Drachenkind. . . .

Drachenkind - . . .


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dicken Maden gefüllt, bewegte sich alles unter Jans Haut, das teils knirschende und schmatzende Geräusch erinnerte schließlich an schwere Regentropfen auf weichem, dickem Stoff. Nach kaum siebzehn Sekunden schreckte Jan auf, als wäre er gerade einfach nur in einer langweiligen Unterrichtsstunde weggedöst.

      Jan gab keinen Ton von sich, er hyperventilierte. Sein Kopf zitterte, er sah die Schweinerei auf dem Fußboden und starrte seine Hände an, bewegte die Finger. Er hatte zwar keine Schmerzen, doch er wusste, dass gerade irgendetwas passiert war. Bloß war der Schreck so gewaltig, dass er sich nicht sicher war, ob er nur geträumt hatte. Sein Körper war völlig gesund und als wäre Jan einfach nur ausgerutscht oder gestolpert, wollte er sich aufrichten. Das große Badehandtuch, noch immer um seine Hüfte geschlungen, war voller Blut. Als er das sah und Eric vor sich erkannte, zuckte er zusammen und der Groschen fiel. Kein Traum. Aber das war unmöglich. Eric sah ihn einfach nur an, spürte einen erneuten Anflug feuriger Hitze in seiner Brust und beobachtete berechnend den völlig unmöglichen Konflikt in Jans Bewusstsein, zwischen der Wahrheit und dem, was in Jans eigener Wahrheit unmöglich sein müsste.

      »Tut mir leid. Alles klar?«, sagte Eric. Er hielt Jan die Hand hin, doch der nahm sie nicht und begann, noch heftiger zu zittern. Er sank zurück auf den Boden, mit dem Rücken an der Trennwand. Am liebsten wäre er noch weiter ausgewichen, nur langsam beruhigte sich seine Atmung.

      »Warte, nein. Antworte nicht. Es ist mir nämlich scheißegal.«

      Eric lächelte ihn an, dann packte er Jan am Hals und stellte ihn aufrecht gegen die Trennwand. Er griff in Jans Plastiktüte, welche vergessen in einem Waschbecken lag, nahm eine frische Tube Zahnpasta heraus und drückte sie Jan in die wieder völlig verheilte Hand.

      »Rate mal.«

      Jan nahm sie zitternd entgegen und ging zu dem kleinen Jungen, der noch immer die Augen geschlossen hatte und sich fest an Haku klammerte.

      »Hey«, sagte Jan mit schwacher Stimme und ging vor dem Kind auf die Knie. Er war den Tränen nahe, »du kannst jetzt wieder hinsehen. Es tut mir so leid … bitte, nimm … bitte … Es tut mir leid, ich … bitte.«

      Der Junge öffnete die Augen, sah direkt in Jans Gesicht und überlegte erstaunt und eingeschüchtert genau, was er tun sollte. Er sah die Spuren auf dem Boden, das Blut in Jans Gesicht und dessen psychisch völlig gestörten Zustand. Er nahm stumm die Tube entgegen. Eric nickte ihm zu, schickte ihm einen Gedanken.

      »Hab keine Angst. Es ist vorbei. Es wird dir hier gutgehen, ich verspreche es dir. Komm zu mir, Jack oder Haku, falls es Probleme gibt. Zeige keine Angst.«

      Eric wandte sich ab und machte sich auf den Weg zu seinem Stammplatz, der letzten Duschkabine. Alle anwesenden Jungs vermieden es konsequent, ihm in die Augen zu schauen. Jene, welche älter und größer als er waren, schienen sich leicht zu verneigen. Eric fühlte ihre aufrichtige Unterwerfung, es war unterbewusst und völlig surreal, selbst für ihn. Als würde der Drache noch immer auf sie einwirken. Sie wichen ihm einfach aus, machten wortlos den Weg frei und starrten auf die blutigen Fußabdrücke, welche Eric hinterließ. Sie alle würden in ein paar Minuten aus ihrer Starre erwachen, einige würden sich Jans Blut von den Füßen und Beinen waschen. An was würden sie sich erinnern? Eric empfand eine Art Enttäuschung, als er ihnen in die Gesichter blickte. Warum unterwarfen sie sich? Er konnte nicht klar denken, war noch lange nicht wieder völlig bei sich.

      »Haltet zusammen. Ihr seid so viele. Warum habt ihr dem Kleinen nicht geholfen? Warum steht ihr immer nur da und schaut euch den Scheiß an?«, fauchte Eric genervt. Keiner sagte etwas.

      Er schloss die Kabinentür hinter sich und drehte den Hahn auf, hörte, wie nach anfänglicher Totenstille so langsam das Leben zurückkehrte. Leise zwar, als wollte ihn niemand stören, aber es ging weiter. Jemand weinte leise, doch es war nicht Jan oder der neue Junge, welcher noch bei Haku stand. Eric vernahm seine Stimme, als das Kind fassungslos mit Jack und Haku sprach.

