Drachenkind. . . .

Drachenkind - . . .


Скачать книгу
könnte ihn später unmöglich wieder alleinlassen. Crow war so tapfer, viel selbstständiger und mutiger als Eric es bei allen hier im Heim je erlebt hatte. Genau wie Jack und Haku. Er vergaß völlig, warum er eigentlich allein hier im Zimmer geblieben war, hatte nur noch Raum und Zeit für Crow, der gerade in ein sehr tiefes Loch zu fallen drohte. Eric schob ihn vorsichtig von sich weg und sah ihm in die Augen. Etwas in Erics Inneren hielt Crow auf Abstand und wollte nicht riskieren, dass der sich zu sehr an etwas binden würde, was vielleicht grausam und dunkel war.

      »Crow, du bist unglaublich. Ehrlich. Du bist so stark. Du wirst damit zurechtkommen, glaub mir. Du kommst klar, mit der Zeit. Ich weiß, wie du dich fühlst. Du bist nicht allein hier, hörst du? Erinnere dich an deine Eltern, so viel du kannst. Egal, wie schmerzhaft. Du wirst damit leben müssen und das kannst du auch.«

      Crow sah ihn unsicher an, wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. Er schien Erics Worte zu verstehen und anzunehmen, nickte stumm und machte einen Schritt zurück, setzte sich wieder an den Tisch und legte den Kopf erschöpft auf die Tischplatte. Eric blieb kurz stehen, wusste nicht, was er tun sollte oder was es jetzt noch zu sagen gab. Aber Crow machte eindeutig den Eindruck, ihn gerade jetzt irgendwie zu brauchen. So setzte auch Eric sich wieder hin. Minutenlang beobachtete er Crow dabei, wie der sich an seine Vergangenheit erinnerte. Ab und zu schluchzte er, beruhigte sich aber jedes Mal. Als wollte er ab heute nie wieder weinen.

      »Ich glaube, du bist wirklich ein Drache«, sagte Crow schließlich, während er sich mit den Ärmeln seines schwarzen Pullovers das Gesicht trocknete und sich auf seinem Stuhl räkelte, »ich denke, es stimmt.«

      Abermals war Eric verblüfft, doch dieses Mal fragte er sofort nach.

      »Warum? Hast du schon mal einen getroffen?«

      »Nein, nein. Keine Ahnung. Aber sieh dich an! Du bist extrem stark, obwohl du noch so jung bist und gar nicht so aussiehst. Naja, schon etwas, aber … die meisten hier scheinen Angst vor dir zu haben, oder vielleicht nicht Angst aber auf jeden Fall sehr viel Respekt, also … naja. Und das mit Jan! Etwas ist mit deinen Augen, ich weiß nicht genau. Aber wenn ich hineinsehe, dann ist das nicht normal.«

      »Wie kommst du darauf, dass sie Angst vor mir haben?«

      »Ich glaub, die spüren einfach, dass du anders bist. Sehr, sehr anders. Und außerordentlich mächtig. Ich kann es jedenfalls fühlen. Die Wärme und … keine Ahnung. Wie jetzt. Ich fühle mich wohl hier. Beschützt. Kannst du seine Gestalt annehmen?«

      Crow machte gerade einen großen Schritt nach dem anderen, näherte sich zielstrebig und überrumpelnd jener Information, welche ihn so interessierte. Eric erkannte sofort, dass seine Neugier aufrichtig und ohne Hintergedanken war, obwohl langsam deutlich wurde, dass er es aus einem bestimmten Grund unbedingt wissen wollte. Eric konnte kaum einen klaren Gedanken fassen. Wie bereits öfter mit Jack hatte er plötzlich das Gefühl, dass Crow viel mehr wusste als er.

      »Crow«, sagte Eric abwesend. In seiner Stimme lag etwas Drohendes, völlig unbeabsichtigt. Vertraue niemandem blind, hörte er es in seinen Gedanken klingen.

      »Habe ich zu viel gefragt? Sorry, das meinte ich nicht so. Manchmal … Mist. Bitte verzeih mir das, Krähen sind sehr beharrlich. Sie sind listig und verfolgen ihre Ziele. Ich wollte nicht unhöflich sein, wirklich nicht. Es tut mir leid.«

      Eric lächelte müde.

      »Es ist okay. Komm her.«

      Crow starrte Eric unsicher an, Eric erkannte einen Funken Furcht in seinen Augen. Doch er löste sich davon, stand auf und kam zu Eric, der sich ebenfalls von seinem Platz erhob.

      »Crow, behalte es für dich. Versprich es mir.«, sagte Eric und Crow nickte verwundert. Eric schickte einen Gedanken, zeigte ihm die Gestalt des Drachen. Crow stolperte bestürzt zurück, als er direkt in die Augen des riesigen, fast schwarzen Wesens blickte und kurz aber heftig die enorme Hitze im Gesicht spürte, mitsamt der unglaublichen Kraft, mit welcher der Drache in seine Seele blickte und sie festhielt. Er öffnete schnell seine Augen, als wollte er aufwachen und starrte Eric an wie etwas, was urplötzlich aus dem Nichts aufgetaucht war. Als er die eigene Reaktion erkannte, kam er kleinlaut zurück zu Eric, der ihn nur aufmerksam musterte.

