Rufe aus Morgania. Brigitte H. Becker
wurde im weiten Bogen hochgeschleudert und landete rücklings am äußersten Rand des Blätterteppichs, der sie zum Glück weich auffing.
Verschreckt und entsetzt wie sie war, brauchte es Zeit, um sich aufzurappeln.
Sie sah an sich hinunter und schaute sich suchend um. Der Zauberstab lag unversehrt auf einem hochgebogenen Blatt, und ihr Kleid hatte keinen Tropfen abbekommen.
Überall blitzte und zuckte es am Himmel wie im Wasser, doch war kaum noch Wellengang.
Die weiße Sternblüte war im Geflimmer der hinein gesprungenen Sternkinder kaum noch auszumachen, die damit im weiten Strahlenkranz, den ihre Mond Mutter über den Weiher warf, versuchten, den Widersacher des Elfenprinzesschens außer Gefecht zu setzen.
Lichtpfeile surrten durch die Luft, Speere der königlichen Leibgarde.
Gezackte Fledermausflügel hoben sich übergroß vom Mondlicht ab. während der Körper sich verflüchtigte.
Im Zickzackflug wich der Angreifer geschickt den Zauberspeeren aus.
Als ein Wölkchen Frau Luna ausblendete, tauchte eine Schattengestalt im Vollbild davor auf, die, offensichtlich von einem Mondstrahl geblendet, ins Torkeln geriet.
Irritiert löste die fledermausartige Gestalt eine Klaue vom aus voller Kehle brüllenden Neugeborenen, um sich die Augen zuzuhalten, packte aber mit der anderen umso fester zu.
Plötzlich rauschte es gewaltig über Nellyfers Kopf. Es kam ihr irgendwie bekannt vor!
Ein heftiger Windzug fegte durch die Seerosenblätter, dass die Blüten erschreckt die Köpfe einzogen. Beim Hochschauen musste sie ihre Augen mit einer Hand abdecken.
Frau Luna stand nun so tief, dass sie gewaltig blendete, und die bei ihr verbliebenen Sternkinder schienen sich im Funkeln zu übertreffen.
Ein Windgeist schnellte im silbergrauen, flatternden Gewand auf den Kindsdieb zu.
Nun ging alles rasend schnell, zu schnell, es im blitzenden Lichtmeer genauer zu verfolgen.
Der Windgeist pustete dem Flattergeist aus vollen Backen ins Gesicht und brachte ihn ins Schleudern, packte ihn am Schlafittchen und entriss ihm das Kind, das herzzerreißend schrie.
Der Dieb entwand sich ihm, um das Weite aufzusuchen, und war bald nicht mehr zu sehen. Der Windgeist flog wimmernden Baby im Arm auf Nellyfer zu. Es war tatsächlich Sylphon. Nellyfer zögerte nicht lange, als er wortlos vor ihr niederkniete und stieg auf seine Schulter. Beschwichtigend redete sie im atemberaubend schnellen Flug auf das Kleine ein.
Eh sie sich versah, waren sie am Ufer angelangt.
Sylphon überreichte Meridor das Kind und sah sie fragend an. Sie nickte ihm nur zu.
Während Nellyfer dem zitternden Prinzesschen mit ihrem Zauberstab ein Kleidchen und ein Blütensteckkissen herbeizauberte, entspann sich zwischen dem Paar ein wortloser Dialog.
In der Aufregung war der rosa Kleiderstoff beim Anzaubern etwas blass geraten, was Meridor jedoch nicht wahrzunehmen schien, als sie das weiche Kissen in Empfang nahm, um ihr Kind hineinzulegen. Allmählich beruhigte sich das zarte Wesen und hörte auf zu wimmern.
Elfengrüppchen stieben auseinander. Man riss sich um die besten Plätze und verrenkte sich den Hals, um alles mitzubekommen.
Doch lief nach dem Horrorszenarium auf dem Wasser alles schweigend ab.
Die Waldfee schüttelte der Elfenkönigin die Hand, um sie zur Tochter zu beglückwünschen. Die Elfen hielten den Atem an, als sie auf Sylphon zutrat, um auch ihm die Hand zu reichen.
Während einige sich mit offenem Mund anstarrten, nickten andere sich bedeutsam zu.
Lange war gerätselt worden. Nun war es heraus!
Das war also ihr Freund und Vater des Prinzesschens. Sie waren ein seltsames Paar.
