Nach Amerika! Bd. 2. Gerstäcker Friedrich

Nach Amerika! Bd. 2 - Gerstäcker Friedrich


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sein können, daß sie Eltrich nicht annahm. Maulbeere wollte etwas Derartiges aber auch nicht einmal riskieren, und nur nach einer Weile auf das Entschiedenste mit dem Kopf schüttelnd, drehte er sich um, hakte sein Tragband wieder ein und fuhr in seinem gewöhnlichen, schwankenden Gang die Levée hinauf, der Dampfbootlandung zu.

       Über den freien, vor dieser Landung liegenden Platz schritt ein Mann mit einer Frau. Der Mann trug einen Jagdranzen über der Schulter, die Frau ein in ein rotes Tuch eingeknüpftes Bündel in der Hand, aber den Kopf bloß dabei, die Haare wirr und ungemacht, und nur mit einem schwarzsamtenen Band zusammengebunden, in dem vor ein kleiner, unechter, emaillierter Schmuck hing. Ohrringe und Halskette waren von demselben Metall, paßten aber, wie das in grellbunten Farben prangende seidene Tuch, das sie um den Hals trug, schlecht zu den bleichen Wangen, den hohl liegenden, stieren Augen. Die Leute, die ihnen begegneten und nicht gerade zuviel mit sich selber zu tun hatten, blieben auch stehen und schauten der wunderlichen, ja fast unheimlichen Gestalt nach, die wankenden Ganges neben dem Mann hinschritt, mit den Händen dabei focht und einzelne, unzusammenhängende Worte ausstieß.

       «Sei jetzt vernünftig, Jule!» flüsterte ihr der Mann zu, ihren Arm zu gleicher Zeit fassend, daß sie vor Schmerz einen leichten Schrei ausstieß. «Zum Donnerwetter noch einmal, alle Menschen, die uns begegnen, stieren uns an und halten Dich am Ende noch für verrückt. Laß doch zum Teufel die Arme ruhig, was hast Du denn damit in einem fort in der Luft herumzufahren? Wenn Du mir nicht unterwegs wieder vernünftig wirst, weiß ich wahrhaftig gar nicht, was ich mit Dir anfangen soll.»

       «Unterwegs? – Ja – das ist gut», sagte die Frau, leise vor sich hinlachend, «unterwegs – wenn wir nur erst unterwegs wären – ich sehne mich danach.»

       «Na, dann geh auch ordentlich zu und betrage Dich nicht so albern», brummte der Mann, «sieh, das Boot raucht schon, wir müssen machen, daß wir hinunterkommen.»

       «Herrgott!» rief die Frau, plötzlich stehenbleibend und sich mit der linken Hand wild über die Stirn streichend. «Wir haben – wir haben etwas zu Haus vergessen!»

       «Vergessen?» sagte der Mann, sie fragend anschauend. «Na, was ist nun wieder los – die Brieftasche? Nein, die habe ich hier, und das Geld ist auch da – was hast Du denn vergessen?»

       «Die K i n d e r ! » flüsterte die Frau und ergriff heftig seinen Arm; der Mann aber schleuderte sie wild von sich. Wie er jedoch sah, daß mehr und mehr Menschen auf sie aufmerksam wurden, und stehenblieben und ihnen nachschauten, trat er rasch an die Frau wieder heran, zog ihren linken freien Arm in den seinen, und sie mit eisernem Griff haltend und mit sich fortziehend, zischte er ihr ins Ohr:

       «Bist Du denn ganz des Teufels, sinnloses Weib, hier auf offenem Platz den Unsinn auszuschreien? – Oder möchtest Du etwa mit den amerikanischen Zellengefängnissen Bekanntschaft machen? Komm – halte Dich fest an mich und verliere Dein Bündel nicht; ein Glück, daß die Leute kein Deutsch verstehen.»

       «Gehen wir denn hin, wo sie sind?» frug die Frau rasch, immer noch an dem einen Bild sich anklammernd.

       «Mir wärs recht, wenn Du’s tätest», rief der Mann in finsterem, kaum zurückgehaltenem Groll, «ich habe das Gewinsele und Geklage satt – begreife überhaupt nicht, wie ich es so lange ausgehalten, und geb’ Dir meinen Segen auf die Reise.»

       «Und ich d ü r f t e zurück?» rief die Frau rasch und heftig, bewegt zu ihm aufschauend.

       «Treib keinen Unsinn», knurrte der Mann, «Du wärst am Ende imstande, ihnen gerade wieder in den Rachen zu laufen und die Freude zu machen, daß sie Dich eine halbe Lebenszeit ins Spinnhaus stecken könnten. – Dort liegt unser Boot – alle Wetter, da geht auch ein alter Bekannter noch von Bord her, kennst Du den, Jule?»

       «Laß den widerlichen Menschen», sagte die Frau, in sich zusammenschaudernd.

       «Guten Tag, Herr M e i e r ! » rief in diesem Augenblick Maulbeere, der mit seinem Karren gerade an ihnen vorüberfuhr und den Hut in spöttischer Ehrerbietung tief gegen ihn schwenkte. «Bitte mich Ihrer Frau Gemahlin auf das Gehorsamste zu empfehlen.»

