Himmelsfrost. Linda V. Kasten

Himmelsfrost - Linda V. Kasten


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      »Was?«, ich ließ meine Hand sinken.

      »Unser Anführer erlaubt keine Fehler. Er hat die Falsche getötet und dafür hat er mit seinem Leben bezahlt.«

      Ich sollte erleichtert sein. Er war tot. Doch stattdessen erfasste mich eine unkontrollierbare Wut.

      »Wie war sein Name?«, fragte ich mit zitternder Stimme.

      »Ist das denn wichtig?«, als ich nicht antwortete, hob er den Kopf und blickte mir in die Augen. »Sein Name war Mino.«

      Ich richtete mich auf, nicht sicher, was ich mit dieser Information anfangen sollte. Meine Gedanken überschlugen sich und eine schneidende Kälte erfüllte meinen Körper.

      »Wie finde ich euren Anführer?«

      Alarmiert schaute er zu mir hoch, in seinen Augen blitzte etwas auf, was ich nicht richtig deuten konnte.

      »Wie finde ich ihn?«, wiederholte ich meine Frage und versuchte meine Verunsicherung, wegen seiner plötzlichen Gefühlsregung, zu verbergen.

      »Gar nicht.«, er hatte sich wieder gefangen und schaute fast schon emotionslos zu mir hoch.

      Ich trat einen Schritt auf ihn zu.

      »Du kannst mich foltern, so viel du willst, doch ich kann dir nicht sagen, wo er ist, weil es niemand weiß.«

      Ich zog die Augenbrauen hoch. »Was ist das für ein Anführer, der sich vor seinen eigenen Leuten versteckt?«

      »Einer, dem du niemals begegnen willst.«

      Ich schnaubte. »Ich habe keine Angst vor einem Feigling. Dein Anführer ist ein Mörder, nichts weiter. Ich werde ihn finden und wenn ich ihn gefunden habe, werde ich ihn leiden lassen für das, was er getan hat.«

      Ich wandte mich ab, damit er nicht den Schmerz in meinen Augen sah.

      »Glaub mir, du bist nicht die Einzige, die versucht ihn zu töten. Glaubst du ernsthaft, ein kleines Mädchen wie du kann einfach in sein Versteck spazieren?«

      »Schon komisch, dass sich dein Anführer so viel Mühe macht mich zu töten, wenn ich doch nur ein kleines Mädchen bin, findest du nicht?«, erwiderte ich.

      Ayden wandte den Blick von mir ab. Da war etwas, dass er mir verschwieg. Ich konnte es in seinen Augen sehen.

      Draußen vor der Scheune warteten Cora und Tom auf mich. Cora strich sich nervös einige Haarsträhnen aus dem Gesicht und atmete erleichtert auf, als sie mich sah.

      »Er weiß, wer ich bin.«, verkündete ich. »Ich war diejenige, die sterben sollte, nicht Soey.«

      »Scheiße!« Tom strich sich den Schweiß von der Stirn.

      »Sie wissen, dass wir hier sind.«, fuhr ich fort.

      »Und dass du noch am Leben bist.«, fügte Tom hinzu. Ich nickte.

      Cora warf ihm einen Blick zu. »Wir haben keine andere Wahl. Wir müssen nach Dyllis.«

      Tom nickte. »Sie werden auf jeden Fall zurückkommen.«

      »Was machen wir mit ihm?«, meine Stimme klang müde und rau. In dem Moment, als ich die Scheune verlasse, hatte, war sämtliche Kraft aus meinem Körper gewichen. Anstelle von Wut spürte ich nur noch eine tiefe Müdigkeit.

      »Das Beste wäre, wenn ihr ihn dem Rat übergebt.«, antwortete Tom.

      »Ihr?«

      »Jemand muss hierbleiben und die Spuren verwischen. Ich komme nach, so schnell ich kann.«

      Ich warf Cora einen skeptischen Blick zu, ihre Augen waren dunkel vor Sorge. An die Stelle des normalerweise positiven Funkelns waren Angst und Sorge getreten. Und noch etwas Stärkeres: Wut. Genauso wie ich war sie es leid, sich ewig zu verstecken, wegzulaufen, ständig Angst zu haben.

      Wenn ich darüber nachdachte, hatte ich sie schon länger nicht mehr sorglos und glücklich gesehen.

