Drachenkind. . . .

Drachenkind - . . .


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klirrend und raschelnd erzittern. Eilig und mit Angst in den Knochen rannte er auf den finsteren, tiefschwarzen Spalt zu, ohne zu wissen, was dahinter war. Einen Schritt später war alles dunkel, übergangslos waren abermals viele Sekunden übersprungen. Er spürte den Rest des verhallenden Bebens, welches von der übernatürlichen Bewegung der Tore verursacht worden war. Selbst durch den meterdicken Stein fühlte er ihre Anwesenheit. Zehn, zwanzig, fünfzig … Es wurden so schnell mehr, dass er nicht mehr zählen wollte. Es waren zu viele.

      Der Rat versammelte sich. Niemand würde den Kopf heben oder ein Gesicht offenbaren, wie immer. Wie jedes Mal stellten sie sich auf dem Altar in Ringen um die Schale herum auf, in welcher man von oben nur dunkle Wolken erkennen konnte. In Gedanken sah er, was sie sahen. Hier und da ein paar winzig erscheinende, finstere Wirbelstürme, die aussahen, als würden sie sich drehen. Auf der anderen, deutlich kleineren Hälfte, konnte man geradewegs durch den Himmel hindurch auf die Oberfläche des Planeten sehen, auf ein Gebirge und das angrenzende Meer. Jemand legte eine Hand auf den Rand der Schale, die Ansicht änderte sich. Wie durch die Augen eines über das Land fliegenden Drachen sahen sie Ländereien vorbei rasen, schließlich einen unendlich erscheinenden und völlig unübersichtlich großen Wald. Sie zeigten auf einen verhältnismäßig kleinen Fleck Land, umringt von den tiefschwarzen und kreisenden Stürmen. Der Wald wirkte wie ein in die Enge getriebenes Tier und war offensichtlich deutlich kleiner geworden, seitdem sie das letzte Mal hier gewesen waren.

      Plötzlich, durch das merkwürdig verzerrte Stimmengewirr der Gestalten kaum zu hören, vernahm er ein doch deutliches Ächzen und bemerkte, dass sich die zwei monströsen Türen jenes Raumes öffneten, in den er gerade noch geflohen war. Einige derer, welche direkt vor diesem riesigen Schrank standen, hatten es ebenfalls bemerkt. Trotzdem sprach niemand ein Wort, nur ihre Gedanken wurden laut, sie riefen und brüllten, machten einander darauf aufmerksam, versiegelten ihre Geister. Niemand durfte Zeuge dessen werden, was hier vor sich ging. Wer auch immer sich hinter diesen Türen versteckte, musste sterben. Unaufhaltsam bewegten sich die vielen hundert Tonnen uralten Gesteins, würden den Feind gleich offenbaren. Einige breiteten die Arme aus, als wollten sie eine Mauer bilden. Sie formten wolkengleiche Unmengen schwarzer Gedanken über ihren Köpfen, mit welchen sie gleich versuchen würden, den Spion zu lähmen und zu töten. Er würde sterben, spürte diese Gewissheit tief im Inneren. Warum war er hier? Wie war er überhaupt in dem langen Gang gelandet? Wieso wusste er überhaupt, wo er war? In genau dem Moment, als sich ein Spalt zwischen den beiden Torflügeln öffnete, zuckte ein heftiges, blaues Leuchten durch die Schale. Einige drehten sich um, konnten sich nicht entscheiden, wem oder was sie ihre Aufmerksamkeit widmen sollten. Das grelle Phänomen wiederholte sich, die Schale bekam Risse. Einige lösten sich auf und verschwanden, als sie begriffen, dass etwas Gefährliches im Anmarsch war. Andere blieben verwirrt im Raum, stürmten auf ihn zu oder warfen einen Blick in die Schale, aus welcher plötzlich heftige Blitze und Lichtbögen aus grellstem Blau hervorschossen und die gesamte Umgebung zerschmetterten. Was nicht aus Stein oder fest verbaut war, wurde von den unberechenbar umhertanzenden Entladungen zu Asche verbrannt. Alles wurde betäubend hell, nur der dunkle Spalt zwischen den riesigen Torflügeln blieb übrig, ehe der Traum sich auflöste.

      Kapitel 14

      Eric schreckte aus dem Schlaf hoch und rieb sich die Augen, welche vom grellen Licht der gewaltigen Blitzschläge noch immer geblendet waren. Doch es ließ schnell nach. Er schüttelte den Kopf und sah sich im Raum um. Jack war scheinbar gerade erst aufgestanden und nun dabei, ein frisches Handtuch aus dem Schrank zu zerren. Er sah Eric besorgt an.

      »Wieder so schlimm?«

      »Nein«, sagte Eric zögerlich, »es ist okay. Keine Schmerzen. Es war ein sehr alter Traum, irgendwie verwirrt. Ich weiß nicht, wieso ausgerechnet der. Wie spät ist es?«

      »Bald Mitternacht. Wir sollten gehen. Ich nur noch einmal duschen, lieber frisch reisen. Du auch?«

      Eric nickte, gähnte und beeilte sich aus dem Bett.

