Das Halbmondamulett.. Jens Petersen

Das Halbmondamulett. - Jens Petersen


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auf uns genommen hatten. Was hinderte uns jetzt eigentlich noch daran? Zwar erhielten wir wiederholt den wohlgemeinten Ratschlag Amhars, doch besser hier zu bleiben, untermauert mit dem Argument, im Jemen trieben ohnehin Dschinns und Dämonen ihr Unwesen. Der Versuch dieses als Gespinst zu entlarven, verursacht durch allerlei Gerüchte der Bürgerkriegswirren, scheiterte gründlich. Nein, das wären echte Dschinns und Dämonen, und die hätten es auf Menschen abgesehen, und überhaupt, alle sagen das. Diesem Argument war natürlich keine Vernunft gewachsen, zumal mir dabei wieder die Warnung des Mönches einfiel, vor den Gefahren in der "Stadt Sems". So fragte ich Amhar, ob irgendeine bestimmte Stadt in diesem Zusammenhang genannt würde. Nein, er wüsste nichts weiter, aber wir hätten besser die vier Magier danach fragen sollen, die hatten ja auch etwas von Geistern erwähnt. Die würden sicher mehr gewusst haben, und er hätte es gleich bedauert, dass wir solch eine günstige Gelegenheit, über dieses Thema Einzelheiten zu erfahren, verstreichen ließen.

      Was also hielt uns hier? War es der Müßiggang, der jede Weiterreise nur immer ungewisser und strapaziöser erscheinen ließ? Da war das Funkeln goldener Sonnenflecken auf dem Boden, der Zauber verlassener Schlösser, ausgemalter Kirchen, naheliegende Besuche zu den Inseln des Tanasees oder den Felsenkapellen Lalibelas. Die Stunden der Nachmittage schienen immer bleierner zu werden, die Tage immer schneller dahin zu schrumpfen und das Ziel sich täglich in weitere Ferne zu entziehen.Eines frühen Morgens fanden wir uns, selbst überrumpelt im Bus nach Asmara sitzend. Unterwegs in Axum mussten wir uns von Amhar trennen, der uns längst ein Freund geworden war.

      0-Chang, Bernd und Hermann fuhren gleich am folgenden Nachmittag nach Massawa weiter. Eine Schiffspassage für den Jemen zu finden, konnte noch eine Weile dauern. Im dringenden Fall wäre ich über das Hoteltelefon zu erreichen. Heimlich wünschte ich mir sogar, sie wären nicht so bald erfolgreich. Viel fehlte nicht und alle meine Pläne wären an diesem letzten Hindernis buchstäblich hängen geblieben. Ausgerechnet hier, der letzten Station vor dem Erreichen des Zieles, wo ich schon meinte alle Hindernisse längst hinter mir zuhaben. Nun, dieses war auch in keiner Weise zu vergleichen mit den bisherigen, selbst die Bezeichnung Hindernis war eigentlich recht unpassend. Ich hatte einen triftigen Grund, noch so lange wie möglich in Asmara bleiben zu wollen.

