Nach Amerika! Bd. 2. Gerstäcker Friedrich

Nach Amerika! Bd. 2 - Gerstäcker Friedrich


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von dem unförmlichen Sonnenbonnet fast verhüllt, stieg die Bank zu ihm hinauf, eine widerspenstige Schere, mit der der Vater oder Gatte so lange Bindfaden geschnitten hatte, bis sie jeden weiteren Dienst verweigerte, wieder zu stellen und zu schärfen. Oder der Flatbootmann selber stieg langsam das Ufer hinan, ein riesiges, langes Messer in der Hand, mit dem er Speck und Käse schneiden mußte, und das er auch gern schärfer haben wollte, als es war. Solange er seinen Stein dann drehte, daß die hellen, blitzenden Funken daraus vorblitzten, drängte sich ein Kreis von neugierigen Müßiggängern, von denen die Levée schwärmt, um ihn her, nicht selten fast mehr von der wunderlichen Gestalt des Mannes selber, als von seiner Arbeit ergötzt, bis er die ihm gebrachten Instrumente in Stand gesetzt, sein Geld dafür eingestrichen und sein Tragband wieder eingehakt hatte, um mitten zwischen die Schar, die ihm lachend Raum gab, mit einem deutschen «Bitt’ um Verzeihung» hineinzufahren.

       An manchen Stellen wurde er übrigens durch die dort aufgestapelten Fässer und Waren in seiner Bahn aufgehalten, und mußte einen Umweg machen, den Hindernissen aus dem Weg zu kommen. Eben auch war er wieder einer Anzahl fettglänzender und entsetzlich duftender Porkfässer56 ausgebogen, als er eine lachende Stimme seinen Namen nennen hörte. Wie er aber stehenblieb und sich überall vergebens nach einem bekannten Gesicht umschaute – denn auf die Arbeitsleute, von denen ein großer Teil gerade Mittag gemacht, während das Ausladen noch nicht wieder begonnen hatte, achtete er gar nicht – rief einer der Flatbootleute, die zwischen den heraufgerollten Pork- oder Schweinefässern standen, und von der schmutzigen Arbeit und Schweiß und Sonne in ihren kurzen blauen Oberhemden und abgetragenen oder zerdrückten Strohhüten kaum eine Physiognomie erkennen ließen, indem er dem Scherenschleifer freundlich zunickte:

       «Aber, Herr Maulbeere, kennen Sie mich nicht mehr?»

       «Wetter noch einmal!» sagte dieser, seinen Karren niedersetzend und die Gestalt erstaunt von oben bis unten betrachtend. «Die Stimme ist mir bekannt und das Gesicht auch, hat wenigstens, wie Herr Schulze sagen würde, eine merkwürdige Ähnlichkeit mit einer Nebelkrähe oder einem Schornsteinfeger.»

       «Habe ich mich denn in den paar Tagen so merkwürdig verändert», lachte der Mann, seinen Hut abnehmend, unter dem eine Fülle kastanienbraunen, lockigen Haares vorfiel, «daß mich mein Reisegefährte und Kojennachbar nicht einmal mehr kennt?»

       «Herr Eltrich – so wahr ich lebe!» sagte Maulbeere, jetzt aber wirklich auf das Äußerste erstaunt. «Wie um Gottes Willen sehen Sie denn aber aus, und was machen Sie hier in dem Aufzug und bei d e r Arbeit?»

       «Mein Schicksal ist bald erzählt», sagte der junge Mann mit lachendem Gesicht, aber doch kaum imstande, einen gewaltsam aufsteigenden Seufzer zu unterdrücken. «Kaum hier in New Orleans angekommen, ließ ich mir auf leichtsinnig kindische Weise – ich war genug davor gewarnt worden – und von dem Neuen, was mich überall umgab, beirrt, von dem Neger, der mein sämtliches Gepäck auf seinem Karren hatte, dieses mit allen unseren Effekten, ein paar Kleinigkeiten, die meine Frau in der Hand trug, ausgenommen, entführen. Von allem entblößt, was schon der einzelne Mann, wie viel mehr eine Familie zu ihrem Leben braucht, sah ich, wenn ich nicht rasch Anstalt machte, Geld zu verdienen, unseren Untergang, oder doch einen Zustand grenzenloser Not vor Augen. Vergebens lief ich dabei herum, in meiner Kunst Beschäftigung zu erhalten – ich konnte mich nicht einmal anständig kleiden, denn es war ja alles zum Teufel, und mit etwas abgerissen aussehenden Menschen wollte sich niemand einlassen. Wir aber brauchten auch außerdem Brot, ein paar Dollars, die ich noch im Vermögen besaß, nahmen schon in der ersten Woche so rasend schnell ab, daß ich mir genau die Zeit berechnen konnte, wo wir, wenn nicht irgendetwas geschah, das aufzuhalten, auch ohne einen Pfennig dasitzen würden, und ich entschloß mich kurz und gut, Arbeit zu suchen und zu nehmen, wo ich sie finden würde. Drei Tage lief ich auch hiernach vergebens herum; der gute Wille tat es nicht allein, denn die wieder gesundere Jahreszeit in New Orleans hatte eine wahre Unmasse von Arbeitern hierher zurückgeworfen, bis ich, eigentlich in letzter Verzweiflung, diese Boote besuchend, Arbeit und guten Lohn auf einem von ihnen fand. Es hatte gerade seine Leute streiteshalber, den sie mit dem Eigentümer gehabt, entlassen.»

