Scarlett Taylor. Stefanie Purle
sie und spricht weiter. „Auch wenn du die weiße Hexenkönigin bist, so bist du dennoch zuallererst meine Gefährtin, und das kann ich nicht zulassen. Tut mir leid.“
Meine Augen werden größer und ich zucke perplex zurück. „Du verbietest es mir? Ist es das, was du sagen willst?“
„Ja!“ Seine Stimme ist fest und unnachgiebig, genau wie sein Blick.
Ich entziehe meine Hände seinem Griff und schüttle verwundert mit dem Kopf. Zwar ist er mein Gefährte, aber er ist nicht mein Vormund. Ich liebe ihn von ganzem Herzen, aber er kann mir nicht vorschreiben, was ich tun darf und was nicht.
„Oh, oh“, säuselt Roberta und sieht abwechselnd mich und Chris an. „Ärger im Paradies?“
„Nein, keineswegs. Ich lasse nur keine Kamikaze-Aktion durchgehen, das ist alles“, antwortet Chris knapp und verschränkt die Arme vor der Brust.
Roberta will etwas sagen, aber ich hebe die Hand. Egal was sie sagt, es würde die Situation nur noch verschlimmern, und außerdem ist das etwas, das ich mit Chris alleine unter vier Augen klären möchte. Schweigend starren wir uns einige Sekunden lang an, bis ich einlenke. „Anderes Thema“, sage ich deswegen und setze mich. „Das ist ja nicht mein einziges Anliegen, Roberta.“
„Ach nein? Was gibt es denn noch?“, flötet sie und beugt sich vor, wobei sie im Augenwinkel immer noch Chris beobachtet, dessen kühle Ausstrahlung uns beide zum Frösteln bringt.
„Was ist mit meiner Mutter?“ Der Kloß in meinem Hals, der sich bei dem Gedanken an sie formt, ist deutlich hörbar. „Kannst du sie erwecken?“
Bevor Roberta antwortet, lässt Chris seine abweisende Haltung fallen und kommt an meine Seite. Er legt seine Hand auf meine Schulter und zusammen sehen wir Roberta an.
Sie seufzt und faltet die Hände. „Ein solch mächtiger Fluch eines Hexenkönigs kann nur durch ihn selbst, oder durch ein Mitglied der königlichen Familie derselben Generation gebrochen werden.“
„Also nur er selbst, oder du können den Fluch brechen?“
„Genau“, sagt sie und nickt. „Allerdings nur, solange der, der den Fluch ausgesprochen hat, noch am Leben ist. Stirbt er, gelten der Fluch und seine Auswirkungen ewiglich.“
Ich schlage die Hände vor den Mund und weiß nicht recht, was ich fühlen soll. Einerseits wäre es eine Katastrophe, wenn der schwarze König noch am Leben ist, da er abgrundtief böse ist und sicherlich schon einen Plan ausheckt, wie er mich vom Thron schubsen kann. Andererseits wünsche ich mir nun beinahe, dass er noch lebt, damit Roberta meine Mutter aus dem Koma befreien kann!
Chris beugt sich vor, während er fest meine Schulter umfasst und mich somit seelisch, wie körperlich stützt. „Wenn du versuchst, den Fluch bei Scarletts Mutter aufzuheben, und es funktioniert, dann wissen wir, dass der schwarze König noch lebt?“
Mit einem hämischen Lachen schüttelt Roberta den Kopf. „Wenn es doch nur so einfach wäre“, stöhnt sie. „Natürlich gibt es auch hier Tücken. Wenn ich den Fluch aufhebe, und Elliot ist tot, dann geht der Fluch auch auf mich über. Dann sind deine Mutter und ich zusammen auf ewig verstummt und in unserer Gedankenwelt gefangen... So hat das magische Gesetz gesichert, dass man Flüche des ehemaligen Königs oder Königin nicht einfach nach deren Tod aufheben kann.“
„Wieso?“, platzt es trotzig aus mir heraus.
„Nicht alle Flüche sind schlecht, Scarlett! Und was das amtierende Oberhaupt der magischen Welt tut, darf nicht nach dem Tode umkehrbar sein. Somit wird gesichert, dass jedes Oberhaupt seine Spuren in der Welt hinterlässt, die nie ganz verblassen werden.“
Ich kann ihren Worten kaum mehr lauschen, da die Gedanken in meinem Kopf zu laut sind. So sehr ich meinem Vater auch den Tod wünsche, so sehr wünsche ich mir aber auch, dass meine Mutter endlich wieder aus ihrem Koma erwacht. Aber sollte Roberta es versuchen, und mein Vater ist noch am Leben, dann hätte ich auch sie verloren.