      Ich griff nach ihrer Hand und drückte sie flüchtig. »Bis zum Sonnenaufgang sind es noch ein paar Stunden. Wir sollten noch etwas schlafen, bevor wir aufbrechen.«

      Cora nickte. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Tom einen Arm um sie legte und ihr einen Kuss auf die Stirn drückte. Ich beschloss, die zwei alleine zu lassen und begab mich ins Haus um meine Habseligkeiten zusammenzupacken. Nicht, dass es besonders viel zu packen gäbe. Unter meinem Bett lag eine Reisetasche, die für den Fall, dass wir schnell fliehen mussten, fertig gepackt war. Nur das Nötigste, kein überflüssiger Ballast. Ich überprüfte die Klingen, die ich in den Innentaschen versteckt hatte und legte den Bogen meiner Mutter sowie meine restlichen Messer neben mein Bett. Von einer plötzlichen Welle der Erschöpfung übermannt, schälte ich mich aus meiner Kleidung und ließ mich in Unterwäsche auf mein Bett fallen. Nachdem ich mich ein paarmal ruhelos hin und her gewälzt hatte, stand ich auf, nahm die Bilder von meinen Eltern und Soey und packte sie zusammen mit meinem Lieblingsbuch in die Tasche. Mein Blick fiel auf das kleine Holzkästchen mit dem Brief. Vorsichtig strich ich über den Deckel und packte es dann ebenfalls ein.

       6

      Am nächsten Morgen stand ich bereits vor Sonnenaufgang in der Küche. Ich hatte die ganze Nacht nicht richtig geschlafen, wie auch, nach den gestrigen Ereignissen. Cora lehnte gegenüber von mir an der Küchentheke und reichte mir einen Apfel. Normalerweise bestand sie darauf, dass man den Tag nicht ohne ein ausgewogenes Frühstück beginnen sollte, doch heute schien selbst ihr der Appetit vergangen zu sein. Aus dem Küchenfenster aus beobachtete ich, wie Tom die Pferde sattelte und aufbruchsbereit machte.

      Nachdem Cora und ich ihm eine Weile gedankenverloren zugesehen hatten, reichte sie mir ein Fläschchen mit einer durchsichtigen Flüssigkeit.

      »Das Nelkenextrakt für die Reise.«

      Ich beäugte die leicht trübe Flüssigkeit und schwenkte sie skeptisch hin und her.

      »Gib ihm nicht zu viel davon. Nur alle paar Stunden ein paar Tropfen, sodass es gerade reicht um seine Magie zu blocken.«, erklärte sie mir.

      »Was passiert, wenn ich ihm zu viel gebe?«, fragte ich.

      Cora zuckte mit den Schultern. »Halluzinationen, Schwächeanfälle, bis hin zu Vergiftung.«

      Als sie meinen Blick sah, hob sie warnend einen Finger. »Wir sollten ihn lebend nach Dyllis bringen.«

      Ich seufzte halb im Spaß. »Na schön.«

      Ich füllte ein Becher mit Wasser, träufelte ein paar Tropfen des Nelkenextrakts hinein und machte mich auf den Weg zur Scheune. Es war ein klarer, kühler Morgen und ich sog begierig die frische Luft in mich ein. Der Himmel wurde von der in Kürze aufgehenden Sonne in ein sanftes Orange getaucht. Wäre die Situation eine andere, hätte ich den Morgen als schön und friedlich bezeichnet und mir einen Moment Zeit genommen, um den Sonnenaufgang zu betrachten.

      An der Scheune angekommen hielt ich inne und atmete einmal tief durch. Ayden Blake saß genau wie am Tag zuvor mit den Rücken gegen den Holzpfeiler gelehnt. Als ich mich ihm näherte, hob er den Kopf und musterte mich durch zusammengekniffene Augen.

      »Trink das!«, forderte ich ihn auf und hielt ihm den Becher entgegen.

      »Du glaubst doch nicht allen Ernstes, dass ich nicht weiß, was du unter das Wasser gemischt hast?«

      Ich stellte den Becher vor ihm ab. »Doch, aber du kannst auch einfach verdursten. Das ist mir relativ egal. Dich bewusstlos zu schlagen wäre sowieso viel einfacher und effektiver.«

      Ayden warf mir einen vernichtenden Blick zu.

      Draußen vor der Scheune traf ich auf Tom, der gedankenverloren den Hügel hinauf blickte. Als er mich sah, nickte ich Richtung Scheune. »Kümmerst du dich um ihn?«

      Eine halbe Stunde später waren wir bereit zum Aufbruch.


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