Rufe aus Morgania. Brigitte H. Becker
dass du so unverhofft angerauscht kamst.“ Der Vorwurf in ihrer Stimme war nicht zu überhören. „Hat mich mein Gefühl nicht getäuscht, dass du mitgeflogen bist. Dafür habe ich im Gegensatz zu Eliodor gar nichts riechen können. Sie hat mich bei der Ankunft darauf hingewiesen, konnte aber mit ihren Zaubersprüchen die Gefahr nicht bannen.“
Sylphon kam nicht mehr dazu, etwas zu erwidern, denn auf einmal schrie das Baby wie von der Biene gestochen auf. Die Waldfee entgegnete den fragenden Blicken beider Eltern.
„Ich habe sein rechtes Ohr berührt. Bisher konnte ich mit meinem Zauberstab alle Wunden schließen, aber da scheint etwas innerlich zu sitzen.“
„Kannst du nichts dagegen tun?“, fragte Meridor entsetzt.
Eliodor wiegte bedauernd den Kopf. „Da ist nicht dranzukommen. Das muss man beobachten.
Ich kann höchstens die Beschwerden lindern, wenn es sich beruhigt hat.“
Sie beugte sich hinunter, um dem Prinzesschen erst eine Hand auf das schlimme Ohr zu legen und dann etwas ins andere zu raunen.
Zwar verebbte das Geschrei, dafür wimmerte die Kleine jämmerlich.
Erst als die Mutter sie aufhob, um sie zu abzuküssen und ans Herz zu drücken, entspannte sie sich sichtlich. Als Meridor ihrem Töchterchen tief in die Augen blickte, lächelte es zurück wie in einem plötzlichen Erkennen.
Dann schmiegte es sich wohlig aufseufzend an und nahm den Daumen in den Mund.
„Am besten ihr verschwindet mit der Kleinen, bevor sie wieder losbrüllt, und lasst die anderen weiterfeiern“, riet Eliodor den Eltern. Auf ihren zweifelndem Blick. versicherte sie Meridor mit Nachdruck, sie beim Fest und auf dem Rückweg angemessen zu vertreten.
Sie glaubte ihr aufs Wort, nüchtern wie sie war.
Nachdem sie und Sylphon sich mit Blicken verständigt hatten, ließ Meridor die Hofdamen kommen, um ihnen Bescheid zu geben und das Versprechen abzunehmen, bei der Rückkehr im Schloss dafür zu sorgen, dass die Elfen leise waren, um keinen aufzuwecken.
Mamarena, die sich als ihre Zofe und Dienstälteste für die Elfenkönigin verantwortlich fühlte, war anzusehen, dass sie sie nur ungern mit Sylphon ziehen ließ.
Doch rief die Pflicht als Chefaufseherin auf dem Festplatz, und später musste sie im Schloss auch für Ordnung sorgen.
Meridor winkte Nellyfer heran, die sich auf ihre Frage ihr und Sylphon ohne Zögern anschloss, um sich im Elfenschloss um ihr Kind zu kümmern.
Mit dem Prinzesschen im Arm verabschiedete sich Meridor von den mitgekommenen Elfen und wünschte ihnen noch ein schönes Fest.
Die Hälfte der kleinen Leibwächter gab ihnen Geleit, während die anderen die Elfenformation auf dem Rückflug zur Lichtung flankierten.
Die Waldfee flog mit ihrem Zauberstab voran.
7. Mefilux und die Nagajennen
Brenn-Nesseln
Die Brenn-Nesseln
stehen in Büscheln
bedrohlich im Schatten
laubträchtiger Bäume.
Doch spinnen Lichtfetzen
gar silberne Netze
auf ihren rauen
scharf spitz gewetzten
kriegerisch stolz
aufwärts gerichteten Spitzen.
Während der kleine Mefilux mit Konfilux, dem Anführer der Nagajennen Jungen, auf dem Rücken eines Nachtalpen zum Nachtspuk beim Buchentrio flog, dachte er über vieles nach und ließ diesen denkwürdigen Tag noch einmal Revue passieren.
Nachtalpen, die wie Fledermäuse mit Menschengesichtern aussahen, zählten zu den Helfershelfern der Nagajennen und dienten ihren Kindern bei ihren Ausflügen als Reittiere.
