Rufe aus Morgania. Brigitte H. Becker

Rufe aus Morgania - Brigitte H. Becker


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den Seinen freies Licht für den Mitternachtsspuk mit ihren Söhnen bei den Buchen gab.

      Auf sein Handzeichen bestiegen die Jungen zu zweit einen Nachtalpen.

      Lautlos erhoben sich die Flattergeister mit ihren beiden Reitern hoch über die Wipfel.

      Die Väter, die die Vor- und Nachhut bildeten, entfalteten mit weit ausgebreiteten Armen mächtige, fächerförmige Flügel in der Luft, schattenschwarz wie ihre Kleidung.

      Sie flogen in Windeseile, nahezu unhörbar und unsichtbar durch die Dunkelheit, im Mondlicht verschanzt hinter ziehenden Wolken.

      Da sie von ihren Verstecken die Elfenwachtposten wohl bemerkt hatten, waren die Nagajennen auf der Hut und schauten sich immer wieder prüfend um.

      Bald bedeutete ihnen die Vorhut durch triumphierendes Zunicken: keine Verfolger in Sicht. Unterwegs malte sich Mefilux in den buntesten Farben die grässlichsten Alpträume mit den tollsten Gruseleffekten für seine Elfenkinder aus.

      Er wollte im Jungenschlafsaal der Krippe den kleinen Sengor aufsuchen und später bei den Mädchen dem Nacht Alp bei Sangrina Unterstützung leisten. Die beiden könnten Geschwister sein und hatten sich als erste Wahl erwiesen. Sie waren derart schreckhaft, dass sie bei der leisesten Berührung zusammenzuckten und wie am Spieß nach ihrer Mutter schrien.

      Schon von weitem waren die pilzartigen Silhouetten der drei Buchen zu erkennen, die sich im milchigen Mondlicht dunkel abzeichneten.

      Bei ihrer Ankunft stellte sich Mefilux grienend die Reaktion der ausgesuchten Kinder auf den grässlichen Entführungstraum vor, der ihm vorschwebte.

      Die Truppe verständigte sich durch Kopfnicken und Handzeichen über ihre jeweilige Zielbuche, um sich dort von herunter pendelnden Zweigen in die Schlafsäle gleiten zu lassen.

      Vor jedem Baum bezog ein Vater den Wachposten.

      Mefilux schwang sich an den Seilen des Korbbettes vom kleinen Sengor herunter. Auf dessen Bettdecke hockend strich er dem Jungen leicht über die Stirn - keine Reaktion. Auch an seinen Lidbewegungen konnte er befriedigt feststellen, dass er tief und traumlos schlief.

      Im Versuch, seine Vorstellungen wie einen Film auf den Kleinen zu übertragen, ließ Mefilux Scharen dunkler Gestalten mit furchterregenden Masken anstürmen, die ihn einkesselten und wilde Buschtänze um ihn herum aufführten, bevor sie ihn an den Haaren hochzogen und durch Blitz und Donner im rasanten Flug in ein finsteres Nirgendwo davontrugen.

      Dabei hielt er den Jungen stets im Auge, um seine Reaktion zu testen.

      Sein Vorhaben schien von Erfolg gekrönt, denn Sengor wurde zusehends unruhiger und fing an, sich schweißtriefend hin und her zu wälzen.

      Doch bevor er seinen Alptraum weiterspinnen konnte, wurde Mefilux von hinten unwirsch am Kragen gepackt und sehr hoch gehoben.

      Eine tiefe Stimme schnaubte leise triumphierend über ihm:

      „Na, was haben wir denn da für ein wackeres Bürschchen? Es macht dir wohl Spaß, kleinen Elfenjungen den Schlaf zu vergraulen?“

      8. Walfreds erster Einsatz

      Ich bin

      In bin a l l e s

      umspanne die Weite

      durchflute das Meer

      begleite die Winde

      bezwinge den Sturm.

      Ich bin ein Nichts

      unter vielen

      ein winziger Tropfen

      ein flüchtiger Hauch

      ein Wurm

      der das Erdreich

      Steine aufschichtend ertastet.

      Doch durchschwingt

      jeden Tropfen

      der Himmel, das Meer

      die Erdensaat sprießt durch

      überschreitet

      ausgeweitet den Wurm.