„Dann müssen wir herausfinden, ob er noch lebt. Und zwar schnell.“
Chris streicht beruhigend über meinen Rücken. „Gibt es einen Zauber, mit dem man das feststellen kann?“, fragt er Roberta.
„Natürlich. Es gibt für alles einen Zauber. Allerdings können nur königliche Hexenblütler andere königliche Hexenblütler orten. Und dazu braucht man etwas vom Körper des Verschollenen.“
Ich horche wieder auf. Offenbar sind königliche Ortungszauber gar nicht so verschieden, wie Ortungszauber für normale Hexen. „Reicht es nicht, wenn man denjenigen, den man sucht, mit vollem Namen kennt?“
Ein stolzes Lächeln huscht über Robertas Gesicht. „Du hast also doch ein wenig gelesen. Sehr gut“, bemerkt sie und zwinkert. „Aber nein, leider reicht das nicht aus. Wir brauchen etwas von seinem Körper, seine DNA, sonst funktioniert es bei königlichen Hexen nicht.“
Aber natürlich haben wir weder ein Haar, noch einen abgeschnittenen Fingernagel oder sonst irgendetwas von ihm. Wir haben nichts.
Egal ob er lebt oder tot ist, auch so macht er mir mal wieder das Leben schwer, obwohl er noch nicht einmal in der Nähe ist. Ohne diesen Ortungszauber können wir meine Mutter nicht erwecken und Chris lässt mich nicht in das Schloss, wenn mein Vater noch lebt, also kann ich Mario nicht befreien. Selbst wenn er mich gehen lassen würde, wäre es noch ungewiss, wie ich mir Zutritt dazu verschaffen kann, ohne einen Schlüssel zu haben.
Von meinen weiteren Plänen werde ich Chris jetzt vorerst nichts mehr berichten, denn womöglich wird er mir dann sofort einen Strich durch die Rechnung ziehen.
Enttäuscht sacke ich in meinen Stuhl zurück und verschränke trotzig die Arme vor der Brust. Was nützt es mir, die weiße Hexenkönigin zu sein, wenn ich doch mal wieder nichts ausrichten kann?
Kapitel 8
Roberta führt uns zur Ablenkung in ihrem Zuhause herum und zeigt uns, was sie sich alles mit der Macht der weißen Magie herbeigezaubert hat. Der schwarze König hat es immer so dargestellt, dass man sich nur mit schwarzer Magie etwas erschaffen kann. Doch Roberta klärt mich auf, dass das nicht für königliches Hexenblut gilt. Sie sagt, ich könne mir auch meinen eigenen Traumpalast erschaffen, wenn ich wüsste wie. Ich tausche einen vielsagenden Blick mit Chris und male mir aus, wie unser Traumhaus aussehen würde. Chris ist beeindruckt und stellt viele Fragen. Obwohl er weiße Hexen schon sein Leben lang kennt, so war er doch noch nie bei einer königlichen weißen Hexe zu Besuch, was offenbar ein riesiger Unterschied ist.
Ich kann gar nicht glauben, dass ich zu all diesen Zaubern fähig sein soll. Roberta verweist mich immer wieder auf die Bücher und wie wichtig es doch ist, dass ich sie bald alle lese, da ich dieses Wissen mehr als jeder andere benötige, nun, da ich die weiße Königin bin.
Insgeheim komme ich mir ziemlich dumm und fehl in meinem Amt vor. Jeder scheint mehr über Magie zu wissen, als ich. Ein weiterer Grund, warum ich meinen Vater so sehr verabscheue! Es ist seine Schuld, dass ich die ersten 27 Jahre meines Lebens ohne auch nur den Hauch einer Ahnung von Magie verbracht habe. Diese Zeit werde ich nie wieder aufholen können. Und sicherlich ist es nur eine Frage der Zeit, bis das magische Volk merkt, wie dumm und unqualifiziert ihre Königin doch ist.
Roberta öffnet während ihrer Hausführung eine weitere Tür und weist theatralisch hinein. „Und hier ist mein Pool“, sagt sie feierlich und der Geruch von Salzwasser dringt in unsere Nasen.
Chris gibt ein staunendes Geräusch von sich und betritt vor mir den Raum. Erst, als er zur Seite geht und mir freie Sicht auf das Zimmer gibt, gebe ich ein ähnliches Geräusch von mir.
„Wie ist das möglich?“, frage ich über alle Maße beeindruckt und gehe ein paar Schritte durch den Sand.
Zu unseren Seiten erstreckt sich meilenweit weißer Sandstrand und vor uns liegt das türkisfarbene Meer. Die Wellen rauschen und klatschen gegen die dunkelgrauen Felsen im Wasser. Möwen fliegen über unseren Köpfen hinweg und hinter uns