Scarlett Taylor. Stefanie Purle
noch nicht alle“, gebe ich etwas kleinlaut zu.
„Wieso nicht?“
„Na, weil es ziemlich viele sind!“
Roberta beginnt zu lachen. „Du liest noch wie ein Mensch?“, will sie wissen und hält sich kichernd die Hand vor den Mund.
„Natürlich, wie sollte ich denn bitte sonst lesen?“
„Wie ein königliches Hexenblut, natürlich!“
Verwirrt schüttle ich mit dem Kopf. „Und wo ist der Unterschied?“
„Wenn die Geistwesen dir untertänig sind - und das sind sie nur, wenn du eine gute weiße Hexe bist - dann brauchst du bloß das Buch in den Händen halten und darum bitten, dass dir das darin enthaltene Wissen übermittelt wird.“
Schon wieder klappt mir die Kinnlade herunter. „Diese Fähigkeit hätte ich in der Schulzeit gut gebrauchen können.“
„Tja“, sagt sie und zuckt mit den Schultern. „Besser spät, als nie... Also nein, es ist kein Imagezauber, aber der Effekt ist derselbe, bloß das dieser Zauber mit dem Einverständnis und der Hilfe der Geistwesen und der Natur stattfindet.“ Wieder lacht sie, aber diesmal mit einem spöttischen Unterton. „Und dies muss ich der amtierenden weißen Königin erklären.“
Beschämt senke ich den Blick. Es ist nicht meine Schuld, dass ich von alledem keine Ahnung habe. Hätte mein Vater mit dem Fluch nicht verhindert, dass mir jemand von der magischen Welt erzählt, hätte ich nicht 27 Jahre in Unwissenheit gelebt.
Ich atme die Verlegenheit mit einem Seufzer weg und lege die Hände auf die Knie. „Roberta, auch auf die Gefahr hin, dass dich meine Unwissenheit wieder zum Lachen bringt, muss ich dir jetzt eine Frage stellen: Warum lebst du, obwohl wir alle gesehen haben, wie der schwarze König dich getötet hat?“
Sie streckt die Beine aus und faltet die Hände vor ihrem ausladenden Bauch. Auch Chris lehnt sich gebannt zurück und wartet ihre Antwort ab, mit der sie sich aus purem Vergnügung und zur Aufrechterhaltung der Spannung Zeit lässt.
„Es ist so, Scarlett... Was dein Vater kann, das kann ich schon lange. Er lebte die letzten Jahrhunderte als Illusion seiner Selbst. Genauso habe ich es auch getan. Die Male, die wir uns trafen, hattest du es mit einer Illusion von mir zu tun, die ich von hier aus gesteuert habe“, erklärt sie und deutet auf ihr Umfeld. „Mein wahres Ich war die ganze Zeit hier. Wenn ich in der wirklichen Welt auftauchte, nachdem ich geflohen war, tat ich es nur als Illusion meiner selbst.“
Ich lasse diese Information sacken. Für jemanden wie mich, für den die Magie noch ganz neu ist, klingt das äußerst kompliziert und verwirrend. „Aber jetzt bist du keine Illusion, oder?“
„Nein. Jetzt siehst du mich in meiner ganzen wahren Pracht vor dir.“
Noch immer verwirrt reibe ich über meine Stirn. „Und wenn die Illusion getötet wird, stirbt die Hexe nicht?“
„Genau. Eine Illusion kann nicht getötet werden.“
Chris schnellt nach vorn und beugt sich zu Roberta. „Heißt das, der schwarze König ist also auch noch am Leben?“
Sie seufzt lang und ausgiebig, wobei sie von mir zu Chris schaut. „Und das ist mal eine Frage, die ich euch nicht klar beantworten kann. Ich weiß es nicht.“
Kapitel 7
„Wie bitte?“ Ich bin so aufgewühlt, dass ich nun schon die dritte Runde durch ihren kleinen Garten marschiere. „Es könnte also sein, dass mein Vater noch lebt?“
„Solch einen Fall hat es in der Geschichte der Magie noch nie gegeben, Scarlett. Noch nie hat die Illusion eines königlichen Hexenbluts die Illusion eines anderen königlichen Hexenbluts getötet. Vielleicht lebt er noch und nur seine Illusion wurde getötet. Vielleicht ist er auch wirklich gestorben, weil auch der versuchte Mord eines gleichgestellten Hexenbluts mit dem Tode geahndet wird.“
Chris hält es auch nicht länger auf seinem Stuhl. Er steht auf, fährt sich durch die Haare und reibt sich das stoppelige Kinn. „Aber normalerweise steht doch auf Familienmord die Todesstrafe, in königlichen Hexenkreisen.“
„Normalerweise schon, ja.“
„Also muss er doch tot sein!“
Roberta zuckt mit den Schultern. „Wie gesagt, ich weiß es nicht.“
Ich gehe zurück zum Tisch und hocke mich neben ihren Sessel. „Nehmen wir mal an, er lebt noch... Was denkst du, wäre dann jetzt sein Plan?“
Ein mitleidiges Lächeln huscht über ihre dünnen Lippen. „Wenn er noch lebt, dann wird er sich verstecken und womöglich versuchen, dir das Leben so schwer wie möglich zu machen.“
„Warum?“, will ich wissen und höre, das meine Stimme genauso zittert, wie mein Innerstes.
