Drachenkind. . . .

Drachenkind - . . .


Скачать книгу
hatte Eric in Ruhe liegen lassen und auf seine Attacke mit dem Kissen verzichtet. Jetzt, jeder noch im Bett liegend, unterhielten sie sich über das Ziel, für welches Mia eine Reise planen könnte.

      »Vielleicht genau die Welt, von welcher mein Vater immer erzählt. Sie können uns vielleicht mit zu Verwandten nehmen. Oder wir auf den Mond fliegen … okay, vielleicht auch nicht. Oder sie uns einfach nur mitnehmen in anderes Haus in andere Stadt.«

      »Ich glaube eher, dass es sich um einen Platz handelt, an dem alles, was wir in den letzten Wochen so getan haben, normal und alltäglich ist. Und genau das macht mir Sorgen. Stell dir böse Menschen mit unseren Fähigkeiten vor.«

      Jack verstummte. Eric hatte recht, es war etwas beängstigend. Aber er war auch nicht irgendein normaler Mensch. Sie hatten sich bisher noch nicht darüber unterhalten, ob Eric denn nun ein Mensch mit der Seele eines Drachen war, oder ein Drache, der sich als Mensch vor irgendetwas versteckte. Und Eric schien keine Antwort darauf zu wissen oder jene, welche ihn ab und zu tief innen anstieß, nicht annehmen zu können. Mia hatten sie nicht gefragt. Sie hielten es für besser, zuzuhören, anstatt Fragen zu stellen, die sie zu einem besseren Zeitpunkt beantwortet bekommen könnten. Eric überlegte gerade, ob er Jack auf letzte Nacht ansprechen sollte. Doch etwas hielt ihn davon ab. Vielleicht später? Jack schien selbst noch darüber nachzudenken und Eric vertraute ihm bedingungslos und wusste, dass Jack es von selbst ansprechen würde, sofern es ihm wichtig war.

      Jack stieg aus seinem Bett, gähnte und nahm seine Plastiktüte mit dem Duschgel, einer Zahnbürste und anderen Dingen, legte sich dann sein großes Badehandtuch um die Hüfte. Eric tat es ihm gleich. Als sie den Flur entlang tapsten, hörte Eric kein Gekicher oder Getuschel. Es freute ihn, dass er in Ruhe mit Jack irgendwo auftauchen konnte, ohne gleich mit lauter Gekreische oder blöden Sprüchen empfangen zu werden. Immerhin waren sie beide etwas Besonderes und dass niemand es wusste, machte die ganze Sache erst richtig interessant. Jack teilte seine Meinung und Eric bewunderte ihn dafür, dass er sich nicht über seine geringe Körpergröße ärgerte und sich auf andere Art wichtigmachen wollte. Er würde sowieso noch wachsen. Sie waren gar nicht so verschieden, dachte Eric.

      Als sie am Eingang zum Bad standen, hörten sie schon die Stimme von Jan, der mit dem Sieg bei einem Fußballspiel gegen eine externe Mannschaft prahlte. Eric warf Jack einen verwunderten Gedanken zu, der antwortete sofort.

      »Sie so unfair gespielt, du dir sicher denken. Die anderen aufgeben, weil Torwärter Arm gebrochen.«

      Eric nickte. Immer das Gleiche. Als ihm der fruchtige Geruch einer Seife in die Nase wehte, sah er den roten Lippenstift mit Erdbeeraroma vor sich, in Form einer plumpen Drohung auf einem Spiegel. Eric spürte einen kurzen Druck in den Zähnen.

      Sie traten in den nebeligen Raum ein. Fast die Hälfte aller Jungen war schon auf den Beinen. Jan und seine Gruppe hirnloser Kollegen hatten sich wieder in den Bereich hinter der Trennmauer begeben, an der noch eine Extrareihe Waschbecken angebracht war und hinter der man von außen nicht zu sehen war. Sie suchten ständig einen Grund, an den jüngeren vorbeistolzieren und ihre Muskeln zeigen zu können. Die hatten zwar keine Angst, waren aber teils sehr verunsichert. Es war lästig, Jan hatte sich an das erste Waschbecken gestellt und leerte gerade die Zahnpasta eines kleineren, dunkelhäutigen Jungen in den Abfluss. Jacks Gedanken zufolge war der Neue erst vor ein paar Tagen eingetroffen und elf Jahre alt. Als sie Jack und Eric kommen sahen, lachten sie und der Junge bekam einen Schreck. Er schien zu denken, dass der Typ, der da ankam, zu seinen Peinigern gehörte, da er fast noch stärker wirkte als sie. Eric spürte seine Hilflosigkeit und Müdigkeit, der Neue war fertig mit der Welt und fing an, zu weinen.

      Eric witterte sofort die durchwachsenen Reaktionen aller anderen auf sein Eintreten, hatten sie ihn doch so lange nicht gesehen. Vorrangig Ungewissheit und Vorsicht, fast Besorgnis. Es wurde ruhiger im Raum. Warum half niemand? Jack ging zu dem Neuen, zog ihn von der Gruppe lachender Trottel weg und tröstete ihn. Eric stellte sich vor Jan neben das Waschbecken und sah ihn an, blickte unbeabsichtigt aber merkwürdig kühl direkt in dessen Seele. Etwas versetzte ihm einen Stich. Eine Art Dunkelheit oder Ungewissheit. Jäh fühlte er sich an seine Träume erinnert.