       Steffen, der seine rechte Hand in der Hosentasche stecken hatte, zog sie heraus, griff an die Mütze, und ging steif und finster an dem ihm aus mehr als einer Hinsicht verhaßten Scherenschleifer vorüber.

       «Ein nobles Pärchen», murmelte dieser aber vor sich hin, als er, ohne sich nach den beiden weiter umzusehen, an ihnen vorbeigefahren war, «ein s e h r nobles Pärchen, das muß wahr sein. Gäbe auch ‘was drum, wenn ich wüßte, das die einmal für ein Ende nehmen hier in Amerika – jedenfalls auf Staatsunkosten, oder müßte mich sehr irren.»

       «Hallo, Scherenschleifer!» rief da eine laute, fröhliche Stimme hinter ihm her. «Halt da, hier ist Arbeit für Euch!»

       Maulbeere hielt rasch still und sah sich nach dem Rufer um. Dieser stand vorn auf dem Bug desselben Bootes, das der Mann von der Haidschnucke mit seiner Frau eben betreten hatte und das an seinem Boilderdeck ein großes Schild mit dem Namen: The Backwoods Queen und dem Bestimmungsort: St. Louis trug.

       «Ist denn heute die ganze Haidschnucke über die Landung weggeschüttelt?» murmelte der Scherenschleifer erstaunt zwischen den Zähnen durch, als er wieder einen seiner Reisegefährten, ebenfalls als Bootsmann gekleidet, gar nicht weit von sich entfernt stehen und winken sah. «Und blaue, verdammt kurze Hemden scheinen ein ordentlicher Modeartikel zu sein – hm, hm, hm, Herr Donner als Matrose, auch nicht übel! Zachäus Maulbeere darf da, seinen größeren Fähigkeiten entsprechend, wohl bald erwarten, Kapitän zu werden.»

       «Nun, Maulbeere, wie gehen die Geschäfte?» rief ihm Georg Donner noch einmal zu, und kam dann über die Laufplanke, seine beiden Daumen vorn in dem breiten Ledergürtel, der seine Hüften umschloß, herüber an Land. «Wetter noch einmal, Mann, Ihr seht noch genauso aus wie an Bord und habt Euch nicht im mindesten amerikanisiert!»

       «Hätte bald ‘was gesagt», brummte Maulbeere, die Gestalt vor sich mit einer eigenen Mischung von Spott und Humor betrachtend, «aber was tun Sie hier eigentlich, und wie sehen Sie aus?»

       Maulbeere hatte allerdings Ursache so zu fragen, denn mit Georg Donner schien jedenfalls eine ganz eigentümliche und große Veränderung vorgegangen zu sein. Schon in seinem Äußeren war er ein anderer Mensch geworden, der den dunklen Rock ab- und ein kurzes, blaues Matrosenhemd übergeworfen hatte, das in der Mitte von dem schon erwähnten Ledergürtel zusammengehalten wurde. Die Beine staken in Hosen von demselben einfachen Stoff, sein blaugestreiftes Hemd hielt ein schwarzseidenes, in einen Matrosenknoten geschlagenes Halstuch zusammen, und das dunkle, lockige Haar deckte eine baumwollene schottische Mütze, während an dem Gürtel ein kurzes Matrosenmesser mit hölzernem Griff in lederner Scheide hing. Aber das nicht allein – sein ganzes Wesen hatte das Ernste, Träumerische verloren, das ihm an Bord so eigen gewesen, und war frei und entschlossen, ja fast keck geworden, ohne jedoch dadurch irgendetwas von seiner offenen Ehrlichkeit verloren zu haben.

       Er lachte, als er den schmutzigen, verdrossenen Burschen, der ihm immer in seinem ganzen Wesen viel Spaß gemacht, noch eben so sauertöpfisch, bis in dasselbe Knopfloch hinauf eingeschnürt, und ohne die Spur von irgendeiner reinen Wäsche vor sich stehen sah, besserte aber dadurch Maulbeeres Laune keinesfalls.

       «Wie ich aussehe, mein würdiger Maulbeere?» lachte Donner. «Wie ein Mann, der entschlossen ist, seinen Weg in Amerika zu machen, und das Land zu sehen und kennenzulernen.»

       «Um das L a n d kennenzulernen, gehen Sie auf’s W a s s e r ? » fragte der Scherenschleifer, seine Stirnhaut zu unzähligen Falten zusammenziehend. «Auch nicht übel, und als was? – Kapitän, Steuermann, Koch, Ingenieur?»

       «Nicht von alledem, Kamerad», lachte der junge Mann, «zu so hohen Posten kann man erst avancieren, wenn man von der Pike auf gedient hat; vorerst mache ich eine Reise als Feuermann mit.»

       «Als H e i z e r an Bord?» frug Maulbeere wirklich erstaunt.

       «Als Heizer», bestätigte Donner lachend, «mit dreißig Dollars monatlichem Gehalt, und frei Kost und Logis, Whisky, Zucker, Kaffee und wie die Vorteile alle heißen, die uns das wackere


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