      Alles im Heim war still und schlief. Sie schlichen durch den Flur und in den Duschraum, schlossen die Tür hinter sich, was sie sonst nie taten. Jack betrat gleich die erste Kabine. Er hatte wohl keine Lust, mitten in der Nacht auch nur einen einzigen unnötigen Schritt zu tun. Eric konnte die Reste von Jans Blut riechen und kurz war es ihm, als hinterließe er mit jedem Schritt rote, feuchte Abdrücke auf den Fliesen. Obwohl er genau wusste, dass es nicht mehr zu sehen sein konnte, da hier regelmäßig geputzt wurde, verzichtete er darauf, seinen Stammplatz aufzusuchen und so den Raum durchqueren zu müssen. Er nahm die nächste Kabine neben Jack. Ein komisches Gefühl beschlich ihn, als ihm richtig klarwurde, dass sie dieses Haus für unbestimmte Zeit verlassen würden. Irgendwie keimte der Verdacht, dass er das Heim vermissen würde. Eric kannte nichts anderes und obwohl er sich immer gewünscht hatte, einmal weit weg zu reisen, fort von allem, fühlte er sich doch an dieses Gebäude gebunden und an alles, was damit zusammenhing. Was wäre mit Crow und Haku? Würden Jack und er die beiden wiedersehen? Crow brauchte jemanden, der ihm Hilfe und vielleicht Schutz oder Trost anbot. Wahrscheinlich würde Haku das übernehmen. Eric erinnerte sich sofort, wie Haku Crow ohne zu zögern bei der Hand genommen hatte, als Jan ihm zu nahe gekommen war. Jan … Was würde der wohl tun, wenn ihm klarwürde, dass Jack, Eric und Mia fort wären? Jack klopfte gegen die Kabinentür, Eric zuckte zusammen. Offenbar entglitt ihm mal wieder die Zeit.

      Als sie draußen vor dem Gebäude standen und die leeren Straßen begutachteten, sah Jack sich das Haus noch einmal genau an. Er schien etwas Ähnliches wie Eric zu empfinden und meinte:

      »Gutes Haus. Eric, ich viel nachgedacht. Ich sehr froh, dass wir zusammen diese Reise antreten, glaub mir.«

      Stumm nickte Eric zustimmend. Er war abgelenkt. Mia war erst vor Kurzem losgegangen, die Reste ihres Geruchs und ihrer Körperwärme hingen in der sommerlichen Windstille leicht verwirbelt in der Luft. Gemeinsam und angenehm aufgeregt machten sie sich in der Dunkelheit auf den Weg zum verlassenen Sportzentrum.

      Schon bevor sie die Tennisplätze erreicht hatten, zeigte Eric auf einen kleinen, dunklen Punkt auf dem mittleren Platz, Jack sah angestrengt hin und nickte.

      »Ja, sie schon da. Mit Gepäck dabei, wie es aussehen. Wie sollen das gehen? Ich werden bestimmt nicht viertausend Kilometer lang festhalten.«

      Eric schmunzelte. Mia hatte eine Lösung für das Problem, da war er sich sicher. Auch Jack war das klar, doch wie so oft, wenn er aufgeregt war, sprach Jack genau das aus, was er als Erstes dachte. Eric lauschte, etwas raschelte hinter ihnen und er drehte sich um. Ein tiefschwarzer Vogel landete auf einer Bank im Park, durch welchen sie gerade gingen. Die großen Grünflächen grenzten direkt an das Sportzentrum. Ein Lächeln schlich sich in Erics Gesicht, als er erkannte, dass es eine Krähe war. Er winkte ihr zu, der Vogel blieb still, doch dann hüpfte er über die Bank und flatterte davon.

      Mia stand lächelnd da und erwartete sie.

      »Sehr schön, ihr kommt zur richtigen Zeit. Beeilung, in wenigen Stunden wird es hell. Ich habe Decken mitgebracht. Wir werden wohl kaum frieren, Eric strahlt ja ordentlich Wärme ab. Aber wir können so besser und bequemer sitzen. Ich hoffe, du bist ausgeruht, denn wir werden lange nur Wasser unter uns haben und da kannst du wohl kaum rasten. Ich weiß, dass du es mit Leichtigkeit schaffen kannst, doch möchte ich sicher sein, dass wir nicht ertrinken.«

      Eric schloss die Augen, fühlte sich den Umständen entsprechend gut, ausgeruht und munter. Trotz des alten, wiedererwachten Traumes, denn der war fast völlig schmerzfrei gewesen. Während des Fluges konnte er darüber nachdenken. Genug Zeit gab es ja, außerdem würde er bestimmt nicht müde. Und da war es wieder, jenes Aufblitzen von Bildern, die nach weniger als einer Sekunde verschwanden. Er rief sich das Bild wieder vor Augen, sah etwas, das wie eine Gruppe von vermummten Gestalten wirkte, die scheinbar durch einen Wald liefen und sich plötzlich verflüchtigten. Im nächsten Moment sah er Feuer und Rauch, brennende Körper und ein wahres Trümmerfeld, rund herum um einen tiefen, qualmenden Krater. Eric blinzelte, Mia schaute ihn besorgt an.

      »Eric, ist etwas?«, fragte Mia. Auch Jack warf ihm einen fragenden Blick zu, hatte den kurzen Schrecken gespürt. Eric sah sie beide an und überlegte, ob er es für sich behalten sollte.


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