Drachenkind. . . .
durch den Wald zu uns schlichen und habe sofort alles getan, um die betroffenen Areale zu Räumen, fast eine halbe Stunde bevor sie tatsächlich die Stadt erreichten. Da du irgendwie seine Gedanken hören konntest, wusste ich ja, was sie vorhatten. Niemand war da, es war gerade rechtzeitig. Wir haben sie nicht angegriffen sondern die Gebäude geopfert, um ihnen Sicherheit zu geben. Sonst hätten sie möglicherweise andere, unvorhergesehene Ziele gewählt und wir hatten zu wenig Zeit, ihnen direkt entgegenzutreten. Die Explosion hat großen Schaden angerichtet, aber niemanden verletzt. Nichts, was nicht repariert werden kann. Du hast nur eine mögliche oder wahrscheinliche Zukunft gesehen, nicht die Gegenwart. Das ist alles.«
Eric blieb still, ihm wurde leicht schwindelig. Als er sich sicher war, dass er sich ihre Worte nicht nur einbildete, spürte er ein unangenehmes Kratzen im Hals, vergrub das Gesicht in den Händen. Niemand war getötet worden? Keine Nachricht in dieser Welt konnte ihm gerade jetzt eine größere Freude machen als diese. Er spürte die Hand der Meisterin auf der Schulter.
»Du hast ein großes Herz, vergiss das nicht. Zweifle an den schlechten Taten, nicht an den guten! Manou nicht zu erledigen kann sich vielleicht noch als nützlich erweisen, das wissen wir nicht. Er könnte der Schlüssel zu den Plänen sein, welche Die Sechs und der Herrscher schmieden. Du kannst die Zukunft sehen und Manou steht dem Herrscher am nächsten. Sieh es mal von der anderen Seite. Es wäre auch möglich, dass zwischen ihm und dir eine Verbindung besteht, welche dich sehen lässt, was er sieht und fühlt. Aber das kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen.«
Eric sah sie an. Sie lächelte aufmunternd. Er mochte sie, genau wie Mia. Er dachte an die Gesetze, die Regeln, von denen er immer noch nichts wusste und an die Frage danach, wo im Universum sie sich befanden.
»Wo ist diese Welt, dieser Planet? Was … wie kann …«
»Ruhig. Dieser Planet ist sicherlich nur einer von mehreren, auf welchen es Leben gibt. Wir haben nie andere betreten, aber in benachbarten Sonnensystemen existieren welche, von denen wir glauben, sie könnten komplexe Lebensformen tragen. Dieser Planet hier ist der Drachenplanet. Warum er so heißt, wirst du noch lernen. Er ist von der Erde aus weder zu sehen noch erreichbar und auch wir können die Erde nicht sehen. Ich vermute, dass wir nicht einmal in derselben Galaxie unterwegs sind. Das Zeitloch, durch welches ihr hierher gelangen konntet, ist immer in Bewegung. Es wandert, öffnet und schließt sich. Als es auf der Erde entdeckt wurde, war das die erste Chance für magisch begabte Menschen, diese Welt zu erreichen. Nur sie konnten es aufspüren, doch lange vermochte niemand vorherzusagen, wann es wo sein würde. Im Laufe der letzten tausend Jahre konnte durch Beobachtung ein Muster erkannt werden, aber es wird schwächer. Wir glauben, dass es in ein paar hundert Jahren nicht mehr zwischen Erde und Drachenplanet erreichbar sein wird. Auch andere Welten sind mit diesem Netzwerk verbunden. Aber wir können nicht dorthin gelangen, haben die Zugänge bisher nicht gefunden. Wer hierher kommt, kann nicht einfach so zur Erde zurück. Es sei denn, er kann fliegen und das Zeitloch so erreichen. Es hängt hier meist über dem offenen Meer, wie zurzeit auch auf der Erde. Es gibt Abzweigungen an verschiedenen Stellen im Wald, aber die sind extrem schwer zu finden und nur wenige wissen davon.«
Seath machte den Eindruck, als hätte sie schon sehr lange nicht mehr so viel gesprochen. Eric hörte aufmerksam zu, sog die Informationen in sich auf wie ein Schwamm. Endlich gab es ein paar Antworten.
