Drachenkind. . . .
fast jeder schimmerte in seiner eigenen Farbe. Keine Form von Prunk oder prahlenden Hinweisen auf Reichtum. Eine einfache Treppe, die das tat, was hier notwendig war: Sie half denen, die sie betraten, nach oben. Dazu war kein Gold oder extravagantes Gestein nötig. War dies wirklich ein Tempel im üblichen Sinne?
Als sie vor dem großen, offenen Portal ankamen und hindurch schritten, blieb Eric der Mund offen stehen. Vor ihnen tat sich eine Art Balkon auf, von dem zu beiden Seiten breite Steintreppen an den Wänden entlang nach unten führten, ihr Ende konnte Eric nicht sehen. Jack stupste ihn an, beobachtete zufrieden Erics Reaktion.
»Los, weiter! Glotzen du können später!«
Eric ließ sich von ihm mitzerren und sie gingen die rechte Treppe hinunter. Als er an ihrem Rand hinunterblickte, staunte er gleich noch mehr. Fast zwanzig Meter unter ihnen sah es aus, als hätte man eine riesige und meterdicke Platte eingebaut, die als Fußboden diente, der mitten in der Luft zu schweben schien und auf dem sich viele Bänke und Tische befanden. Der massive Boden grenzte an die linke Wand des Gebäudes, dort führte auch die linke Treppe hin. Die Platte war so breit, dass gerade ein Meter Platz zwischen ihr und der Treppe blieb, auf der Eric und Jack jetzt nach unten gingen und die einfach unter jene Platte führte, wo sie dann an der nächsten Ecke des Gebäudes nach links abbog. In regelmäßigen Abständen gab es große, runde Hohlräume oder Löcher in den Wänden, von denen manche mit einer Art milchigem Glas verschlossen waren, andere mit etwas, das wie Pergament aussah. Hell und intensiv leuchtete das Sonnenlicht durch diese unglaublichen Lampen. Eric ahnte es eher, als dass er es wusste. Es musste Kanäle geben, durch welche gebündeltes Licht verteilt wurde. Das würde das riesige und hochkomplexe Spiegelsystem auf dem Dach des Tempels erklären.
»Wo sind wir hier?«, fragte Eric beeindruckt.
»Das ist Tempel, wie du richtig erraten. Er beinhalten Schulen, Sport drinnen und viel Werkstatt und Arbeitsräume und unglaublich viel mehr. Viele Wohnräume und größte Halle. Und natürlich auch Etage, wo beten. Wahnsinn, nicht? Als ich erstes Mal sah, es mich fast umhauen! Mia mich grade noch festhalten. Da, schau. Überall noch mehr Abzweigungen. Es noch gehen viel tiefer runter. Wir gehen jetzt in Halle, wo immer alle Essen. Noch ein paar Treppen.«
Eric betrachtete die Etage mit den Bänken. Da standen auch Blumentöpfe mit Palmen drin, es sah wunderbar aus und war unglaublich geräumig. In jeder Wand befanden sich auf fast jeder Etage mindestens zwei große, runde Löcher, welche die Eingänge zu ebenfalls ziemlich weiten Tunneln waren, die ihrerseits zu weiteren Räumen führten. Alle Wände und festen Elemente, wohl der gesamte Bau musste aus Granit bestehen, für die Möbel wurde Holz verwendet. Hinter der Biegung nach links, welche die Treppe tat, blickten sie auf eine neue Etage, etwas höher als die erste. Sie war mit weißen Matten ausgelegt und an der hinteren Wand stand ein Ständer mit Waffen. Schwerter und Stäbe aller Art sowie Dinge, die Eric noch nie gesehen hatte. Daneben stand eine rabenschwarze Kommode und ein kleines Zitronenbäumchen mit zwei gelben Früchten. Ansonsten war eine gesamte Hälfte des Raumes weiß, die andere tiefschwarz.
»Was ist das hier?«
»Übungsraum. Hier du lernen von Meisterin und von Mia. Hier nur lernen Kämpfen und du meditieren. Mehr nicht. Komm, gleich da.«
Eric konnte den Blick nicht von dem sehr kontrastreichen Raum abwenden, der da groß und leer neben ihnen war. Hier würde er das Kämpfen lernen. Musste er denn? Vielleicht besser so. Er konnte ja nicht immer als Drache herumlaufen, obwohl ihm das die höchstmögliche Sicherheit bot. Es roch nach Zitrone. Erneut bogen sie um die Ecke und dieses Mal blieb Eric vor Verblüffung stehen. Der Bau weitete sich hinter dieser Biegung nach allen Seiten und wurde rund. Die Treppe wurde zu einer Wendeltreppe, die sich wie ein langes, aufgehängtes Band an der Wand entlang nach unten schlängelte. Hier waren die Wände glatt und matt glänzend, verschiedene Gesteinsschichten wurden sichtbar, blaugrauer Marmor mit weißem Muster mischte sich unter funkelnde Granitplatten und Sandstein oder etwas sehr Ähnliches. Wie passte all das überhaupt zusammen? Es gab keine Säulen, keine sichtbar tragenden Strukturen. Und direkt in der Mitte der riesigen Halle, zu welcher sich der Bau ausdehnte, befand sich ein Loch im Boden, vom übrigen Boden abgegrenzt durch einen wenige Zentimeter hohen Steinring. Das Loch war wie ein Fenster in den Himmel. Es zeigte die weißen Wolken draußen und der Himmel sah nach gutem Wetter aus. Eric durchfuhr ein Kribbeln, er dachte an die Träume, in denen er diese riesige Schale gesehen hatte. Doch dies hier war nicht das Gleiche, es wirkte weder so bedrohlich noch sah man die Welt von oben.