      »Okay«, stammelte Crow leise, etwas Schweiß bildete sich auf seiner Stirn, »okay, okay. Es stimmt also. Du bist … Wow. Du siehst … Wie kann man keine Angst vor dem Biest haben? Oh, entschuldige, nichts für ungut. Ich meine, wer dich nicht kennt, also …«

      Crow lächelte vorsichtig und neigte sich leicht nach vorn, als wollte er sich verbeugen. Er ahnte langsam, dass Eric das Ganze eher unangenehm war.

      »Aber so bist du gerade gar nicht. Jetzt bist du so anders, total anders. Kein Monster.«

      »So, bin ich das? Sag mir ehrlich, hast du Angst?«

      Eric fühlte sich schmerzlich an den Moment erinnert, welcher überhaupt zu jenem jetzt geführt hatte. Crow sah ihn an. Ihm dämmerte langsam, was Eric die ganze Zeit über beschäftigte und wie sehr seine direkten Worte daran gekratzt hatten. Er holte tief Luft, wischte sich kurz über die Nase und wirkte ziemlich verlegen. Er wurde nervös. Eric sah in den Gedanken des Jungen jenes Gefühl von Wärme und Trost aus dem Moment, in welchem Eric ihn umarmt hatte. Crow hatte die Zuneigung und das empfundene Gefühl von Schutz und Sicherheit tief in sich eingeschlossen, es stärkte ihn.

      »Nein. Jetzt nicht mehr. Aber ich hatte Angst. Deshalb kam ich her. Ich glaubte, dass du Jan vielleicht nur aus dem Weg geräumt hast, um selber die Nummer eins … du weißt schon, was Raubtiere eben tun. Krähen übrigens auch, deshalb dachte ich … egal. Aber Haku hat gesagt, ich solle mich trauen und zu dir gehen, du wärst anders als das, was ich gesehen habe. Und was alle anderen gesehen haben. Er meint, du hättest mich und Jack tatsächlich nur schützen wollen. Stimmt ja auch, das weiß ich nun. Ich mag dich sehr, Drachenjunge. Irgendwann will ich auch so stark sein wie du. Darf ich wiederkommen?«

      Eric war überfordert von Crows Redeschwall und seiner uneingeschränkt direkten Ehrlichkeit, die schon fast entwaffnend wirkte, obwohl sie einander überhaupt nicht kannten. Er hatte selbst so viele Fragen, so unglaublich viele Reaktionen auf Crows Besuch, dass er nur abwesend »klar« sagen konnte. Crow wirkte mit einem Mal so lebendig, obwohl Trauer und Erschöpfung ihm tief in den Knochen saßen. Er sah Eric dankbar und erleichtert an und Eric erkannte die Hoffnung in ihm, einen Freund entdeckt zu haben. Er lächelte Crow ehrlich an, dann meinte er:

      »Crow, du bist wirklich erstaunlich. Wie alt bist du?«

      Crow nickte und lachte.

      »Sind wir alle. Ich schulde dir was! Keine Ahnung. Mia sagt, vielleicht elf oder zwölf. Was meinst du? Sollte ich das wissen?«

      Eric lächelte ihn anerkennend an, hielt ihm seine Faust hin. Crow blinzelte verunsichert, doch nach kurzem Zögern kam er ganz langsam näher und hielt seine eigene Faust gegen Erics, während er dessen Reaktion genau beobachtete. Eric lachte.

      »Passt. Ist egal, aber du bist einfach so … ich weiß es nicht. Du bist groß.«

      Crow nickte Eric zu, ging zur Tür und verschwand so unauffällig, wie er aufgetaucht war.

      Kapitel 12

      Als Eric aufwachte, war sein Kopf wie leergefegt. Völlig entspannt atmete er kaum noch. Die Sonne stand höher, vermutlich Mittagszeit. Er holte tief Luft und ihm wurde leicht schwindelig. Er hatte tatsächlich geschlafen, ohne zu träumen. Zwar kaum zwei Stunden, aber es fühlte sich fast so an, als wäre es etwas komplett Neues.

      Jack war noch immer nicht zurück. Eric richtete sich in seinem Bett auf und starrte seine Füße an. Es dauerte mehrere Minuten, bis er wieder in Gang kam und seine Gedanken langsam zurückkehrten. Nach einer Weile fiel ihm Crows Besuch ein und er sah den Tisch an. Sofort begann eine Unmenge an Fragen in seinem Kopf zu kreisen. Gab es noch mehr ihrer Art in diesem Heim? Wie viel wusste Haku und wie viele Geheimnisse hatte Jack tatsächlich? Und Mia. Bei dem Gedanken an sie fühlte er eine kurze Spannung im Bauch. Sie musste so viel mehr wissen als sie preisgab. Er dachte an ihren Brief, erinnerte sich sofort an die


Скачать книгу