Drachenkind. . . .

Drachenkind - . . .


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und Sorge sahen, wie sich der Boden rasend schnell entfernte und die Atmosphäre bald hinter ihnen liegen würde, fühlten sie sich selbst innerhalb des mächtigen Kraftfeldes nicht mehr sicher, als ob sie sich außen an einer startenden Rakete festklammern würden. Als jedoch die Geschwindigkeit nach Minuten endlich abgebaut war und Eric dann einfach umdrehte und sich fallen ließ, entfuhr Mia ein kurzer Schrei. Sie befürchtete, dass er sich umbringen wollte. Der Boden kam nach einer Weile so schnell näher, dass für ihren Verstand keine Zeit für eine Warnung blieb. Alles, was sie und Jack nun empfanden, war eine fremdartige Leere. Ein Gefühl der Machtlosigkeit im Angesicht jenes unvorstellbaren Aufpralls, der sie schon sehr bald erwartete und gleichzeitig eine Art Rausch, angefacht von der unglaublichen Aussicht und dem Gefühl völliger Schwerelosigkeit und feuriger Hitze. Eric jedoch wusste, was er tat. Die Wut pulsierte wild und heiß in seinem Körper, doch er riss sich zusammen, verfeuerte ihre Macht und gefährliche Energie im Flug, wollte ihr keine Chance bieten, andere Dinge anzurichten. Etwa einen Kilometer entfernt sah er etwas glitzern, auf der riesigen Lichtung im Wald.

      Als sie in der Morgenröte durch eine seichte Wolkenschicht hindurchfielen, sahen sie von weitem aus, wie ein kleiner und blau leuchtender, fallender Stern. Mit geschlossenen Augen sah Eric dieses Bild vor sich, es regte eine Art Erinnerung in ihm an doch er verdrängte den Impuls, konzentrierte sich auf seinen Tastsinn. Knapp zwei Kilometer über dem Boden öffnete Eric die Flügel und drehte sich so, dass die Füße nach unten zeigten. Die Schwingen wie Bremsschirme gespreizt, verzögerte er so stark, dass Mia und Jack ohne die schützende Hülle aus Licht sicher über die scharfen Zacken auf seinem Rücken hinüber und in die Tiefe gerutscht wären. Da sie auf seinem Rücken saßen und sich flach an ihn pressten, sank ihnen das Blut nun schlagartig in die Beine. Beide kämpften mit der Bewusstlosigkeit und Jack war der erste, den sie erwischte. Eric war immer noch viel zu schnell. Niemals würde dieser Luftwiderstand ausreichen, um heil unten anzukommen. Noch neunzehn Sekunden.

      Eric rief den Wind, als hätte er das schon allzu oft getan, spürte ihn eisig unter den Flügeln und in seiner Schnauze. Er erzwang einen heftigen Unterdruck, welcher die Luftmassen in der Umgebung rapide in Bewegung versetzte. Strömungen aus allen Richtungen türmten sich säulenartig unter ihnen auf, kaum zehn Sekunden später schlug ihnen wie aus dem Nichts ein Sturm entgegen, welcher Unmengen kleiner Steine, Halme, Erdklumpen und Getreide vom Feld unter ihnen mit sich riss und ihnen buchstäblich um die Ohren schmetterte. Doch sie wurden tatsächlich langsamer, bis der magische Sturm sie anhielt und abflaute. Sanft und leichtfüßig wie eine Katze landete Eric auf den Hinterbeinen im aufgewühlten Boden und fing den Rest an Schwerkraft mit ein paar schnellen Schritten auf.

      Es wurde langsam still, die Luft beruhigte sich und ein geisterhaftes Rauschen fegte über das Feld. Eric nahm eine Fülle an bekannten und unbekannten Sinneseindrücken wahr, sein Tastsinn lieferte massenhaft Informationen über die unbekannte Erde, auf welcher sie standen. Doch er ignorierte all das und hielt seinen Geist davon ab, sich zu verselbstständigen. Fast wäre ihm die Kontrolle entglitten, als seine Nüstern die ersten Aschepartikel einsogen und seine Zunge die feinen Aromen von verbrannten Materialien aufschlüsselte. Noch ehe ihm völlig klar war, wie sich der Geruch zusammensetzte, zerbrach für Eric die Hoffnung. Es war tatsächlich zu spät. Was der Wind zu ihnen getragen hatte, war mehr als nur der Qualm eines Ofens oder eines kleinen Feuers, da war sich Eric sicher. Wenn er überhaupt etwas kannte, dann Asche.

      Als er spürte, dass Jack zu sich kam, löste Eric die schützende Hülle um seine Mitreisenden auf und forderte von Mia und Jack, abzusteigen. Die ließen sich das nicht zweimal sagen, im Nu waren sie unten, eher gefallen als abgestiegen landeten sie weich in der feuchten und aufgewühlten Erde. Jack, noch immer sehr benommen, fiel auf die Knie und erbrach mitten auf dem großen Getreidefeld, im vom Sturm hinterlassenen Chaos. Mia taumelte mit den Decken und Sätteln im Arm herum und versuchte, ihre Beine und ihren Magen wieder unter Kontrolle zu bekommen. Beide waren geschockt und kurz vor dem Zusammenbruch, noch gar nicht in der Realität angekommen und unfähig, sich aus dem drückenden Rausch zu befreien und sich klarzumachen, dass sie wieder sicheren, festen Boden unter den Füßen hatten. Ihr Gleichgewichtssinn war kaum noch zu gebrauchen. Eric beobachtete abwesend, wie die Beiden das Gefühl hatten, flach auf dem Boden zu liegen, obwohl sie sich mühevoll aufrecht hielten.

