Himmel, kein Mondlicht zu sehen, es war eine dieser undurchdringlichen Nächte. Selbst die allzeit so gegenwärtigen Berge blieben unsichtbar. Dunkelheit hatte alles eingehüllt. Im Ort glimmten nur noch wenige verlorene Lichter, einen bescheidenen Umkreis trübe erfassend, bedrängt von unergründlicher Schwärze. Alle Geräusche des Tages waren längst verstummt, nur vielstimmiges Hundegekläff war zu hören. Es klang als verbellten sie irgendein Tier, oder wer weiß, was für ein Wesen. Nach einiger Zeit gingen sie in langgezogenes Jaulen über. Wir hatten uns noch auf dem Balkon des Hotels niedergelassen, nachdem die Bar zumachen wollte, viel zu angeregt um Müdigkeit zu verspüren. Amhar ging es ähnlich, längst waren wir mit ihm einig, dass er uns weiter begleiten würde. Da saßen wir nun uns in den Korbsesseln gegenüber und starrten in die Dunkelheit. Nichts anderes gab es zu sehen, und doch kam sie uns reichhaltig angefüllt vor, wirkte stofflich, als könnte man sie angreifen. War es die warme Luft, die durch diverse Geschichten animierte Phantasie? Europa war in diesem Moment sehr fern, schon in den letzten Tagen weiter noch als zuvor.

      „Geht es euch auch so“,

      nahm ich den Faden wieder auf,

      „mir ist, als hätten wir nicht nur räumlich uns weit entfernt.“

      Meine drei Gefährten nickten.

      „Auch wir haben dieses Gefühl.“

      „Unser Denken und Fühlen“,

      überlegte O-Chang,

      „es ist eindeutig ein anderes, als das gewohnte daheim.“

      „Das mag hilfreich sein“,

      stimmte ich zu,

      „für das, was uns noch erwartet. Im Jemen wird kaum etwas vom zwanzigsten Jahrhundert zu spüren sein.“

      „Mir ist so“,

      sinnierte Hermann.

      „als wäre ich hier schon in eine andere Wirklichkeit verpflanzt. Und je mehr wir uns von abendländischem Denken entfernen, desto phantastischer zeigt sich diese andere Welt.“

      „Auch alle diese Geschichten, für die wir uns interessiert, sie mit unserer Vorstellungskraft angereichert haben, es ist als reagierten sie darauf, kommen uns entgegen.“

      „Genau“,

      pflichtete O-Chang bei.

      „Es ist als werden sie zu etwas Greifbarem, längst nicht mehr so unfassbar weit her.“

      „Auch die Inhalte nehmen so etwas wie Gestalt an, als wären sie Wirklichkeiten, nur einer anderen Art.“

      “Jedenfalls fangen wir an“,

      bestätigte ich,

      „mehr an ihnen zu erkennen, als nur irgendwelche Erzählungen, hübsch anzuhören, aber ohne Belang.“

      “Aber was unterscheidet hier schon Wirklichkeit von Erzählung? In einem Land, wo es magische Silberschmiede, Schiftas, und Menschen gibt, die sich lebendig einmauern lassen, wo so gut wie jeder an Engel, Dämonen und Zar glaubt, jene Geister die von Menschen Besitz ergreifen.“

      „Das Leben hier ist schon unwirklich genug, auch ohne derlei Geschichten.“

      „Und doch scheint es mit ihnen irgendwie verflochten“,

      warf ich ein.

      „Nimm nur mal die Schlacht von Adua. Sie hatte in unserer Zeit stattgefunden, war vielfach bezeugt und dokumentiert, also unbestrittene Tatsache. Seltsamerweise scheint das aber belanglos, weder eine Bestätigung noch ein Makel. Viel wichtiger ist etwas anderes, hat sie doch alle Merkmale eines Heldenepos: Den übermächtigen, schier unbezwingbaren Feind, den unbeugsamen, weise im Himtergrund lenkenden Herrscher und den strahlenden, listigen Helden. Und wie alle klassischen Heldensagen ist sie Grundlage eines gesunden Selbstbewusstseins, psychische Kraftnahrung für ein ganzes Volk.“

      Ungeachtet der späten Stunde, waren wir alle so richtig in Fahrt geraten.