Die Elfenkönigin reichte dem Windgeist im silbrigen Festgewand mit Trompetenärmeln und anthrazitfarbener Schärpe um die Mitte nicht einmal bis zur Schulter.
Neben ihm wirkte sie noch im bodenlangen, farbschillernden Kleid schleierdünn und nebulös.
Meridor wagte vor lauter Verlegenheit nicht, von ihrem Kind aufzuschauen, wusste sie doch zu genau, was Elfen von Windgeistern hielten. Zwar waren sie ihnen als Luftwesen anverwandt und wurden als Reisemittel geschätzt und für ihre Schnelligkeit bewundert, aber wegen ihrer Verwegenheit gefürchtet und gemieden
Ihre Mutter hatte sich nie daran gewöhnen können, wenn Meridors impulsiver Vater sie, wie aus dem Nichts auftauchend, zu den ungünstigsten Gelegenheiten im Schloss überfiel.
Sie selbst hatte es Sylphon untersagt. Aber wer weiß, ob der sich noch daran halten würde, wo ihre Beziehung publik geworden war. Sie zu verheimlichen war nicht einfach gewesen.
Aber anscheinend hatte es geklappt. Sonst wäre die Überraschung nicht so groß gewesen.
Sylphon entkrampfte die Situation, indem er Meridor das Kissen mit dem gemeinsamen Kind abnahm, um es nach ausgiebiger Betrachtung voll Vaterstolz auf erhobenem Arm den Anwesenden zu präsentieren. „Seht her, unser Prinzsschen. Ist es nicht eine Schönheit?“
In einer stürmischen Umarmung drückte der verdutzten Mutter einen knallenden Schmatz auf. Meridor wäre am liebsten im Erdboden versunken. Wie konnte er nur in aller Öffentlichkeit!
Schon rümpfte Eliodor die Nase. Alle anderen waren offensichtlich sprachlos.
Dann brandete tosender Beifall auf; viele Hände winkten dem ungleichen Paar begeistert zu. Hochrufe erschallen; von allen Seiten waren Ausrufe zu hören wie:
„Gut gemacht!“, „Ist die süß!“ und „Oh wie niedlich!“
Doch versetzte der entstehende Tumult das Königskind in Panik. Es schrie und schrie aus vollem Hals und war nicht zu beruhigen, weder von seiner Mutter, noch von seiner Amme.
Alle verstummten, als die Waldfee abwehrend mit den Armen ruderte.
„Halt, halt! Ihr erschreckt das Kind. Es hat einen Schock erlitten. Ich muss es untersuchen.“
Es wurde mucksmäuschenstill, als Eliodor das Blütensteckkissen vom Vater übernahm.
Frau Luna, die ihre Kinder eingesammelt hatte, beleuchtete hingebungsvoll die Szene.
Eliodor bettete das winzige Mädchen ins hohe Gras, kniete sich davor und legte ihm die Hände auf, erst auf die Stirn, dann auf den Bauch, worauf es allmählich zu sich kam. Während die Eltern ihr dabei zuschauten, wie sie es vorsichtig wendete und hier und dort mit ihrem Zauberstab antippte, tauschten sie sich leise aus.
„Hab ich also recht gesehen, dass du mit Nellyfer und Walfred ankamst.“ Meridor sah Sylphon forschend an. „Warum bist du nicht geblieben?“
Er zuckte bedauernd mit den Schultern. „Wollte dich am Elfenhügel überraschen, bin aber von einem Kollegen aufgehalten worden, der Verstärkung brauchte.“
Meridor musste schmunzeln. „Dafür war aber wenig Wind.“
„War zu weg für euch, um was mitzukriegen. Hab so was geahnt und konnte euch noch
Schützenhilfe leisten. Sonst hättet ihr Probleme mit Schattengeistern gekriegt, die euch auf den Fersen waren. Habe allen das Handwerk gelegt außer diesem einen.“
„War es nicht eine Fledermaus? Die sind doch normalerweise friedlich.“
Er sah sie ungläubig an. „Weißt du nicht, dass Nachtalpen denen verteufelt ähnlich sehen?“
Meridor war zu geschockt, um sich über seine Ausdrucksweise zu mokieren.
„Ich dachte immer, die würden nur durch unsere Träume schwirren.“
„Dass du dich da mal nicht versiehst! Nehmt euch in Acht von denen! Die Biester flattern