Tarris. Peter Padberg
die das Wesen nun vor ihm hatte, deutlich spüren. Er ging auf sie zu und die Fledermaus schnappt nach ihm. Mit einem äußerst kräftigen Schlag wischte er ihren Kopf beiseite. Wuchtig schlug der Kopf gegen die Wand des Ganges und einige der spitzen Zähne brachen mit einem lauten Knacken aus dem Kiefer. Blut quoll aus der Schnauze hervor. Dakaron griff den Kopf des Tieres an einem der beiden spitzen, dreieckigen Ohren. „Du wirst tun, was ich Dir sage!“, vermittelte er dem Tier und machte sich dann daran, den Willen der Fledermaus zu zerstören. Als er keinen Widerstand mehr erkennen konnte, schwang Dakaron sich auf den Rücken der Fledermaus und flog mit ihr in die Höhle. Aus dem Raubtier war ein williges Reittier geworden. Dakaron folgte einem Pfad, der als braunes Band den dichten Urwald durchzog, der bis auf einige Flüsse und Seen den gesamten Höhlenboden bedeckte.
Elegant flog die Fledermaus eine weite Kurve, als die Höhle einen gewaltigen Knick nach rechts machte. Direkt hinter dem Knick befand sich auf einem Plateau in der Mitte der Höhlenwand eine weitläufige Festung. Sie ähnelte von ihrer Bauart her den Burgen, die sich auf der Oberfläche von Tarris befanden. Jedoch waren die Außenseiten der Mauern schneeweiß und absolut eben. Kein Vorsprung oder eine Fuge ließen darauf schließen, dass das Bollwerk aus einzelnen Steinen zusammengesetzt worden war. Ein weiterer Unterschied zu den oberirdischen Festungen waren die Türme, die ausnahmslos über eine spitze Kegelform, dafür jedoch über keine Fenster verfügten. Dakaron überlegte, dass es sich um einen Außenposten der Jorka handeln musste. Er ließ die Fledermaus in weiten Kreisen fliegen und beobachtete die Festung. Sie würde ein guter Ausgangspunkt für seine Eroberungen an der Oberfläche sein. In Gedanken hatte er die Höhle bereits den von ihm beherrschten Ländern zugeordnet.
In einige Entfernung vor der Festung befand sich eine Felsnadel, die vom Boden der Höhle bis auf die Höhe der Festung reichte. Um sie zog sich wie eine Spirale ein Weg, der leicht ansteigend bis zur Spitze der Felsnadel führte. Auf diesem Weg mühte sich eine Handelskarawane in Richtung des kleinen Plateaus, das sich auf der Felsnadel befand. Die Karawane wurde von berittenen Kriegern begleitet und das Metall ihrer Waffen glitzerte im Licht der Steine, die die Höhle erleuchteten. Die Jorka saßen fast bewegungslos und aufrecht auf ihren Reittieren, die an Echsen erinnerten und schnell den steilen Weg erklommen. Als die Karawane fast das obere Ende der Felsnadel erreicht hatte, bildeten sich in der ungefähr einhundert Meter entfernten Festung zwei Spalten in der Mauer und nur kurze Zeit später wurde aus den Spalten eine Zugbrücke, die sich langsam auf die Felsnadel zubewegte und sich dabei verlängerte. Dakaron war beeindruckt von dem technischen Geschick, das den Bau einer solchen Brücke ermöglicht hatte. Noch mehr beeindruckte ihn die Uneinnehmbarkeit der Festung, die sich so hoch über dem Boden befand, dass sie nicht über Leitern und Belagerungstürme erreicht werden konnte. Ein Angriff war nur aus der Luft oder über die Felsnadel möglich – und diese war einhundert Meter von der Festung entfernt.
Die Zugbrücke hatte sich weiter gestreckt, die Felsnadel erreicht und war dann mit dem Rand des steinernen Plateaus nahtlos verschmolzen. Die Karawane der Jorka musste noch eine Wegschleife um die Felsnadel hinter sich bringen, um das Plateau ebenfalls zu erreichen. Dakaron lenkte die Fledermaus in schnellem Flug zu der Plattform, landete dort und schickte sein Reittier fort. Es würde auf einen Gedanken von Dakaron reagieren und sofort wieder zu ihm kommen, wenn er es benötigte. Der Schwarzmagae stellte sich in die Mitte der Plattform und wartete auf das Eintreffen der Karawane.
