Nach Amerika! Bd. 2. Gerstäcker Friedrich
und ich glaube bei Gott, es ist kein handgroßer Platz an meinem ganzen Leib, wo ich nicht einen Riß oder Biß habe von den Satanstieren. Du wirst mich tüchtig ausflicken müssen, Dony.»
Das Kind fing wieder an zu schreien; der Lärm der Hunde draußen ließ es nicht ruhen, und der Mann warf sich indessen, während die Frau nach dem Kleinen sah, erschöpft und blutig, wie er war, auf das Bett.
«Nun, Fräulein Schwägerin oder F r a u Schwägerin, ich weiß nicht einmal, wie man jetzt sagen muß, so lange haben wir nichts voneinander gehört, welchem glücklichen Ungefähr verdanken wir diesen Besuch, oder… » Er fuhr bei einem ihn plötzlich durchzuckenden Gedanken rasch von dem Lager auf und blickte scharf nach der Frau hinüber. «Hat mich Sidonie damit freundlich ü b e r – r a s c h e n wollen?»
«Sidonie wußte so wenig von meiner Ankunft wie Sie, lieber Graf», sagte Amalie, die mit Entsetzen den versteckten Verdacht in den Worten fühlte, und deren Blicken sich ein Abgrund öffnete.
«Graf?» lachte der Pole aber spöttisch auf. «Den Grafen müssen Sie hier weglassen, Fräulein v. Seebald, sieht das hier aus wie in einer gräflichen Wohnung? – Da, das ist der Rest meiner Vergangenheit», rief er, während er dort an der Wand hängende baumwollene Frauenkleider zurückschob und einen alten, mit Rost überlaufenen Kavalleriesäbel ans Tageslicht brachte, «auch ein prächtiges Symbol», setzte er mit höhnischer Bitterkeit hinzu, «denn die Lumpen hängen darüber hin und v e r s t e c k e n die letzten Überbleibsel des G r a f e n. Wie gefällt es Ihnen bei uns, heh? – Hübsch, nicht wahr? Romantisch genug, nur ein bißchen zuviel davon. Ja», setzte er dumpf brütend dazu, während er auf das Bett zurücksank und den Kopf in die Hand stützte, «früher war’s anders – besser vielleicht – vielleicht auch nicht, und ein freies, fröhliches Leben führen wir doch. Aber komm, komm, Dony, sieh mir nach dem Leib, der verdammte Bär hat mir doch weh getan, und ich glaube, ich habe viel Blut verloren; es wird mir auf einmal so schwach und schwindelig.»
Sidonie trat zu dem Bett des Gatten, um mit zitternder Hand die blutigen Kleider zu lösen und nach den Wunden zu sehen, die ihm der Bär im Todeskampf geschlagen, während Amalie, die schon Hut und Tuch abgelegt hatte, zu dem Kind ging und ihm den von der Mutter eingegossenen Trank zu geben suchte. Olnitzki hatte Recht gehabt: an Brust und Schultern trug er fast unzählige frische Wunden, keine aber glücklicherweise tief oder gefährlich, nur alle in das Fleisch hineingerissen, und mit dem Verband schwand auch bald jeder Anfall von Schwäche, den Blutverlust und übermäßige Anstrengung im Halten des jungen, schon ganz kräftigen Bären auf wenige Momente herbeigezogen.
Sidonie bereitete dann rasch etwas zu Essen für den erschöpften Gatten sowohl, wie für die Schwester, setzte die Kaffeekanne zum Feuer und tat Kaffee in die Mühle. Früher hätte es Amelie freilich nicht für möglich gehalten, daß die Schwester, auf deren Wink sonst zahlreiche Dienstboten lauschten, allein, ohne eine einzige Hilfe einem solchen Leben, solcher Arbeit preisgegeben sei; jetzt kam kein Laut des Staunens noch des Schmerzes mehr über ihre Lippen. Sie sah, sie fühlte ‘was, fürchtete sogar, daß noch mehr geschehen war, als sie sah, und nur die Angst erfüllte jetzt ihr Herz, ob da zu helfen – w i e da zu helfen sei.
Stimmen wurden draußen laut, die Hunde, die sich in etwas beruhigt hatten, als der junge Bär seinen sicheren Platz auf dem Baumast nicht mehr verließ und auf die unter ihm gelagerten Rüden ruhig niederschaute, schlugen wieder an, und Jack Owens Stimme rief gleich darauf, nach Waldesart, das Haus an, um von den Bewohnern einen in die Tür zu ziehen.
Olnitzki sprang selber, trotz Sidoniens Bitte, sich zu schonen, von seinem Lager auf, um zu sehen, wer da sei, und blieb verwundert in der Tür stehen, als er die Menge von Sachen, Koffern und Kisten, auf die Maultiere gepackt, vor seiner Wohnung halten sah.
«Hallo, Ihr Leute – guten Tag – was bringt Ihr da?» rief er hinaus. «Wetter noch einmal, Rosemore, seid Ihr ein wandernder Krämer geworden, der mit seinen Packen im Land herumzieht, um Band und Stecknadeln zu verkaufen? – Ah, Jack, Ihr führt wohl die Provisionen mit? – Nur herein mit Euch, der Kaffee wird gleich fertig sein, und ein heißer Becher voll uns gut tun.»