»Gibt es viele Menschen hier?«
»Ja, schon. Es gibt verschiedene Völker, es zeichnen sich unterschiedliche Kulturen ab. Du wirst einige davon noch kennenlernen. Es gibt unglaubliche Wüsten und Steppen, Eis und Berge. Alles, was es auf der Erde auch gibt und noch mehr. Wo das Zeitloch hinführt hat sich über die Jahrhunderte stetig verändert und irgendwann kamen auch immer mehr normale Menschen hierher, wenn sie Teil einer Familie von Magiern waren oder als deren Freunde und Bekannte eine Chance bekamen. Oder zufällig. Es kommt vor, dass Objekte, Tiere oder anderes Material durch Zufall von einer der Abzweigungen des Zeitlochs erfasst werden und so in eine andere Welt gelangen. Wir nehmen an, dass so zwischen Erde und Drachenplanet über Milliarden von Jahren ein reger und zufälliger Austausch an Leben stattfinden konnte, welcher gut zu sehen ist. Es gibt viele Ähnlichkeiten. Der Drachenplanet ist riesig, Eric. Viel größer als die Erde. Es war den Menschen hier bisher unmöglich, ihn komplett zu umrunden oder zu erschließen. Ein Menschenleben ist einfach nicht lang genug dafür, da so viel Unbekanntes und extreme Gefahren und lebensfeindliche Umgebungen dort draußen sind. Auch haben wir hier kaum Maschinen wie auf der Erde. Trotz Magie und einem wirklich mächtigen Netzwerk aus Spähern aller Arten und Gattungen, darunter auch Vögel, können wir nicht alles überschauen. Vor allem deshalb, weil der Herrscher das nicht will und mittlerweile so mächtig ist, dass er es auch wirklich verhindern kann.«
Eric nickte nur, dann meinte er:
»Was genau ist ein Zeitloch?«
Seath lächelte.
»Das solltest du mit den Wissenschaftlern und Forschern klären. Die Astronomen und Physiker in den blauen Bergen sind da sicherlich die Richtigen, vielleicht triffst du sie noch, wenn wir die Völker vereinen. Sie werden bald hier sein, mussten fliehen. Den Grund dafür kann ich dir im Moment nicht nennen, sie halten ihn geheim. Sicherlich hat es etwas mit dem Herrscher zu tun. Ich denke, ein Zeitloch muss so ähnlich wie das sein, was man auf der Erde ein Wurmloch nennt. Aber glaub mir, ich weiß es nicht.«
Jetzt fühlte Eric leichte Zweifel. Zu schön, um wahr zu sein. Und auf der Erde wusste niemand davon? Absolut niemand, außer denen, welche das Zeitloch nutzten? War es denn nicht messbar? Seath beobachtete seine Gedanken.
»Es ist messbar, kann aber ohne gewisse Begabungen nicht lokalisiert werden und ist dadurch enorm schwer zu erklären. Es äußert sich in Messungen ähnlich wie Gravitationswellen und selbst die sind noch weit davon entfernt, restlos erforscht oder verstanden zu sein.«
»Welche Begabungen?«
»Du hast dich sicher schon gefragt, was Magie eigentlich ist oder was wir damit meinen. Wir bezeichnen damit die Wandlung und Auswirkungen einer sehr schwer greifbaren Energieform. Wir können sie spüren und beeinflussen. Sofern der Einfluss zu geplanten, vorhergesagten, wiederholbaren Konsequenzen führt, sprechen wir von Kontrolle. Wir können also diese Energieform beeinflussen und manche können sie kontrollieren, bis zu einem gewissen Grad. Wir wissen aber nicht, woher sie stammt, was sie freisetzt und wie genau sie funktioniert. Wir vermuten, dass unsere Körper ein bestimmtes Material enthalten, welches uns dafür empfänglich macht. Das gilt auch für Pflanzen und Tiere. Es muss einen Austausch zwischen Drachenplanet und Erde gegeben haben, welcher alles angefangen hat. Möglich, dass unsere Vorfahren von hier stammen. Die Menschen haben sich definitiv nur auf der Erde entwickelt, aber es ist möglich, dass dies ohne den Drachenplaneten nie passiert wäre. Es gibt viele intelligente Lebensformen, einige davon sind dem Menschen kognitiv voraus und fast alle sind uns körperlich überlegen, in spezialisierten Bereichen. Menschen sind körperlich Generalisten und keine Spezialisten, wenn man die Evolution betrachtet. Manche glauben, die Vorfahren des Menschen hätten eigentlich keine Chance gehabt, ausschließlich durch höhere Intelligenz ganz nach oben zu kommen. Sie vermuten, dass Magie einen Teil dazu beitrug. Zuerst unbewusst und kaum relevant, später maßgeblich, da angeregt und bewusst gepflegt.«
Eric sah sie schweigend an, speicherte jedes ihrer Worte ab und sah seinem Inneren dabei zu, wie es aus all den Antworten neue Fragen hervorbrachte. Doch jetzt interessierte ihn nur eine.
»Wer ist dann der Herrscher? Ist er ein Mensch? Was ist mit ›Die Sechs‹? Wer sind die?«
Seath schwieg. Sie wirkte unschlüssig.
»Das wissen wir nicht. Ich glaube, er ist kein Mensch. Er könnte einmal ein Mensch gewesen sein oder in irgendeiner Form menschliche Züge gehabt haben. Wir wissen, dass das Phänomen des Herrschers viele Jahrhunderte in dieser Welt zurückreicht, vielleicht sogar ganz bis zu den Anfängen der Zivilisation auf der Erde. Er kam von dort hierher, als die ersten Magier vor Auseinandersetzungen mit Unbegabten flohen. Du hast sicher davon gehört, was man früher mit Menschen gemacht hat, welchen man Hexerei oder dergleichen vorwarf. Jedenfalls gab es schon immer Magier, welche sich dem Herrscher anschlossen, um von seiner Macht zu profitieren und ihm zu helfen. So erfuhr er von dem wandernden Zeitloch und kam auf diesen Planeten.