      »Wer ist das? Was hat er gemacht?«

      »Ich weiß es nicht«, antwortete Haku letztlich, als Jack lange stumm blieb.

      Kapitel 10

      Jack schloss die Tür hinter ihnen, warf seine Sachen aufs Bett und starrte Eric fragend an. Er rang mit sich, wusste einfach nicht, wie er anfangen sollte. Fast so, als wollte er sich ablenken, trocknete Jack sich mit seinem riesigen, roten Handtuch ab und begann, sich anzuziehen. Schließlich hielt er inne und sah Eric erneut an. Er hatte Angst.

      »Eric. Fuck …«

      Eric sah ihn müde an. Er war wieder völlig klar im Kopf, doch bisher hatte er keine präzisen Erinnerungen an die Zeit während seines Blackouts. Nur hässliche, blutige Vermutungen. Er war gleichzeitig verwirrt, aber keinesfalls sonderlich berührt. Eric zog sich an, setzte sich auf sein Bett und blieb benommen sitzen, hin- und hergerissen zwischen Fassungslosigkeit und der klaren Erkenntnis, dass er viel zu wenig Reue verspürte und sich erstaunlich gut fühlte. Jack setzte sich neben ihn.

      »Hätten du ihn nicht wieder repariert, dann … Eric, was haben du getan?«

      Eric spürte Wut in sich. Ja, gute Frage. Oder war es gar nicht er selbst gewesen? Sowas würde er im Leben nicht tun. Oder doch? Ihm wurde unvermittelt schlecht und er fühlte sich fast wie in dem Moment, als er Jack im Wald von seinen Träumen erzählt hatte. Machtlos, an die eigene Hilflosigkeit erinnert. War das gerade wirklich passiert? Was war überhaupt passiert? Er spürte noch immer eine Spur der Erregung und Hitze in sich, hatte nach wie vor einen merkwürdigen Geschmack im Mund. Schlagartig erfasste ihn eine seltsame Taubheit. Er erinnerte sich an Hakus Antwort auf die Frage des Jungen, wer Eric denn sei. Ich weiß es nicht. Das war Hakus Antwort. Völlig zutreffend und in dem Moment das Einzige, was jemand sagen konnte, der Eric nahestand. Eric wusste nicht, was mehr wehtat. Dass Haku nicht mehr sagen konnte, wen er vor sich hatte, oder dass er dies nur gesagt hatte, weil ausgerechnet Jack überhaupt nichts sagen konnte. Er brauchte Erinnerungen. Obwohl er eigentlich gar nicht genau wissen wollte, was alles passiert war.

      »Jack, was hast du gesehen? Was siehst du jetzt?«

      Jack sah ihn nur nachdenklich an.

      »Keine Ahnung. Das war … Eric, das war Monster.«

      »Vertraust du mir?«, fragte Eric tonlos.

      »Ja«, sagte Jack ohne nachzudenken und schaute Eric direkt in die Augen, »ja, immer. Aber jetzt gerade ich Angst vor dem, was da eben passierte. Ich fürchten, was du werden könntest, wenn du nicht verstehen, was los ist. Das war … du haben …«

      Eric wurde langsam schwach, jetzt kam der Schreck bei ihm an und ihm schossen heiße Tränen in die Augen. Zum ersten Mal in seinem Leben erlebte er in bewusstem Zustand völlig klar die Barriere zwischen seiner menschlichen Seite und dem, was scheinbar das Wesen des Drachen war. Oder Teil davon. In dem Moment kam es ihm absolut unmöglich vor, beides zu verbinden oder sich dem Drachen auch nur anzunähern. Eric sah sich selbst in Jacks Erinnerungen, verfolgte sein Vorgehen und den Moment, in dem der Drache die Kontrolle übernommen hatte. Es hatte sich angekündigt. Was hätte er tun sollen?

      »Eric, Jan noch leben. Scheinbar geheilt, keine Verletzungen an Körper, alles wie vorher. Du haben zu ihm geflüstert, dass du ihn töten wollen, aber du nicht tun, weil jemand dich nicht lassen.«

      »Was?«

      Eric traute seinen Ohren nicht. Es ging also doch noch schlimmer. Jeder musste gehört haben, was er zu Jan gesagt hatte. Reflexartig durchforstete er Jacks Gedanken, der die ganze Zeit neben ihm gestanden und versucht hatte, Eric aufzuwecken. Eric hörte die eigene Stimme Dinge sagen, die jetzt wie glühende Projektile in ihm einschlugen. Als blickte er eines Morgens gut gelaunt und ohne Grund zur Sorge in den Spiegel und sein Spiegelbild begann plötzlich, zu sprechen. In einer Art, die seine Realität völlig verzerrte.

      »Eric, wer dich nicht lassen? Du meinen mich oder dich selbst? Oder anders?«

      Eric starrte ihn sprachlos an.

      »Ich weiß es nicht. Jack, ich hab keine Ahnung. Aber …«

      »Es


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