Drachenkind. . . .

Drachenkind - . . .


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aussah, der gerade sein Geweih an einem der Bäume rieb. Doch das Tier war locker fünfmal so groß, wirkte sehr stark und schwer. Der ganze Baum erzitterte und dicke, schwere Späne brachen laut krachend aus dem moströsen Stamm. Seine Klauen kribbelten. Beute … Nicht jetzt. Wie konnte das Leben hier jenem auf der Erde so sehr ähneln? Man musste eine Verwandtschaft annehmen, bei dem Aussehen und der Form. Gleichzeitig wirkte es zuerst sehr unwahrscheinlich, dass sich die Natur auf diesem Planeten so auffallend gleichartig zu der auf der Erde entwickelt haben sollte. Auch die Pflanzen zeigten große Ähnlichkeit, sie wirkten jedoch generell etwas größer und kräftiger. Eric erinnerte sich an die sichtbare Erdkrümmung über dem Meer auf der Erde und dem Meer hier. Der Unterschied war klar. Dieser Planet war größer, hätte vielleicht andere Rhythmen von Tag und Nacht. Und nach dem, was er so sehen und fühlen konnte, gab es so gut wie ausschließlich wildes Leben und Nahrung im Überfluss. Entfaltung wäre hier höchstens unter Pflanzen ein Problem, aber nicht für Tiere oder Wesen, welche sich fortbewegten und von ihnen ernährten. Genug Nahrung … Eric schnaubte genervt, als dieser Gedanke ihn erneut durch ein Zucken der Kiefermuskulatur an seinen immensen Appetit erinnerte. Er verliebte sich in diesen Wald, spürte dessen Kraft und Fähigkeit, zu beschützen und zu heilen. Die Luft hier war so unglaublich rein, dass selbst halbwegs bekannte Dinge und Stoffe so anders rochen und schmeckten, dass Eric aus der Faszination kaum herauskam. Er hob wieder den Kopf und beschloss, einen Bogen um die Route zu fliegen, die er vermutlich auf dem Hinweg genommen hatte. Er drehte scharf nach rechts, beschleunigte und zog sich mit heftigen Schlägen dichter unter die kleinen, weißen Federwolken.

      Seine tief schwarzblauen Schuppen reflektierten die Sonne nur zum Teil, den viel größeren Rest der Energie nahm er in sich auf, atmete sie förmlich ein. Der feuchte, duftende Atem des Waldes, der Geschwindigkeitsrausch der Freiheit und all dies fast völlig lautlos, abgesehen von den verhaltenen Klängen des Lebens überall in der Umgebung … Besser ging es nicht. Eric erreichte beinahe die Hälfte jener Geschwindigkeit während der Anreise, aber dieses Mal hatte er einen klaren Kopf und nahm alles auf, prägte sich jeden Baum und jedes Blatt ein und stellte fest, dass manche Bäume einen Hauch von goldenem Glanz auf ihren Blättern trugen. Sie wirkten wie metallisch glitzernde Skulpturen mitten im Wald, alle paar Kilometer konnte er einen dieser merkwürdigen Riesen erspähen.

      Seine Gedanken waren nur noch auf die Landschaft und seine Begierde nach neuem Wissen gerichtet. Er musste die Regeln dieser Welt erfahren, wollte sie und sich selbst endlich verstehen und am liebsten jedes der von Mia angedeuteten Geheimnisse aufdecken. Wo sollte er anfangen? Eric lockerte die strenge Kontrolle über seine eigenen Gedanken, fühlte sich wieder ruhig genug, um sie frei fließen zu lassen. Er suchte nach einer realen Konstante im Leben, einem Faktor, der sich nie veränderte, dem Grundstein aller Geschehnisse. Wenigstens etwas, worauf man sich unbedingt verlassen konnte. Es dauerte nicht lange, bis er die richtigen Ideen geordnet hatte. Vielleicht gab es wirklich nur dieses eine Prinzip: Kausalität. Aktion, Reaktion … was jemand wollte, würde zu Taten führen, welche ihrerseits Neues bewirkten … Eric schnüffelte, erkannte zufrieden den leichten Geruch von Baumharz. Sein Verstand taugte doch noch was. Ein erster Schritt schien getan, nichts konnte existieren, ohne dem Prinzip der Kausalität zu unterliegen. Was bedeuten würde, dass er dieses Prinzip im Geiste einfach umdrehen könnte, um zu begreifen, was gerade eigentlich vor sich ging. Welcher Wille oder welche Ereignisse hatten zur Gegenwart geführt? Das Was verlor an Bedeutung, das Warum wurde wichtiger. Woher kam die Finsterns und warum gab es sie überhaupt?

