Tarris. Peter Padberg
Und ich werde Dein Schwarm sein, da wir beide – Du wirst noch spüren – perfekt in magischem Einklang sind. Auch wenn Du glaubst, nicht mehr ein wirkliches Mitglied der Karruum zu sein, hast Du einen Schwarm. Der Schwarm sind wir beide und die Verbindung zwischen uns wird stärker und phantastischer sein, als Du es Dir je vorstellen konntest. Nicht zuletzt werde ich Dir zeigen, wie Du die Magie in Dir selbst besiegen kannst, wenn Sie versucht, Dich zu beherrschen.“
Die neue Bindung beruhigte Karrsa sehr. Er hatte sich seit der Ankunft auf Tarris nicht mehr so gut und geborgen gefühlt. Was Wasserwüste ihm „gesagt“ hatte, war absolut richtig. Er hatte sich noch nie mit jemandem so gut in Einklang befunden, wie mit der Magie in dem Medaillon. Selbst die Verbindung zu seiner Königin und zu seinen Brüdern und Schwestern war nie so intensiv gewesen. Auch war die Bindung viel persönlicher und passte zu dem, zu dem er geworden war. Er freute sich darauf, zu lernen und mit einem neuen Leben zu beginnen. „Können wir mit der Ausbildung beginnen?“ Seine Antwort war ein neugieriges, gedankliches Nicken. Die Wärme in seinem Rücken nahm zu und auch Wasserwüste erwärmte sich, während es die Magie in ihm anfachte.
Die letzten Monate waren wie im Flug vergangen. Der Austausch der Gedanken zwischen Wasserwüste und Karrsa ging mittlerweile so schnell, als wenn sie ein Wesen mit einem Gehirn wären. Dadurch konnte Wasserwüste eine unglaubliche Fülle von Wissen und Fähigkeiten vermitteln. Karrsa lernte alle Bereiche und Einsatzmöglichkeiten der Magie kennen, wenn auch seine Stärken in der Beeinflussung und Nutzbarmachung von Gegenständen und Elementen lagen. Er verstand nun sehr gut, wie das Wesen, das wohl den Namen Karameen trug, Feuer und Blitze auf seine Artgenossen hatte einwirken lassen. Er beherrschte diese Dinge vermutlich ebenso gut wie Karameen. Ein anderer Aspekt, den er gelernt hatte, war der, mit seiner neuen Persönlichkeit, mit seinem Ich umzugehen. Er begann verstärkt, sich über alles Mögliche Gedanken zu machen und zu überlegen, was geschehen könnte. Früher hatte er seine Gedanken nur auf das Lösen vorgegebener Probleme oder Rätsel beschränkt. Seine neue Art zu denken hatte keine Grenzen. Und auch seine Wahrnehmung hatte sich weiter verändert. Konnte er, als er den Bau verlassen hatte, mit Hilfe der Magie die dunklen Gänge sehen und auch magische Strömungen als Farben erkennen, so setzte er diese Fähigkeiten nun weit ausgeprägter und wie einen weiteren Sinn ein. Durch seine Fühler hatte er Möglichkeiten, diese Seite der Magie zu nutzen, die kein anderes magisches Geschöpf auf Tarris hatte. Wasserwüste hatte ihm gezeigt, wie er einen Teil seines Bewusstseins von seinem Insektenkörper lösen konnte und andere Orte und in eingeschränktem Maß auch Zukunft und Vergangenheit betrachten konnte. Wasserwüste war von den neuen Möglichkeiten, die sich auch ihm durch die Verbindung mit dem Insektenkörper boten, begeistert.
„Ich denke, es ist an der Zeit, dass wir diese Höhle verlassen und prüfen, wie wir zu zweit in der Welt wirken und arbeiten können. Was meinst Du, sollen wir die Höhle verlassen?“ meinte Wasserwüste zu Karrsa. „Das ist eine gute Idee“ dachte Karrsa und wollte bereits die Höhle verlassen, als das Amulett ihn noch einmal aufhielt. „Diese Höhle hat eine wichtige Funktion. Wir werden uns hier mit den anderen Trägern der Artefakte treffen können, wenn wir erst einmal mit ihnen in Gedanken verbunden sind. Wie Du siehst, sind drei der Sockel mit Statuen von Wesen besetzt und der vierte und fünfte Platz sind frei! Der vierte ist unser Platz und wir müssen ihn füllen, bevor wie die Höhe verlassen und sie magisch versiegeln. Schau Dir die anderen drei Träger gut an, damit Du sie erkennst, wenn Du sie triffst. Und dann schaffe Deine eigene Statue.“ Karrsa musste nicht überlegen, wie er die Figur schaffen sollte. Er stellte ein magisches Abbild von sich selbst her, das aus einem Leuchten bestand. Dann erhitzte er den Fels der Höhlendecke über dem Podest. Gewaltige Energieströme flossen aus seinen Fühlern in den Stein und verwandelten diesen in flüssige Lava, die in die magische Form tropfte und dort genau in den Grenzen des Leuchtens erhärtete. Das Abbild von Karrsa sah ihm täuschend ähnlich und glühte noch rot, als er die Höhle verließ. Er aktivierte die drei magischen Symbole und fügte als viertes ein Insekt hinzu, das blau im Stein des Tores glühte. Als die Wand zu dem Raum sich verfestigte, erkannte er am anderen Ende der Höhle ein großes dreieckiges Kunstwerk. Danach stand er wieder vor der undurchdringlichen Wand aus Fels.