Rund um das Loch, welches vielleicht drei oder vier Meter im Durchmesser war, spiegelte sich die Umgebung in dem blanken, glatten und dunkelgrauen Marmorboden. Je weiter sie die Treppe hinunterstiegen, desto mehr wurde von der sich weitenden Halle sichtbar. Auch sechs kleine, kreisrunde Becken, in denen etwa eine Hand breit hoch das Wasser stand. Sie waren nicht wie das Loch in der Mitte abgegrenzt, das Wasser war bis an die Kante aufgefüllt. Und in der Mitte jedes Beckens stand ein kleiner, kugelförmig geschnittener Buchsbaumbusch. Die sechs Becken umgaben das Loch in der Mitte wie die Planeten die Sonne. Es war ein so verblüffender Stil, dass Eric hingerissen vor sich hin flüsterte. Ein halbes Fußballfeld hätte hier locker Platz gehabt. Jack zerrte ihn weiter, nach ein paar kurzen Minuten waren sie am Fuß der Treppe angekommen und standen am Rande des Raumes. Auf der anderen Seite waren drei Türen. Die in der Mitte öffnete sich gerade, als Jack ihn darauf zu zog.
Eine Frau erschien, mit langen, tiefschwarzen Haaren, die sie zu einem Knoten gebunden hatte, in welchem zwei lange Nadeln steckten. Ihr Gesicht ähnelte dem von Mia erstaunlich stark. Sie hatte einen weinroten Anzug an, der aussah wie aus einem Karatefilm. Nur, dass er eben weinrot war und der Stoff einen dünnen und leichten Eindruck machte. Er war mehrmals um sie herumgewickelt und ein himmelblauer, langer Seidenstreifen diente als Gürtel für die Hose, welche so weit geschnitten war, dass sie fast wie ein Rock aussah. Eric gefiel dieses Outfit, obwohl es sehr ungewöhnlich wirkte. Es hatte etwas Ruhiges, Provokantes und Schönes an sich. Außerdem sah es nach sehr viel Bewegungsfreiheit aus. Hinter der Frau kam eine zweite, nur ein unbedeutendes Stück kleiner. Sie war genauso angezogen, bloß war ihr Gürtel weiß. Es war Mia, die sich dahinstellte, sie anlächelte und winkte. Seath stand neben ihr, die Erleichterung war ihr wie mit einem dicken Pinsel ins Gesicht geschrieben. Sie sahen aus wie Schwestern.
Kapitel 20
Eric hatte das Gefühl, am glänzenden Boden festzufrieren. Er sah sie beide abwechselnd an. Seath wirkte bei genauerem Hinsehen doch jünger als Mia. Sie hatte grüne Augen, die Eric aufmerksam begutachteten. Sie und Mia kamen auf Eric und Jack zu, Seath stellte sich direkt vor Eric. Sie war ein paar Zentimeter größer als er. Eric erwiderte ihren Blick und sie starrten einander an. Seath schmunzelte, er hörte ihre offenen Gedanken, spürte ihren Herzschlag und eine Art Kraftfeld um sie herum. Etwas Neues. Er wurde aufmerksam, seine Neugier hätte ihn fast dazu gebracht, sie langsam zu umwandern und von allen Seiten genau anzuschauen, vielleicht sogar kurz zu schnüffeln.
»Komm schon, versuche standzuhalten! Mal sehen, ob du es schaffst. Wer zuerst blinzelt, hat verloren!«
Eric wunderte sich. Sie machte einen sehr angriffslustigen Eindruck. Keine Begrüßung, sondern eine direkte Aufforderung zu einem mentalen Duell? Er verschloss seine Gedanken, ehe Seath sie durchstöbern konnte. Ihre jedoch durchdrang er problemlos. Er hörte, wie Jack neben ihm mit Mia sprach, blendete es aus und konzentrierte sich nur auf die grünen Augen, in die er gerade sah. Sie waren ehrlich, strickt und fair. Eric entdeckte nichts Negatives in ihnen und auch nicht dahinter. Ihre Gedanken waren voller Sorgen, gefüllt mit Wissen und einem Hauch von Weisheit. Er versuchte, ihr Alter zu schätzen. Vielleicht waren es dreißig oder fünfunddreißig Jahre, jedenfalls relativ jung. Und trotzdem sah Mia ihr so ähnlich, als ob sie ihre Schwester wäre. Oder ihre Mutter. Eric stutzte und beinahe wäre seine Barrikade zusammengebrochen. Er schickte Seath eine Frage.
»Wer bist du?«
Sie antwortete nicht gleich, fixierte ihn nur stumm, bevor sie sagte:
»Ich bin Mias Tochter und Großmeisterin der Ewigen Wälder und dieser Stadt. Deine Lehrerin, nach Mia. Und du? Was glaubst du, wer du sein könntest? Wie ist dein Name?«
Eric lächelte sie