      Eric überlegte. Kausalität … Wirklich eine Konstante im Üblichen Sinne? Was wäre, falls sich gar nichts ändern würde, falls alles stillstünde und es keine Aktionen mehr gäbe? Was sollte dann noch folgen? Könnte es überhaupt jemals zu so einem Moment kommen, nun, wo sich doch seit unbestimmter Zeit ständig alles veränderte und bewegte? Die Natur definierte sich durch Wandel und Entwicklung. Konstante Veränderung. Eine konstante Variable. Paradox … Und diese Variable, vielleicht wie ein X in einer Gleichung, war vor allem durch Menschen völlig unkontrolliert beeinflusst. Zumindest auf der Erde. Setzte man ein bestimmtes Ziel voraus, den Fortbestand von Vielfalt und dem Leben, wie Menschen es kannten, so ginge die Gleichung längst nicht mehr auf. Ihre Aktionen führten derzeit keinesfalls zu den gewünschten Reaktionen, im Gegenteil. Zu vieles entfernte sich beständig von dem, wonach Physik und Naturgesetzte verlangten: Balance, Ausgleich. Alles hatte einen Preis. Irgendetwas würde immer verbleiben und fortbestehen, sich wieder wandeln. Ob es das war, was die Menschen gerne hätten, war eine ganz andere Frage. Finster fragte sich Eric, warum sie überhaupt gegen diesen Herrscher ankämpften, wenn sie die Zukunft doch gar nicht sehen konnten, weil sie die Vergangenheit nicht völlig verstanden und nicht jederzet über jede Veränderung Bescheid wissen konnten. Vielleicht hatte der Herrscher eine Lösung für all ihre Probleme und sie wussten es nur nicht. Seltsamerweise erschien es Eric möglich, dass jener Herrscher etwas zu tun vermochte, was Menschen seit Anbeginn ihrer Zeit nicht geschafft hatten. Aber vielleicht wussten die Menschen sehr wohl, was der Herrscher wollte, bloß gefiel die Lösung ihnen nicht, der Preis war zu hoch oder der Weg zu schwer. Oder schlichtweg inakzeptabel nach ihren Maßstäben.

      Und was war mit der Magie, von welcher er jeden Tag mehr mitbekam? Oder Telepathie? Nach seinem Kenntnisstad durch aktuelle Wissenschaft weder vollständig erklärt noch nachgewiesen, sogar äußerst unwahrscheinlich im Rahmen bekannter Naturgesetze und Regeln. Die wären dann wohl zumindest unvollständig, dachte Eric. Einstein hätte vermutlich nie eine Formel gefunden, die es ermöglicht hätte, einen Jungen in einen riesigen und echten Drachen zu verwandeln. Oder hätte Thomas Edison geglaubt, dass der Mensch selbst eine Quelle sichtbaren Lichtes sein konnte? Eher nicht. Dennoch, das Leben mit einer mathematischen Gleichung erklären zu wollen, erschien Eric unmöglich. Vielleicht sogar sinnlos. Zumindest mit den Werkzeugen, welche die Menschen sich bisher erschlossen hatten. Er stellte fest, wie lange es her war, dass er sich auf diese Art Gedanken gemacht hatte. Variablen und Konstanten des Lebens und beides zusammen … Letztendlich konnte man immer die Frage stellen nach dem Glauben an das, was sich nicht erklären ließ oder nach dem Zweifel an etwas, was eigentlich unberechenbar war und somit einem Zweifel keine wirkliche Grundlage bot. Warum musste überhaupt immer eine Erklärung gesucht werden?

      Eric flog langsamer, wollte sich nicht zu sehr beeilen und noch länger allein sein. Eine Veränderung des Aufwindes, von dem er sich jetzt tragen ließ, brachte ihn dazu, seine Augen zu öffnen und nach unten zu sehen. Er erblickte einen riesigen See, silbern glitzernd und auffallend still. Sein Spiegelbild schwebte darüber hinweg, Eric betrachtete es nachdenklich. Er hatte sich selbst noch nie so gesehen. Er glitt nach unten, ließ seine Füße durch das Wasser fegen und spürte ein fremdartiges, extrem hochfrequentes Kribbeln in den Krallen. Es war wunderbar kühl aber nicht eisig und das Wasser war so sauber, dass er viele Meter tief auf den Grund in Ufernähe schauen konnte. Wenn er sich nicht immer so schwergetan hätte, ins Wasser zu kommen, hätte er gleich sein erstes Bad als Drache genommen. Einige hundert Meter vor sich sah er einen Felsen im See, der ein paar Hände breit aus dem Wasser ragte. Eric spreizte die Flügel, bremste und trippelte ein paar Schritte über den gigantischen Stein.

      Ein schwarzer Brocken, wie Steinkohle. Als Eric nach ein paar Schritten einen Rand erreichte, stellte er sprachlos fest, dass die Kante perfekt Winkelrecht war und die drei Oberflächen, welche er an der Ecke zwei Meter weiter links sah, waren ebenfalls alle im rechten Winkel zu einander. Eric musterte den riesigen Brocken und dachte nach, ob er jemals einen solchen Stein gesehen hatte. Definitiv nicht. Eric vermutete, dass er auf einer Art Würfel stehen könnte. Und der müsste riesig sein, denn an dieser Stelle war der See bereits weit über einhundert Meter tief.

      »Woher kommst du denn?«, flüsterte Eric gedankenverloren.

      Zu seiner großen Überraschung sah er plötzlich Bilder vor seinem geistigen Auge. Einen verdunkelten Himmel, bewölkt und abendrot. Eine Art Insektenschwarm tanzte in scharfen, geometrischen Mustern über den Bäumen. Die Bäume waren anders als jene, welche er jetzt sah. Sie hatten keine Blätter, sondern eine Art Fell, waren deutlich flacher und irgendwie weicher, wie überdimensionierte Büsche. Ein Lichtfleck erschien, immer heller werdend. Ein gigantisches, glühendes Objekt brach durch die Wolkendecke, es zog einen Feuerschweif hinter sich her, so hell, dass das Bild kurz komplett weiß erstrahlte. Dann berührte der Quader die Erde, fiel mitten in einen Wald. Ein blendend heller Blitz riss den Boden auf, rote Fluten geschmolzenen Gesteins


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