       «Und d i e Arbeit hier können Sie tun?» sagte Maulbeere, abwechselnd und erstaunt bald die leichte, schmächtige Gestalt, und die sonst so feinen, jetzt fettbeschmutzten Hände des jungen Mannes, bald die schweren Pork- und Mehlfässer betrachtend, die um ihn her aufgestapelt lagen.

       «Der Mensch kann alles, was er m u ß », lachte der junge Mann. «Früher hab’ ich es freilich selber nicht für möglich gehalten, jetzt aber geht es, und alles berücksichtigt, sogar vortrefflich, denn ich verdiene, außer der Kost, einen Dollar den Tag, und befinde mich vollkommen wohl und gesund dabei.»

       «Und Ihre Frau?»

       «Pflegt zuhause das Kind und weint und lacht, wenn sie mich in diesem Aufzug ankommen sieht. – Ich habe sie aber noch nicht bewegen können, einmal mit dem Kleinen hier herunterzukommen und unserer Arbeit zuzusehen – sie meint, es bräche ihr das Herz.»

       «Bah», sagte Maulbeere kopfschüttelnd, «wenn S i e sich nicht den Rücken bei den verdammt schweren Fässern brechen, glaube ich nicht, daß Gefahr für Ihrer Frau Herz zu fürchten ist, aber – was Leichteres wäre mir doch auch lieber. Ich weiß nicht, den Begriff Amerika habe ich mir anders gedacht, als Fässer gepökelten Schweinefleisches bergauf zu kollern.»

       «Ich auch, lieber Maulbeere, ich auch, aber was wollen wir machen?» lächelte Eltrich. «Hunger tut weh und ehrliche Arbeit schändet hier nicht, das ist schon ein ungeheurer Vorteil dieses freien Landes – andere habe ich allerdings noch keine Gelegenheit gehabt, kennenzulernen.»

       «Es ist eine kleine, aber doch immer eine Empfehlung», sagte Maulbeere achselzuckend, «und ungefähr so, als ob ich jemanden ins Wasser werfe, und erlaube ihm dann, das Maul zuzumachen und zu schwimmen – und dafür fünfunddreißig Taler Gold Passage – kommt mir beinah’ ein wenig teuer vor. – Haben Sie die Fässer Pech – oder ist das etwa gar Kolophonium57 auch mit heraufgewälzt?»

       «Ja», lachte Eltrich.

       «Stoffverschwendung», murmelte Maulbeere zwischen den Zähnen durch, und setzte dann lauter hinzu: «Nein, zu s o l c h e r Arbeit möchte ich mich doch nicht verstehen; werde wenigstens suchen, mich so lange davor zu bewahren als möglich. Meine Absicht ist hier in Amerika, sobald sich eine schickliche Gelegenheit dazu bietet, meinen Händen, wie meinem linken Hinterbein, das nun so lange Jahre hat das Rad treten müssen, Ruhe zu gönnen und mit dem Geist zu arbeiten.»

       «Aber wie wollen Sie das anfangen, Herr Maulbeere?»

       «Daran arbeitet mein Geist eben noch», sagte der Scherenschleifer etwas geheimnisvoll, «der passende Zeitpunkt ist auch noch nicht gekommen. Sollte er nahen, werde ich ihn nicht versäumen.»

       «Hallo, boys – hier, macht, daß die Sachen hinaufkommen!» unterbrach da eine Stimme vom Flatboot herauf die Unterhaltung der beiden Reisegefährten. «Die Karren kommen da oben schon wieder zurück und wollen Ladung haben.»

       «Ich muß fort, Herr Maulbeere», rief Eltrich rasch, dem Mann die Hand entgegenstreckend, sie aber wieder zurückziehend, «ich mache Sie schmutzig», setzte er, dabei leicht errötend, hinzu.

       «Ich wasche mich wieder», sagte Maulbeere, ohne eine Miene zu verziehen, nahm die nochmals dargebotene Hand, schüttelte sie weit wärmer, als das sonst seine Gewohnheit war, und blieb dann, während Eltrich wieder nach dem Boot hinuntersprang, noch eine Weile oben auf der Levée, die heiß niederbrennende Sonne nicht weiter beachtend, halten, um zuzusehen, wie sein Reisegefährte arbeitete. Eltrich war vielleicht der einzige von den Zwischendeckspassagieren gewesen, mit dem er nie ein unfreundliches Wort gehabt, der ihn nie verspottet oder verärgert; einer der wenigen, dem, wie seiner Frau, man es auf den ersten Blick ansah, daß sie einst in besseren Verhältnissen und größeren Bequemlichkeiten gelebt, während sie sich doch alle beide nie, auch über die größten Unannehmlichkeiten nicht, weder über Kost noch Raum beklagten. Das besonders hatte ihnen die Achtung dieses wunderlichen Zwitterdings von Tier und Mensch, des Scherenschleifers, gewonnen, und wenn dieses Herz überhaupt einer solchen Regung fähig gewesen wäre, würde er den jungen Mann, der sich mit seinem schmächtigen


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