Widerstand
Dreitausendeinhundertneunundachtzig! 3189 Jahre waren seit der bitteren Niederlage vergangen, die ihn in die Parallelwelt verbannt hatte. Auch wenn er bereits vor vielen, vielen Jahren den Rückweg nach Tarris gefunden hatte, konnte er erst seit wenigen Jahren wieder ohne Hilfe handeln. Erst vor kurzem war es ihm gelungen, den Körper eines Homuae mit Hilfe von dunkler Magie in grauenhaften Ritualen zu übernehmen. Nun war es an der Zeit, die Macht seines neuen Körpers zu überprüfen. Sein Ziel war es, die Jorka von seinen dunklen Plänen zu überzeugen. Er beabsichtigte, sie für sein Heer zu gewinnen, das bereits einige Teile des Nordostens oberhalb des Nordwaldes für ihn erobert hatte.
Dakaron stand vor dem Eingang einer dunklen Höhle, die wie ein breiter Schacht in die Tiefe führte. Dakaron wusste, dass es der Anfang eines verschlungenen labyrinthartigen Pfades war, der tief ins Innere von Tarris und bis zu den unterirdische Städten der Jorka führte. Er war zuversichtlich, dass er sich nicht verirren würde. Er hatte einen Jorka gefangen genommen und alles Wissen aus ihm herausgesaugt, dessen er habhaft werden konnte. Die Jorka hatten einen untrüglichen Instinkt, der dafür sorgte, dass sie sich in der tiefen Schwärze der unterirdischen Gänge nicht verirren konnten. Dakaron formte mit seinen Händen eine Kugel, die kurz darauf hell zu leuchten begann und sich in vier kleinere Kugeln aufteilte. Sie schwebten vor, hinter und auf beiden Seiten neben ihm und verbreiteten ein sehr helles, kaltes Licht. Ohne zu zögern beschritt er den steilen Pfad in die Tiefe. Vor den Gefahren, die ihm begegnen konnten, fürchtete er sich nicht. Kaum etwas auf Tarris konnte ihm noch wirklich gefährlich werden. Es war ein langer Weg, der ihn drei Tage lang stetig abwärts führte. Nach seiner fünften Rast änderte sich der Weg von einem dunklen Schlund zu einer freundlicheren Umgebung. In den Wänden, die mittlerweile kunstvoll bearbeitet waren, befanden sich in regelmäßigen Abständen Edelsteine, die ein warmes, helles Licht verbreiteten. Dakarons kaltes, magisches Licht wirkte wie ein Affront in diesen warmen und kunstvoll bearbeiteten Gängen. Es gab hunderte von Abzweigungen, aber er wählte stets den richtigen Weg.
Dakaron wanderte durch einen von hohen Säulen gesäumten Gang, der zu einem hellen Licht führte. Das Licht stammte aus einer riesigen Höhle, die eher wie ein Tal in den Bergen wirkte. Ein Ende war nicht erkennbar und in der Breite und Höhe erstreckte sich die Höhle über mehrere Meilen. In der Decke der Höhle befanden sich sehr viele der leuchtenden Steine, die er aus den Gängen kannte, so dass der Eindruck von Tageslicht erweckt wurde. Es war sehr warm in der Höhle, wodurch sich eine dschungelähnliche, dichte Vegetation gebildet hatte. Obwohl Dakaron in jedem Winkel von Tarris gewesen war, hatte er Pflanzen dieser Art noch nicht gesehen. Wasserfälle ergossen sich von den steilen Felswänden am Rand der Höhe in die Tiefe und erzeugten feine feuchte Nebel. Die Luftfeuchtigkeit in der Höhle war hoch. Dakaron stand an der Stelle, in der der Gang in die Höhle mündete und direkt vor ihm befand sich eine senkrechte, weit in die Tiefe abfallende Felswand. Der Gang war in diese Felswand hineingeschlagen, führte steil in die Tiefe und eröffnete an der zur Höhle gewandten Seite einen fantastischen Blick auf die Landschaft. Dakaron folgte diesem Gang in Richtung Dschungel, ohne die zauberhafte Aussicht eines Blickes zu würdigen. Dies änderte sich, als in einiger Entfernung eine riesige Fledermaus an ihm vorbeiflog, die einen ebenfalls großen Vogel verfolgte und offensichtlich auf der Jagd war. Kurz bevor sie den Vogel greifen konnte, ließ sich dieser jedoch wie ein Stein nach unten fallen und verschwand in baumhohen, hellgrünen Farnen. Die Fledermaus flog eine Kurve und erblickte Dakaron. Sie stieß einen hohen Schrei aus und Dakaron konnte auf ihre vielen, dolchgroßen und sehr spitzen Fangzähne blicken. Ein Geschöpf nach seinem Geschmack.
Die Fledermaus hatte Dakaron als ihre nächste Beute auserkoren und näherte sich ihm in einem schnellen Gleitflug. Die feinen Bewegungen ihrer großen Flügel, die in scharfen Krallen endeten, waren gut erkennbar. Dakaron dachte erst daran, die Fledermaus zu Asche zu verbrennen, entschloss sich dann aber anders. Mit seinen Gedanken drang er in das Gehirn des Tieres ein und übernahm die Kontrolle über den Körper. Eine einfache Übung bei dem aus seiner Sicht eher primitiven Geschöpf. Er ließ sie einige waghalsige Flugmanöver