      Es war am Morgen nach unserer Ankunft, irgendetwas wollte ich besorgen. Allzu wichtig konnte es nicht gewesen sein, denn ich hatte später völlig vergessen, worum es sich handelte. Die Sonne stand noch niedrig und fiel schräg in die belebte Hauptstraße, so dass die langen Schatten der Königspalmen ihre Muster auf das Pflaster warfen. Kaum einer hatte es eilig, die meisten Menschen schlenderten durch die Reihen der ausgestellten Tische von Cafees und Restaurants, ließen gemächlich ihre Blicke über die dort Sitzenden promenieren, oder auf den Auslagen der Geschäfte und ambulanten Stände verweilen. Ich selbst ließ mich mittreiben und tat nicht anders. Jedenfalls solange, bis mein Blick auf der gegenüberliegenden Straßenseite hängen blieb. Er hakte so fest, dass auch der mähliche Fluss meines Schlenderschrittes mit einem Ruck zum Stillstand kam. Am Fahrbahnrand standen, scheinbar etwas unschlüssig, zwei Stewardessen der Ethiopian Airlines. Soweit ganz und gar kein ungewöhnlicher Anblick, wäre nicht die eine von derart ausgefallener Erscheinung, von jener Art wie man sie so selten zu Gesicht bekommt, dass man leicht der Annahme erliegt, solche Wesen wären höchstens Ausgeburten männlicher Phantasie. Mehr noch als das Spektakuläre ihrer wilden, exotischen Schönheit, war da eine Ausstrahlung, die sehr vergesslich machte. Nicht nur ihr Äußeres war eine Provokation der Sinne, alles an ihr wirkte sinnlich in einer selbstverständlichen, stolzen Natürlichkeit. Als mir bewusst wurde, mit der darauf folgenden peinlichen Betroffenheit, dass ich, alles um mich her vergessend, dieses Wesen anstarrte, da war es bereits zu spät. Obwohl mit ihrer Kollegin im Gespräch vertieft, musste sie den Blick gespürt haben. Sie hielt inne, musterte mich die Ewigkeit von zwei, drei Sekunden, um dann quer über die Straße auf mich zuzukommen. Sie war nicht verärgert, im Gegenteil, sie lächelte. Oder war das nur boshafte Vorfreude auf einen Schabernack, den sie mit mir treiben wollte? Nein, nichts dergleichen, kein Zweifel, Irrtum ausgeschlossen, sie machte mich richtig an, flirtete aufs Unverfrorenste. Emanzipiert und selbstbewußt waren uns die äthiopischen Frauen schon begegnet. Und was ihre sexuelle Freizügigkeit betraf, so erfuhren wir die schon gleich im ersten Ort hinter der Grenze. Dunkle Augenpaare, die uns völlig unbefangen buchstäblich von oben bis unten abtasteten. Ein ganz neues Gefühl, selber das Objekt unverholenen Interesses zu sein. Ziemlich bald verloren wir uns danach aus den Augen, und ein jeder versank in der lauen Wärme der Nacht. Kein Wunder, wenn der Aufenthalt in Tessinei etwas länger währte. Nur gemessen an dem, was hier auf mich zukam, waren das Sandkastenspiele. Der Puls hämmerte mir bis in die Ohren. Ich wusste nicht mehr, was ich sagte, befand mich im dicksten Nebel auf fremden Gewässern. Mein verlegenes Gerede des ersten Augenblicks schien wenig bemerkt zu sein. Wie sich bald herausstellte, verdankte ich es einzig dem Umstand, dass sie nur sehr wenig Englisch verstand, und auch das waren mehr berufsspezifische Phrasen. Und wie man die Notausgänge öffnet oder die unter dem Sitz befindlichen Schwimmwesten aufbläst, interessierte uns beide im Augenblick weniger. Zumindest wusste sie bald meinen Nahmen nachzusprechen. Das er nur aus einer Silbe bestand, war ihr befremdlich, und sie behalf sich dahingehend, indem sie einfach zwischen das n und das s noch einen Vokal schob. Erheblich angenehmer, wie ihr das erschien, wiederholte sie das noch einige Male so vor sich hin und blieb in Zukunft dabei. Es klang wie Jenas, manchmal auch nach Jonas. Auch ich wusste inzwischen, dass sie Hagos hieß. Aber viel weiter waren wir noch nicht gekommen. Unmöglich zu sagen, wie lange wir schon unter gegenseitigem Bestaunen so am Straßenrand standen. Schließlich brachte ich so etwas wie eine einladend auffordernde Geste zustande. Tatsächlich, sie setzte sich in Bewegung und folgte der Richtung, die ich einschlug an meiner Seite. Ob das vielleicht nur ein Traum war oder nicht, wollte ich gar nicht wissen, Hauptsache dieses Wunderwesen zu meiner Rechten verschwand nicht wieder. Nur nicht den Faden abreißen lassen, war inzwischen der mich beherrschende Gedanke und, dass wir dazu irgendein Ziel benötigten. Am geeignetsten erschien mir, wenn wir uns in irgendein Lokal niederließen. Eines der italienischen Restaurants geriet in mein Blickfeld. Es war eines von der besseren Sorte, wie ich mich erinnerte und schien mir geeignet, was meine Schritte fester und zielstrebiger werden ließ. Vor dem Eingang blieb sie plötzlich stehen. Ich deutete an, dass ich sie gern einladen würde. Sie schüttelte den Kopf. Dann erfasste sie meine Hand, was allein mich schon bis unter die Haarwurzeln elektrisierte. Sie lächelte signalisierend, dass sie verstanden hätte, aber deutete mit dem Kopf in eine andere Richtung, dabei behutsam an meinem Arm ziehend. Sie schien eine eigene Idee zu haben - noch besser! Jetzt waren es ihre Schritte, die zielstrebiger wurden. Vieler davon bedurfte es nicht und wir landeten in einem der zahlreichen volkstümlichen Tedsch-Lokale. Zu dieser frühen Stunde war es noch völlig leer, aber an der intimen Begrüßung der Inhaberin war abzulesen, dass diese eine Freundin war. Nachdem sie die Getränke serviert hatte, zog sich die Freundin diskret zurück, und wir saßen uns allein im Raum gegenüber. Wieder blieb die verbale Kommunikation zwischen uns auf der Stecke trotz diverser Anläufe, beschränkte sich immer aufs neue bei der Suche nach dem passenden, zufällig von beiden identifizierten Ausdruck, wenn nicht auf Englisch so versuchsweise auf Italienisch oder Arabisch. Dafür verstanden wir uns sprachlos umso besser, wie uns immer deutlicher gewahr wurde. Als wir beide begriffen hatten, dass die sprachlichen Versuche auf einander zuzukommen eher geeignet waren uns davon abzulenken, und wir es nur noch mit Blicken, Gesten und Berührungen probierten, entwickelte sich eine rasant bis ins Unerträgliche ansteigende Spannung. Als ich schon dachte, es dauert nur noch Sekunden und ich verbrenne hier bei lebendigem Leibe, da rief Hagos etwas auf Amharisch in den Hintergrund, und kurz darauf erschien ihre Freundin wieder, nur um wortlos einen Schlüssel auf die Mitte des Tisches zu legen, genau zwischen uns.

      Auch in den folgenden Tagen waren Hagos und ich, von bedeutungslosen Bemerkungen abgesehen, zur Sprachlosigkeit verdammt - nein ganz und gar nicht verdammt, eher sollte man sagen damit gesegnet. Denn dieser Sprachlosigkeit verdankten wir es, dass wir gezwungen waren, uns auf andere Ebenen der Kommunikation zu besinnen. Wir lernten Blicken, Gesten, Berührungen und Gefühlen weit mehr Beachtung zu schenken, und verirrten uns in immer weitere, wenn auch höchst lustvolle Tiefen der Sprachlosigkeit. Mir wurde erschreckend deutlich, um was alles ich mich bislang so einfach hinweggeredet hatte. Hagos und ich trafen uns, wann immer es ging, zur Konversation jenseits von Worten. Ich war verhext, für alles andere verloren, hoffnungslos gestrandet. Allein der Flugplan der Ethiopian Airlines verhieß Rettung, bestimmte


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