Die Pferdelords 05 - Die Korsaren von Umbriel. Michael Schenk
der Bürger auf dem großen Platz hinzurichten.
Die Stadt war nur undeutlich zu erkennen, denn obwohl der Überfall der
Korsaren schon einige Tageswenden zurücklag, hing über ihr noch immer
schwerer dunkler Rauch in der Luft.
»Das werden die Kornspeicher sein«, meinte einer der Matrosen. »Die
Häuser haben die Bewohner bestimmt längst gelöscht, aber wenn die Speicher
brennen, dauert es seine Zeit.«
Neben der Stadt war das Zeltlager der alnoischen Truppen zu erkennen.
Dort war Bewegung, und eine Gruppe von Reitern preschte zum Ufer
herüber. Einer der Männer führte eine weiße und eine rote Flagge mit sich,
deren Tuch jeweils eine halbe Länge im Quadrat maß. Er sprang aus dem
Sattel, sah zu den Schiffen herüber und begann die Fahnen in einer
bestimmten Abfolge zu bewegen.
»Zwei Schiffe der Bestien sind entkommen«, las Großkapitän Gort ta
Mergon ab. »Eines von ihnen ist schwer beschädigt. Sie sind flussabwärts
gefahren.«
»Wohin auch sonst?«, brummte Halblar. »Die verfluchten Bastarde haben
ihre Beute gemacht und bringen sie nun in Sicherheit. Ich frage mich, wie sie
überhaupt an Gendaneris vorbeischlüpfen konnten.«
Der Signalwinker der »Shanvaar« bestätigte die Winkmeldung vom Ufer,
und ta Mergon seufzte leise. »Ihre schwarzen Schiffe sind in der Nacht fast
unsichtbar. Zumindest wenn sich Wolken vor die Sterne schieben. Zudem
sind Bucht und Fluss sehr breit. Die Bestien warten nur auf eine Gelegenheit,
an der Hafenfestung mit ihren wenigen Wachschiffen vorbeizuschleichen.
Meist werden sie entdeckt, aber«, er zuckte die Schultern, »gelegentlich
kommen ein paar von ihnen durch.«
»Ja.« Halblar spuckte ins Wasser. »Und dann morden und plündern sie.«
»Diesmal werden sie uns nicht entkommen«, sagte ta Mergon
zuversichtlich. »Zumindest das beschädigte Schiff wird langsam sein. Noch
vor Gendaneris werden wir die Bestien stellen.« Der Großkapitän wandte sich
dem Steuermatrosen zu. »Maschine auf dreihundert Umdrehungen. Ich will
sie zu fassen kriegen.«
»Maschine auf dreihundert Umdrehungen«, bestätigte der Mann am
Steuer.
»Die ›Netluaar‹ wird mit ihren Segeln nicht mithalten können«, warf
Halblar ein.
Ta Mergon erlaubte sich ein schmallippiges Lächeln. »Wie ich erwähnte,
Halblar, mein Freund, die Brennsteinmaschine hat auch ihren Vorteil.«
Das Segelkampfschiff »Netluaar« fiel hinter den beiden
Dampfkanonenschiffen »Shanvaar« und »Aivaar« zurück, aber ta Mergon
wollte keine Zeit verlieren. Der Anblick der geschundenen Stadt Mintris hatte
ihn mit Zorn erfüllt, und er wollte die Verantwortlichen stellen und
vernichten.
Aber es dauerte noch einige Zehnteltage, bis vor ihnen endlich zwei dunkle
Silhouetten auf dem Fluss sichtbar wurden.
»Das sind sie«, knurrte ta Mergon zufrieden, als der Ausguck im Mastkorb
über ihnen die Sichtung meldete. »Wir haben sie.«
Es waren unzweifelhaft die gesuchten Korsaren. Der schnittige Rumpf
ihrer Schiffe war tiefschwarz, und dort, wo die Öffnungen für Ruder oder
Waffen waren, wirkte das Schwarz noch dunkler und drohender.
Die Masten waren so hoch, wie das Schiff lang war, und die Segel, tiefrot
gefärbt, zeigten die jeweiligen Symbole der Korsarenschwärme.
»Könnt Ihr den Schiffstyp erkennen?«, rief ta Mergon zum Mastkorb
hinauf.
Die beiden flüchtenden Schiffe waren nur von hinten zu sehen, und es war
schwer einzuschätzen, welche Größe sie hatten. »Sie fahren meist mit den
kleineren Schiffen den Fluss herauf«, sinnierte Halblar mit gedämpfter
Stimme. »Für die großen Kampfsegler fehlt ihnen hier der Manövrierraum,
und sie kennen den Fluss und seine Gefahren nicht so gut wie wir.«
»Das hintere ist ein Jagdschiff«, meldete der Ausguck. »Der davor scheint
ein Kampfsegler zu sein.«
Die Jagdschiffe der Korsaren trugen zwei Masten und hatten einen
schnittigen Bug. Es waren leichte Schiffe, dazu bestimmt, das Meer nach
Beute abzusuchen und die schweren Kampfsegler heranzuführen.
»Das Jagdschiff macht mir keine Sorgen«, gestand der Großkapitän ein.
»Es ist zu leicht gebaut. Sein Rammsporn kann unseren metallverstärkten
Rumpf nicht durchdringen, dazu ist unser Panzer zu dick. Es führt auch keine
großen Katapulte. Nur einige der Pfeilschleudern, mit denen sie die Segel und
Takelage eines gegnerischen Schiffes zerstören können, um es
manövrierunfähig zu machen, bis die großen Segler heran sind. Doch selbst
wenn die Bastarde unsere Segel zerstören, können wir sie mit der Kraft der
Brennsteinmaschine einholen.«
»An Deck«, rief da der Ausguck. »Das vordere Schiff ist ein Kampfsegler
mit drei Masten, aber der Hauptmast ist gebrochen!«
»Ah!« Ta Mergon rieb sich aufgeregt die Hände. »Sie haben einen Mast
verloren. Das behindert sie und macht sie langsamer. Ja, jetzt fahren sie eine
halbe Wende, und die Linien werden lang. Nun kann man es sehen. Auch ihre
Segel haben Schaden genommen. Statt der roten Tücher haben sie weißen
Stoff gesetzt. Das Schiff hat gelitten, Halblar, mein Freund, und wenn wir erst
heran sind, wird es noch viel mehr leiden.«
»Wie ist der Kampfsegler bewaffnet?«, fragte der Steuermatrose neugierig.
»Verzeiht die Frage, edler Herr, aber ich bin noch nie einem Korsarenschiff
begegnet.«
Ta Mergon lächelte freundlich. »Ihr könnt stolz darauf sein, es nun zu tun.
Ihr werdet in den Tavernen von Alneris eine gute Geschichte zu erzählen
haben.«