Nagajennen waren schlangenhafte Schattenwesen mit kurzen Rümpfen, überlangen Gliedern, Schwanenhälsen und nahezu kahlen, übergroßen Wasserköpfen, abgesehen vom bräunlichen Flaum, der das Schädeldach bedeckte. Rote lidlose Schlitzaugen beherrschten das Gesicht, der Mund war nicht mehr als ein breiter Strich, die Nase Nüstern artig, die Ohren groß und spitz. Wie die Erwachsenen trugen die Jungen hautenge schwarze Trikots unter Pelerinen, die bis zu den hohen Schaftstiefeln wallten und kaum etwas von den Schlangenarmen sehen ließen.
Mefilux freute sich riesig darüber, dass er seinen Vater mit Engelszungen überreden konnte, ihn beim Spuk am Elfenfest mitmischen zu lassen Konfilux hatte sich dafür verbürgt, ihn als Jüngsten unter seine Fittiche zu nehmen, und das nun schon ein zweites Mal
Erstmals fühlte sich Mefilux als vollwertiges Mitglied im Kreise der Nagajennen und den großen Jungen ebenbürtig, von denen er sich oft ausgestoßen fühlte, ließen sie ihn doch deutlich spüren, dass er als Halbelf nicht richtig dazugehörte, obwohl sein Papa, der auch schon kein reiner Nagajenne war, sich zum Chefspion Nagajanas hochgearbeitet hatte.
Mefilux seufzte abgrundtief. Er konnte so vieles nicht verstehen.
Warum ließ er sich vor den Karren eines Tyrannen spannen, und weshalb ließ dieser fürchterliche Leuteschinder nichts auf seinen Vater kommen? Wie konnte seine Elfenmutter, an die sich Mefilux kaum entsinnen konnte, ihn auf der Schattenburg aufwachsen lassen?
Ihre heimlichen Besuche, die er als kleines Kind immer sehr genossen hatte, waren mit der Zeit leider immer seltener geworden, bis sie schließlich ganz ausblieben. Er wagte sich nicht einzugestehen, dass er sie schmerzlich vermisste und sich nach ihren Liebkosungen sehnte, obwohl er hin und wieder recht lebhaft von ihr träumte. Doch blieb ihr Gesicht im Dunkeln.
Mefilux fand auf der Schattenburg leider keine Freunde.
Sein gelblicher Teint hatte ihm den Spitznamen „alter Chinese“ eingebracht, und es freute die Nagajennen Jungen diebisch, wenn er sich darüber ärgerte.
Warum waren sie so gemein zu ihm?
Er wurde wie ein Kleinkind behandelt und zum Weichei abgestempelt.
Zu seinem Kummer wirkte er mit seinen drei Jahren immer noch wie ein Riesenbaby.
Dabei aß er nicht übermäßig viel. Sein Kugelbäuchlein und die Speckfalten an den Gelenken mussten angeboren sein. Aber an seinen Proportionen war nichts auszusetzen, und sein rundliches Gesicht könnte man als hübsch bezeichnen. Große, hellbraune Mandelaugen worin der Schalk nur so blitzte, ließen die Stupsnase und das Schmollmündchen zurücktreten.
Den widerborstigen hellen Rotschopf bändigte ein Bürstenhaarschnitt, der die großen Spitzohren freiließ, womit sich herrlich wackeln ließ.
Heute Abend hatten Mefilux und sein Vater Kontrax sich mit Holzkohle schwarz angemalt, so dass sie in ihren schwarzen Pelerinen kaum noch von den anderen zu unterscheiden waren.
Während Kontrax die Agenten in die Aktion auf der Elfenlichtung einwies, schwang sich Mefilux mit den Schattenjungen auf die Nachtalpen, hinein ins Vergnügen bei den Elfenclans.
Erstmals hatten dunkle Hexen den Nagajennen einen Zaubertrunk zum Schutz gegen die Helligkeit gemixt, die sich am längsten Tag des Jahres bis zum späten Abend hinzog.
Die meisten Elfenhäuser waren zwischen dicht beieinander stehenden oder dreigeteilten Bäumen mit geschlossenem Blätterdach zu finden, die von oben gut auszumachen waren.
Unter Anleitung der Großen suchten sie zuerst die Männerclans auf, wo die Jungen hausten. Mit den Nachtalpen drückten sich die Gruppen die Nasen an den Fensterscheiben platt, um sich Kinder zum Ärgern auszusuchen, während Große wie Konfilux dabei Schmiere standen.
Mefilux entschied sich spontan