„Weil es das ist, was ihn ausmacht, Kindchen. Er quält gern die, die in seinen Augen unter ihm stehen. So ist sein Charakter. Er ist böse.“
Chris lauscht schockiert Robertas Worten. Auch er hatte nicht damit gerechnet, dass die Möglichkeit besteht, dass der schwarze König noch lebt. „Wer steckt hinter dem magischen Gesetz? Gibt es dort jemanden, mit dem man sprechen kann?“, will er wissen.
„Genauso könntest du nach der Telefonnummer von Gott fragen, Christobel!“, zischt meine Tante. „Das magische Gesetz ist einfach da! Es existiert! Niemand weiß, wer oder was sich dahinter verbirgt.“
Chris wirft verzweifelt und ein wenig verärgert die Arme in die Luft und dreht sich um.
„Gibt es denn einen Weg, wie wir herausfinden können, ob der schwarze König noch lebt?“, frage ich.
„Nenne ihn nicht den schwarzen König!“, fährt Roberta in demselben bissigen Ton fort, den sie gerade noch für Chris benutzte. „Denn er ist kein König mehr! Die amtierende weiße Königin sitzt vor mir!“
Mit zusammengezogenen Augenbrauen pruste ich. „Ich werde ihn aber auch nicht Vater nennen! Denn auch diesen Titel hat er nicht verdient!“
Robertas Lippen zucken zu einem kleinen Lächeln. „Dann nennen wir ihn doch bei seinem Namen: Elliot!“
Chris dreht sich wieder um und blickt Roberta amüsiert an. „Elliot? Diese Abscheulichkeit trägt den Namen Elliot?“
Roberta lacht hämisch. „Ja, und er verabscheut diesen Namen!“
Nun lachen wir alle, auch wenn es sich seltsam anfühlt, über den ehemals schwarzen König, die Ausgeburt des Bösen, zu lachen, trotzdem tut es auch auf eine gewisse Art richtig gut.
„Okay“, beginne ich wieder sachlich, nachdem wir uns alle beruhigt haben. „Gibt es einen Weg, wie wir herausfinden können, ob Elliot noch lebt? Vielleicht einen Ortungszauber?“
Robertas Augen werden schmaler und sie trommelt mit ihren langen Fingernägeln auf den Lehnen ihres Stuhles herum. „Schlafende Hunde sollte man nicht wecken, Scarlett.“
„Ja, ich weiß. Aber ich habe Mario versprochen, dass ich ihn aus seiner Lage befreie und ihm sein altes Leben zurückgebe. Und ich würde gerne wissen, ob mein Vater noch lebt, bevor ich mich auf den Weg zu seinem Schloss mache.“
„Du willst was?“, fährt Chris mich schockiert an. „Auf keinen Fall gehst du zurück in das Schloss, Scarlett.“
Meine Tante blickt leicht amüsiert an Chris´ aufgebäumter Statur auf und ab. „Liebling, sie ist die weiße Königin, du kannst ihr nichts verbieten.“
„Chris“, sage ich mit flehendem Unterton und strecke die Hände nach ihm aus. „Ich kann nicht anders. Ich muss Mario helfen, ich habe es ihm versprochen!“
Er ergreift meine Hände und drückt sie fest. Mit immer dunkler werdenden Augen sieht er mich an. „Ich kann nicht zulassen, dass meine Gefährtin sich in die Höhle des