      Jan verging das Lachen, als er feststellte, dass Eric, den er seit über einem Monat nicht gesehen hatte, jetzt beinahe genau so groß wie er war. Eric sah ihn weiterhin einfach nur an, sein Inneres wurde heiß. Als wären Jahre an Abneigung und Verachtung gegenüber Jans Aktionen und Charakter plötzlich alles, was ihm in den Sinn kam. Jans Erstaunen über Erics unerwartet physisch betontes Auftreten war deutlich, er hatte wohl eher mit Worten gerechnet. Doch nun überlegte er, ob es heute endlich darüber hinausgehen würde. Er hielt sich für vorbereitet, war sich seiner Sache sicher und sehnte sich danach, Eric vor allen anderen zu demütigen.

      »Na«, tönte Jan, als er sich wieder gefangen hatte, »bist du wieder gesund? Schade, es war so schön ohne dich.«

      Eric lächelte kaum merklich. Unfassbar, Jan war an Einfallslosigkeit nicht mehr zu übertrumpfen. Er erkannte Jans Absicht, in dem Moment einfach nur abzutasten, wie Eric so drauf war.

      »Ich sehe, du vollbringst wieder Großes. Weißt du überhaupt, warum du dich die ganze Zeit, jeden Tag, seit Jahren, wie ein dummes, überflüssiges, lästiges, sadistisches Stück Scheiße verhältst? Macht es dir Spaß? Ist dir langweilig? Was ist es, Jan? Und warum immer nur die Jüngeren? Oder nur dann ältere, falls sie schwächer sind? Hast du Angst? Traust du dir nicht mehr zu? Fühlst du dich minderwertig? Allein? Abgelehnt? Was ist dein Problem, Jan?«

      Eric verlor langsam die Geduld, sah die Gedanken hinter Jans Stirn langsam und träge arbeiten. Er hatte bereits mehr gesagt als er überhaupt wollte. Offensichtlich gelang es Jan nur unter Einsatz größter Leistung, den Satz seines selbst gewählten Erzfeindes zu verstehen und die völlig offensichtliche Ironie am Anfang zu entschlüsseln. Als er es vollbracht hatte, baute er sich so richtig vor Eric auf und schielte auf ihn herab, soweit das noch möglich war.

      »Weißt du«, sagte er in seinem gefährlichsten Tonfall, »wo ich herkomme, wärst du schon längst tot. Wir hätten dich umgelegt … erst verprügelt oder gefoltert, dann umgelegt. Und du hättest nie eine Chance gehabt. Die du auch nachher nicht haben wirst, wenn meine Leute und ich uns mal um dich und deinen kleinen Reisfresser da kümmern werden. Du hast ja keine Ahnung, was auf euch wartet. Du hast keine Ahnung.«

      Eric blieb still. Dass Jan Jack ins Spiel brachte, machte alles nur noch schlimmer. Er hörte das Rauschen eines einzigen Wasserhahns, den vor lauter Neugier und Aufmerksamkeit für Jan und Eric niemand abstellte. Als warteten alle darauf, dass sich die so lang angestauten Spannungen zwischen den beiden genau jetzt entladen würden. Eric sah die Erinnerungen in Jans Geist, den Moment, in welchem er sich an Jack austoben wollte, während Eric nicht da war. Erst jetzt fiel ihm Jans Nase auf, welche noch immer leicht gerötet war. Jan spielte mit seinen Muskeln, wertete Erics Stille als Schwäche und kam noch näher. Beide berührten einander fast.

      »Na, was ist, Nigger? Ach ja, du bist ja gar nicht schwarz. Wie dumm von mir. Falsche Beleidigung. Oh, Moment. Du bist schwarz! Ist wohl nicht mein Tag heute. Hilfst du der kleinen Heulsuse deshalb? Hm? Loyalität unter Schoko Muffins? Unter dreckigen Tieren? Warte, nein. Antworte nicht. Es ist mir nämlich scheißegal.«

      Er lachte, ein paar seiner Kumpels konnten sich das Grinsen nicht verkneifen. Jemand drehte endlich den Wasserhahn zu. Stille. Eric blickte an Jan vorbei, sah den kleinen Jungen an, der jedes Wort mithörte und sich wieder beruhigt hatte. Er wirkte aufgebracht, fast wütend. Doch er wusste genau, dass er jetzt nichts gegen Jan sagen sollte. So schwieg er und starrte Eric einfach nur hilflos an, mit einem merkwürdigen Ausdruck im Gesicht.

      »Hör dir das an. Mach dir nichts draus. Du bist nicht alleine. Er schon.«, sagte Eric leise zu ihm.

      Jan lachte laut auf, machte einen Schritt zurück und fummelte dem Jungen durch die rabenschwarzen Haare, packte ihn spöttisch am Nacken und drückte ihn fest an sich.

      »Ich mach doch nur Spaß, du kleiner Schokokuss, du … Alles halb so wild, mein Freund. Ist er nicht niedlich? Ganz schön dunkel, hm? Immerhin, ein echter Schwarzer. Keine schmutzige Mischung wie du, Eric! In ein, zwei Jahren ist er groß genug, um mir den Schwanz zu lutschen. Bis dahin, alles cool. Welpenschutz.


Скачать книгу