«Zum Henker noch einmal, Olnitzki, wie seht Ihr denn aus?» sagte Jack Owen, der indes vom Pferd gestiegen war und, das Wildbret auf der Schulter, auf ihn zukam. «Wer hat Euch denn so zugerichtet?»
«Der Bursche da und seine Mutter», lachte der Pole, auf den aufgebäumten jungen Bären deutend, «aber was soll’s mit dem Wilde?»
«Ihr habt Besuch bekommen», meinte der Jäger, leicht errötend, «und da ich nicht wußte, ob Ihr gerade Frischfleisch im Hause hättet, wollt’ ich Eurer Frau das Stück hier, das ich an der Gründornebene drüben vor einer Stunde etwa geschossen, herüberlegen. – Mir sind die Woche ein paar vor die Büchse gelaufen.»
«Und die Sachen da draußen?»
«Gehören der Dame – Eurer Frau Schwester, glaub’ ich, die gestern von Little Rock mit Billy Jones Geschirr herübergekommen.»
«So? – So ist die Sache? Nur herein, Ihr Leute – stellt die Geschichten nur indes da vorne hin, Rosemore; kann Euch wahrhaftig nicht einmal dabei helfen, denn der verdammte Bär hat mir die Arme so zerfetzt, daß sie mir steif und matt zu werden anfangen.»
Der alte Rosemore, der mit Bill Jones und Owens Hilfe die Kisten und Koffer bis zum Haus geschafft, trat jetzt mit diesem hinein, begrüßte die Frauen, frug nach dem kranken Kind, das er aufmerksam betrachtete und der Mutter verschiedene Kräuter anriet, um ein Bad daraus zu bereiten, und ließ sich dann von Olnitzki sein Abenteuer mit dem Bär erzählen, wollte aber unter keiner Bedingung zum Essen bleiben. Er sah, wie beengt der Raum schon ohnedies war, und weigerte sich auch, schon jetzt eine Bezahlung für den Transport der Sachen anzunehmen. Die Maultiere gehörten nicht ihm, wie er sagte, und er mußte den Eigentümer erst fragen, was er für den halben Arbeitstag für sie verlange – seinen eigenen Spaziergang verstünde es sich wohl von selbst, daß er den nicht rechnete.
Olnitzki redete den Nachbarn auch eben nicht besonders zu, noch zu verweilen, und eine Viertelstunde später trabten diese wieder, auf den indes ausgeruhten Tieren, der eigenen Heimat zu.
Sidonie hatte indessen der Schwester Hilfe für heute, da sie ja noch nicht Bescheid wisse in Haus und Wirtschaft, lächelnd abgelehnt, und Kaffee gemahlen und von dem frischen Fleisch in die Pfanne geschnitten, so daß bald ein recht gutes, nahrhaftes Mahl von Maisbrot und Wildbret, Honig und Kaffee auf dem reinlich gedeckten Tisch dampfte. Nur mit Sitzen, wie mit Geschirr und Messer und Gabeln sah es ärmlich aus. Amalie bekam die einzige noch ordentliche Gabel mit dem dazugehörigen Messer, Olnitzki nahm seinen Genickfänger, mit einer einzinkigen Gabel, um das Fleisch, das er schneiden wollte, damit zu halten, und Sidonie benutzte ein ausgeschnittenes Stück Rohr, das allem Anschein nach schon lange diesen Dienst verrichtete, abwechselnd des Gatten Messer dabei gebrauchend. Auch für den Kaffee bekam die Schwester eine der freilich henkellosen Tassen aus der alten Zeit, und wenn die Untertasse auch nicht dazu passte, trank es sich doch besser daraus wie aus den Blechbechern, die von Olnitzki und seiner Frau benutzt wurden. Aber ein eigenes, unheimliches Gefühl bemächtigte sich der Schwester, als sie den breiten Goldrand des zerbrochenen Geschirrs neben der blechernen Schüssel stehen sah, und dann der Zeit gedachte, wo sie selbst diese Tasse einst der jungen, hoffnungsseligen B r a u t geschenkt.
Das Gespräch bei Tisch war ziemlich einsilbig, und Sidonie selber konnte kaum fünf Minuten hintereinander auf ihrem Platz bleiben, so nahm das kranke Kind sie noch in Anspruch. Olnitzki aber neckte Amalien, daß sie so viel Gepäck in den Wald gebracht, wo sie so wenig brauchten, und war dann selber neugierig, zu sehen, was die Kisten enthielten, als ihm die Schwägerin sagte, daß das Meiste darin nur für ihn und seine Frau, wie für sein totes kleines Kind bestimmt gewesen, dessen Hinscheiden sie nicht einmal erfahren.
Einige Schwierigkeit hatte es für ihn, als das Essen beendet und das Kind in Schlaf gebracht worden, die Kisten mit seinen verwundeten Armen zu öffnen, aber es gelang ihm endlich, und Amalie suchte jetzt im Auspacken die Schwester – ja, sich selber zu zerstreuen, denn manches hatte sie mitgebracht, um ihr und dem Gatten eine Freude zu machen. Aber, lieber Gott, bei der Auswahl der Dinge war es ihnen daheim