      Leise fluchend hielt sich Walfred die schmerzende Hand. Der kleine Rabauke, den er zuletzt erwischte, hatte so fest zugebissen, dass der Zahnabdruck zu sehen war und die Wunde zu bluten begann! Das wild um sich schlagende, strampelnde und tretende Bürschchen wäre ihm sonst wohl kaum entwischt. Er sprang hinaus und riss auf der Wiese ein Löwenzahnblatt aus, das er sich mit Spucke befeuchtet als notdürftigen Verband anlegte.

      Erstaunt bemerkte er, dass seine Handfläche schwarze Streifen aufwies.

      Das konnte nur bedeuten, dass der kleine Schlawiner gar kein echter Nagajenne und nur dementsprechend geschminkt war. Sein Gesicht war im Dunkeln kaum auszumachen; doch war ihm aufgefallen, dass er rundlich war, und beim Zupacken hatten ihn struppige Haare gekitzelt. Das passte alles nicht zu einem Nagajennen!

      Wie alt mochte der Bursche wohl gewesen sein? Er wirkte wie ein Kleinkind.

      Walfred wischte die Gedanken unwillig fort. Es gab noch viel zu tun.

      Er hatte kürzlich die Prüfung zum Wachtmann mit Auszeichnung absolviert und war nun jüngstes Mitglied der königlichen Wachtmannschaft, einer Art Elfenpolizei.

      Sein erster Einsatz bei einem hohen Elfenfest erfüllte ihn mit Stolz, und er wollte sein Bestes geben, um die Teilnehmer vor Schaden zu bewahren.

      Als er mit seinen Kollegen die Elfenprozession flankierte, war er sich zum ersten Mal richtig wichtig vorgekommen.

      Doch bei seinen Streifzügen auf der Lichtung war er allen Bemühungen zum Trotz nicht richtig bei der Sache. Die Übelkeit, die ihn auf Sylphons Rücken überkam, wollte ebenso wenig weichen wie die Gedanken an Nellyfer. Sein Magen rebellierte beim Festmahl, dass er kaum etwas herunterbekam und streikte dann beim Nachtisch. Seine Schwester nahm sich dankend seines Kuchens an und verzehrte ihn mit Hochgenus. Wie konnte ein zartes Wesen nur soviel essen? Doch es beruhigte anscheinend Walfriedes überspannten Nerven.

      So sehr er sich die Augen nach ihrer Freundin ausschaute, er konnte sie nirgendwo entdecken. Zeitigten Sylphons Flugkünste auch Nachwirkungen bei Nellyfer?

      Sie hatte sich nach der Landung kaum auf den Beinen halten können.

      Bedauerlicherweise hatte er sich hinterher unverzüglich beim Hauptwachtmeister melden und die offensichtlich Desorientierte sich selbst überlassen müssen.

      Zum Glück hatte Walfriede mitbekommen, dass Nellyfer nach einem Austausch mit der Königin am Weiher verblieb. Wieso, hatte sich erst später herausgestellt.

      Die junge Amme war für Walfred jedes Mal die reinste Augenweide mit ihrem feinen Porzellanteint, der Anmut und Grazie ihrer Bewegungen. Das überzarte, durchscheinende Wesen erweckte in ihm Beschützerinstinkte. Es störte ihn nicht einmal ihre nachlässige Aufmachung, obwohl er selbst viel Wert auf korrekte Kleidung legte.

      Bald nach dem Festessen hatten sich die Wachtmänner von ihren Tischrunden verabschiedet, um sich hinter den Bäumen umzuziehen. In ihrer Tarnkleidung, blattgrünen Strumpfhosen zu weiten, gegürteten Tuniken, streiften sie umher oder legten sich bäuchlings im Unterholz auf der Lauer, Ausschau haltend nach zwielichtigen Gestalten.

      Obwohl er sich nach besten Kräften bemühte, konnte Walfred nichts entdecken.

      Dabei kamen immer wieder Klagen.

      Wer immer sich versteckt haben sollte, war jedenfalls perfekt getarnt.

      Er schlich um die Büsche herum, doch außer einem leichten Rascheln hier und dort war nichts Auffälliges festzustellen.

      Es wird der Wind gewesen sein, redete er sich ein.

      Hätte ihn ein Kollege nicht darauf


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