      „Mir geht eine andere nicht aus dem Kopf“,

      meldete sich Hermann.

      „Buchstäblich zugeflogen, durch einen Engel auf einem „Windwagen“, war doch den Äthiopiern die Bundeslade, und mit ihr der Wind aus einer sehr fernen Zeit, der Geruch einer ganz anderen Art des Empfindens. An den Feldsteinmauern und zwischen den kahlen Bergen hängt er noch immer, dort draußen in der Dunkelheit. Wen sollte es kümmern, wenn solch groteske Geschichte für die Anderen, weniger gläubigen, rational orientierten, unannehmbar ist? Im Gegenteil, das Unglaubwürdige und der Rückzug in die Unsichtbarkeit schützen vor jeglichem Ansatz empirischer Untersuchung und Infragestellung, und darüberhinaus vor möglichen Ansprüchen. Aber als nationales Heiligtum ist es ein übergeordnetes Zentrum geistiger Sammlung, aus der Wirklichkeit gar nicht wegzudenken.“

      „Genau so ist es doch“,

      lies sich wieder O-Chang vernehmen,

      „mit der Reise der Königin von Saba. Gleichgültig ob nun Legende oder was auch immer. Selbst die Frage, ob die Königin überhaupt Äthiopierin war oder nicht, ist eigentlich belanglos. Wozu auch sollte das wichtig sein? Ist doch die Begebenheit, so wie sie erzählt wird, nichts Geringeres, als die Identität des Reiches, eine der Hauptquellen seiner Kultur, staatstragender Mythos, Glanz und Legitimation seiner Kaiser und den anderen, dem Reich eingegliederten Völkern, ist sie Gegenstand der Bewunderung und Akzeptanz, lauter Dinge, die sehr real sind.“

      „Und dann noch dieses Ding mit Abrehas Belagerung von Mekka“,

      ereiferte sich Bernd.

      „Das ist doch nachweisbar, frei vom Verdacht der Dichtung. Was wäre denn, wenn es Großvater Anbdul gemangelt hätte an Knete? Wäre Mekka dann heute ein abgelegener, christlicher Bischofssitz?“

      „Müssig solchen Überlegungen nachzugehen“,

      meinte ich.

      „Die ganze Weltgeschichte ist voll von scheinar geringfügigen Entscheidungen, von denen sich herausstellt, dass sie das Schickal ganzer Völker und Jahrhunderte bestimmen.“

      „Für abendländisches Selbstverständnis“,

      stellte O-Chang fest,

      „ist es geradezu erschütternd, welch geringen Stellenwert die Beweisbarkeit besitzt für die Auswirkung einer Geschichte. Es ist, als ob der Übergang von Geschichten zur Wirklichkeit offen stünde. Jedenfalls erscheint mir in letzter Zeit, die Realität weniger festgefügt. Die Grenzen zum Erdachten werden aufgeweicht, fangen an ihre Konturen zu verlieren.“

      Wir spürten es alle an diesem Abend, die bislang uns vertraute Welt, sie war nicht alles. Da draussen in der Dunkelheit gab es noch anderes. Und meine kleine, vergleichbar unbedeutende Lebensgeschichte? Auch sie erwies sich fernen, unbekannten Ereignissen unterworfen, Kräfte für deren Wirken es belanglos war, ob ich sie immer noch für unreal hielt oder nicht. Auch sie war dabei, sich mehr und mehr zu verdichten.

      Das reine Licht der Höhe

      Stockfinster war es, so schwarz wie eine Nacht nur sein konnte, eine Stunde zu der noch kein Hahn auch


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