Der erste Reiter der Jorka erschien hinter der Biegung des Weges und zügelte seine Echse, als er Dakaron erblickte. Die Echse war so groß, dass auf ihr ohne Probleme auch mehrere Jorka hintereinander hätten sitzen können. Sie war mit metallisch-blau schimmernden Schuppen bedeckt und aus ihrem Mund schnellte ständig eine gespaltene, rosafarbene Zunge hervor. Die Echse hatte die Witterung des Zauberers aufgenommen. Der Jorka hatte seine vier Beine unter dem Bauch der Echse verklemmt und saß so ohne Sattel oder Zaumzeug fest auf seinem Reittier. Einen Moment später tauchten zwei weitere der Jorka-Krieger auf und gesellten sich zu dem ersten. Dakaron blickte mit ausdruckslosem Gesicht zu den Kriegern und wartete. Die drei unterhielten sich in kehligen Lauten. Dann rief der erste etwas zu Dakaron hinüber, der aber weiterhin auf seinem Platz in der Mitte der Plattform stehen blieb. In dem Moment, wo die ersten Mitglieder der Handelskarawane hinter der Biegung auftauchten, zogen die Krieger ihre Waffen. Diese waren Schwertern nicht unähnlich, hatten aber wie eine Säge viele Zähne auf der Schneide. Dakaron schickte einen Gedanken zu den Kriegern: „Ich möchte mit Euren Anführern sprechen! Bringt mich zu Ihnen!“ Der Gedanke war ein eindeutiger Befehl, der keinen Widerspruch duldete. Die drei sahen sich an und Dakaron konnte erkennen, dass sie keinesfalls gewillt waren, sich seinem Befehl zu fügen. Er fühlte, wie der vorderste der Jorka seine Echse anwies, sich ihm zu nähern und dass dies nicht in guter Absicht geschah. Ohne zu zögern, rief er die Fledermaus, die in großer Höhe über der Felsnadel kreiste. Sie ging in einen steilen Sturzflug über, der als Ziel den vordersten der Jorka hatte. Bevor seine Echse auch nur wenige Schritte gegangen war, stürzte sich die Fledermaus auf ihn und sein Leben endete, als sein Kopf im Maul der Fledermaus verschwand und vom Rumpf getrennt wurde. Die Fledermaus verschwand mit ihrer Beute, während der Rumpf des Jorka blutüberströmt langsam seitlich von dem Reittier rutschte. Im gleichen Moment vermittelte Dakaron Furcht. Er ließ Bilder in den Köpfen der beiden anderen Jorka entstehen, die ihnen sehr plastisch zeigten, wie sie langsam und qualvoll sterben würden, wenn sie sich seinen Befehlen widersetzten. Die Jorka zeigten sich unbeeindruckt, obwohl Dakaron sich sicher war, dass seine Gedanken eine entsprechende Wirkung entwickelt hatten. In großen Sätzen sprangen die Echsen in Richtung des Magae, der mit einer Handbewegung eine flimmernde Barriere vor sich erschuf. Die beiden Jorka trafen mit ihren Reittieren fast gleichzeitig auf die Barriere und wurden abrupt gestoppt. Im Moment der Berührung schossen unzählige, kleine helle Blitze aus der Barriere, die wie Schlangen über die Körper der Echsen und Krieger krochen und tiefe Verbrennungsspuren hinterließen. Der Geruch verbrannten Fleisches füllte die Luft und immer mehr und mehr der kleinen Blitze wandten sich ihren Opfern zu, deren unglaubliche Qual in ihren Gesichtern gelesen werden konnte wie Wörter in einer Schriftrolle. Sie hatte ihre lippenlosen Münder zu einem Schrei geöffnet, aber sie waren nicht in der Lage, auch nur einen Ton von sich zu geben; abgesehen von einem ständigen Zucken verharrten sie regungslos und mussten Dakarons grausamen Angriff ertragen. Die Mitglieder der Karawane starrten entsetzt auf das ekelhafte Schauspiel, das sich nur wenig Meter von ihnen entfernt ereignete. Ein kaltes Grinsen stahl sich auf Dakarons Gesicht. Er wandte sich um und betrat die Brücke, ohne auch nur einmal zu seinen Opfern zurückzublicken.
Hunderte von Jorka blickten durch die versteckten Fenster der Mauern und Türme auf die Plattform von „Nadel aus Fels“. Sie alle hatten verfolgt, was dort geschehen war, seit die Fledermaus und der Homuae gelandet waren. Alle waren entsetzt und konnten kaum glauben, dass das Wesen, das für die Schrecklichkeiten verantwortlich war, nun über „verlängerbare Brücke“ auf ihre Burg zuschritt. Statthalter „Felswandlos“ ging zum Tor, das sich hinter „verlängerbare Brücke“ befand. Seine Leibgarde hatte sich an den Wänden des Durchgangs platziert und war äußerst wachsam. Als der Homuae sich bis auf fünfzig seiner zweibeinigen Schritte genähert hatte, sprach er ihn in seiner Sprache an: „Wagt nicht, ohne unsere Erlaubnis diese Stadt zu betreten. Wir haben gesehen, was Ihr an unseren Brüdern verbrochen habt. Erklärt Euch! Was wollt Ihr?“
Von einem Moment auf den anderen entstand in Dakaron eine unvorstellbare Wut. Wann hatte jemals ein Wesen ihn davor gewarnt, eine Stadt zu betreten? Eine solche Anmaßung konnte er nicht tolerieren und er beschloss auf der Stelle, ein Exempel zu statuieren. Während die Jorka in der Stadt den auf der Brücke stehenden Dakaron beobachteten, hatten sie plötzlich den Eindruck, dass er größer und größer und mächtiger wurde. Sein Furcht verbreitendes Wesen wurde stärker und stärker. Er schien in einen schrecklichen, schwarzen Schatten gehüllt zu werden, der ständig wuchs und sich immer mehr der Festung näherte. Die Jorka, die ihn sahen, wurden von einer Mark und Bein erschütternden Furcht erfüllt und flohen von den Mauern und Türmen in ihre Unterkünfte, versteckten sich dort in Schränken und unter Betten. Es war eine grausame Aura, die Dakaron plötzlich umgab.
Dakaron spreizte die Beine und faltete die Arme über seinem Kopf und aus den gefalteten Händen ergoss sich ein Feuerstrom, der im Bruchteil einer Sekunde „Felswandlos‘“ Garde in einhundertundzwanzig kleine Aschehäufchen verwandelte. Nun antwortete Dakaron. Wiederum tat er