      Unvermittelt begann all das auf sie herab zu prasseln, was der Sturm wie ein Tornado aus dem Feld gerissen und gewaltsam nach oben geschleudert hatte. Eric entfaltete gleichgültig seine Flügel, schützte Mia und Jack vor tonnenweise fallenden Steinen, Erde und Getreidepflanzen mitsamt ihren Wurzeln und losgerissenen Körnern, welche wie Hagel auf sie niedergingen. Als es vorbei war, prüfte er kurz Jacks Zustand, befand ihn für ungefährlich und stieß sich wieder vom Boden ab. Er machte sich auf den Weg irgendwohin, wo er in Ruhe nachdenken konnte.

      Kapitel 18

      Es war wie ein Erwachen aus einem unwirklichen, gewaltigen Traum. Eric blinzelte, die zusätzlich schützenden Lider vor den Augen öffneten sich und kurz wurde alles viel zu hell. Unzählige Gedanken überschlugen sich, er war hungriger als jemals zuvor in seinem Leben. Seine sonstige Gelassenheit und Ruhe war wie vergessen. Der Traum ließ ihn nicht los und Eric wehrte sich gegen die Idee, die Schuldgefühle einfach zu verdrängen. Er wollte sie nie wieder vergessen. Manou musste beseitigt werden. Er würde wiederkommen, er würde stärker werden und weitermachen. Und dann?

      Eric achtete schon gar nicht mehr auf die abwechslungslose, wunderschöne Pflanzenwelt unter sich. Er kam sich vor wie ein Tourist, der über dem Urwald schwebte und die verzaubernden Bilder in sich aufsaugte, sich aber doch nicht daran erfreuen konnte. Ständig hatte er Manou vor sich, der ihn verachtend angrinste und spottend so tat, als hätte er Angst vor ihm. Fast hätte Eric wütend nach ihm geschnappt, so real überkam ihn die triezende Einbildung. Unter dem linken Ärmel von Manous langem schwarzen Mantel sah er ein Stück von einer Narbe auf dem Handrücken. Eric erinnerte sich mit Genugtuung an seinen Angriff mit dem Stachel und der Schwanzspitze. Er hatte Manou eine tiefe und schwere Verletzung zugefügt, die den Menschen beinahe einen Arm gekostet hätte und sich von der Hand bis zur Schulter zog. Aber es reichte ihm nicht. Er wünschte sich mehr. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte Eric das Gefühl, wirklich zu wissen und annähernd beschreiben zu können, was das Wort Hass ausdrücken sollte. Wer es täglich und mit Leichtigkeit aussprach, hatte keine Ahnung. Eine Belastung, ein zerreißendes Gefühl. Etwas, das alles und jeden verändern konnte, für Generationen und unsichtbar. Tückisch und kostspielig, wie ein Virus verteilbar. Schlecht. Wie ein falsches Versprechen.

      Eric sah unter sich eine Bergspitze aufragen, die nicht von Wald bedeckt war. So hoch, dass er den Schnee darauf gerade noch unter Wolkenschleiern erkannte. Die grüne Natur umringte den Berg, hielt ihn für immer dort fest. Eric sank langsam auf den stummen Koloss zu und suchte nach einer Sitzgelegenheit. Er fand eine lange Spitze und landete an ihr, grub seine Krallen in das uralte Gestein und umklammerte den turmhohen Felsen mit dem Schwanz. So verweilte er und überblickte den Wald, sah überall nur Grün, wohin er auch schaute. Es war früh, sicher noch Vormittag. Stundenlang war er ziellos und wie in Trance geflogen, weg von allem, was er bei ihrer Ankunft hatte sehen können.

      Erst jetzt wurde Eric vollkommen bewusst, was er getan hatte. Mia und Jack vergaß er nicht, aber er verjagte sie aus seinen Gedanken. Er wollte allein sein und klar denken. So, wie er es gewohnt war. Doch gerade jetzt kam es ihm unmöglich vor, sich auf etwas Anderes zu konzentrieren als auf seine Wut und den unbeschreiblichen Hunger. Der Flug war lang gewesen und die absichtlich freigesetzte Energie während der Anreise hatte an seinen Kräften gezehrt. Er spürte, wie sich der Drache seiner Sinne bediente und die Umgebung präzise nach Lebenszeichen absuchte. Er wollte jagen. Eric beobachtete sein eigenes, unbekanntes Verhalten. Abermals sah er etwas kommen, was es um jeden Preis zu vermeiden galt. Er war sich sicher: Wäre es schlimmer und er hätte in einem solchen Zustand von Wut, Hass und quälendem Hunger Menschen oder andere Wesen um sich, dann dürften die keine Fehler machen. Sonst würden sie in einem regelrechten Rausch aufgefressen.

      Eric schloss die Augen, erarbeitete sich mit jeder Minute mehr Kontrolle über sein Inneres. Er beruhigte sein Herz, verlangsamte die Atmung, reduzierte die völlig überflüssig hohe Spannung in seinem Körper, welcher gerade nur auf Explosivkraft und Jagd gepolt war. Er ignorierte die deutlich


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