Drachenkind. . . .
hierher. Ich … ich dachte, du wärst … Ich musste doch … Ich weiß nicht … Bitte, ich habe eine Familie, bitte!«
Eric verwunderten die vielen ich`s, er dachte schnell über die mechanische Antwort des Jägers nach. Ewige Wälder? Auf dem Eis? Wo sollten die sein? Selbst für den Fall, dass sie weit weg wären und somit keine Erfindung, dann müsste der kleine Mann für den Auftrag sehr lange unterwegs gewesen sein. Um einen einzigen Jungen zu finden, welcher rein zufällig irgendwo auf einem Eisberg auftauchte? Und wer hatte ihn geschickt? Ein Herrscher? Eric sah in den Gedanken des Jägers eine erstaunlich große Holzhütte im Wald.
»Wald, sagst du? Ich sehe hier nur Eis. Neuer Versuch!«, fauchte Eric wütend. Der Schmerz in seinem Rücken hing noch immer in seinen Gedanken fest.
Manous anfängliche Überheblichkeit war wie vergessen, vor lauter Angst vergaß er völlig, was er gerade gesagt hatte. Er schielte auf den Stachel des Drachen, dann sah er nach oben, direkt in dessen glühende Augen. In seinen Gedanken sah Eric die nahende Erkenntnis, dass er sterben würde und gleichzeitig eine Art fanatische Überzeugung, dass das gar nicht sein könnte.
»Die Wälder des Herrschers, es sind seine! Ich bin mit ihm, stehe in seinem Dienst! Sie befinden sich weit von hier und doch in der Nähe, hinter der Gebirgskette dort drüben. Lass mich gehen, ich habe eine Familie!«
Eric durchsuchte die Gedanken Manous nach einer Frau oder Kindern, fand aber keine. Der Stachel bewegte sich weiter abwärts, einen weiteren Zentimeter, was in Manou eine Explosion an Adrenalin und Schmerz verursachte, da Eric jetzt den dicken Nervenstrang erwischt hatte, welcher genau an der Stelle verlief. Manou begriff, dass er die Wahrheit nicht verschweigen konnte. Die gedanklichen Fesseln des Drachen schnürten ihm die Kehle zu und er hörte auf, sich zu wehren. Er hatte ja doch keine Chance. Falls dies das Ende für ihn sein sollte, dann hatte der Herrscher gelogen. Er hatte ihm und seinen Freunden versprochen, sie zu beschützen. Beinahe hätte er es geschafft, mit dem vergifteten Pfeil den Drachenjungen zu töten. Aber der hatte mehr Kraft als der Herrscher gesagt hatte. Beinahe wäre eine Belohnung fällig geworden, die niemand sich erträumen konnte. Jetzt stand er kurz davor, mit dem Tod belohnt zu werden. Das alles war verkehrt, nicht nach Plan.
Eric las all diese Gedanken und sein Herz schlug schneller. Unentschlossen zog er den Stachel zurück und schlug ihn wütend neben Manous Kopf ins Eis, was dem eine Gehirnerschütterung verpasste und ihn durch die blitzschnelle Bewegung so schockierte, dass er brav liegen blieb, wie gelähmt durch ein lautes Pfeifen in seinem linken Ohr. Eric entfernte sich von ihm, wanderte gereizt über die Eisfläche. Während sich der Stachel fast widerwillig zurückzog und abkühlte, peitschte der Schwanz angespannt durch die Luft. Eric empfand dies als Warnung, durchsuchte seine Sinne nach Bildern oder Eindrücken, die ihm verraten konnten, was sich da entwickelte, aber noch war weder etwas zu sehen noch zu spüren. Nur riechen konnte er etwas. Ein herber, ekelhafter Geruch mischte sich unter den süßlich salzigen Duft des Eismeeres und die Geruchlosigkeit des eiskalten Windes. Er blickte kurz zum Horizont. Dunkelheit, die sich weiter näherte.
Manou bekam von all dem nichts mit, lag nach wie vor mit dem Rücken auf dem Eis, was ihn langsam auskühlte. Scheinbar hatte Eric eine Art Zweifel in ihm ausgelöst und so Manous Idee davon untergraben, dass es richtig wäre, den Jungen oder das Monster zum Schutz anderer zu töten. Manou schien von der Idee besessen, dass Eric um jeden Preis sterben müsse. Doch dass er jetzt noch lebte, was man schon fast mit Gnade oder einer Form von Mäßigung deuten konnte, schwächte dieses Vorhaben im Moment. Noch ehe die Zweifel jedoch richtig fußfassen konnten, hatte sich Manou schon dagegen entschieden. Der Herrscher hatte immer recht. Der Junge würde irgendwann sterben. Nicht heute, aber eben später. Er musste nur still liegenbleiben.
Eric drehte sich geladen zu Manou um, bohrte seinen Blick tief in dessen Seele und erhaschte darin eine Art Geständnis. Verdrängte Fetzen von Schuld und Erinnerungen. Er sah angewidert die Bilder von grausam zugerichteten Leichen. Tiere, Menschen … Darunter einige Kinder, die in ihrem eigenen Blut erfroren oder verfaulten. Feinde des großen Planes, Unwürdige, Verräter … Manou hatte keine Angst. Dafür war kaum noch Platz. Er spielte nur, kalkulierte. Eric schloss die Augen. Wenn er sich getraut hätte, dann hätte er den Mörder zu seinen Füßen gefressen. Doch war dies nur ein Traum, warum also sollte er? Eric hielt inne. Ein Traum … richtig. Zeit, aufzuwachen. In seinem Kopf brannten sich die schrecklichen Bilder ein wie ein glühender Metallstab in ein Stück weiches Holz. Eric sah Manou kalt an, verpasste ihm einen heftigen Schlag mit seiner Schwanzspitze, was dem kleinen Mann den linken Arm aufriss und die geschockte Gestalt meterweit über das Eis schleuderte. Eine wunderschöne rote Spur blieb zurück. Eric stieß sich kraftvoll mit den Hinterbeinen ab und schoss von dem kleinen Eisberg weg in Richtung Gebirge, wo er hergekommen war.
Kapitel 8
Langsam wurde Eric der Raum um sich herum bewusst. Seine Augen waren geöffnet, doch erst jetzt konnte er etwas sehen. Das leise, unheimliche Knistern der feuchten Erde in einem der Blumentöpfe holte ihn vollends zurück, als er sich träge daran erinnerte. Eric setzte sich auf. Sein Kopf fühlte sich schwer an, er fasste sich an die Stirn. Ein Verband mit Kühlpäckchen. So hatte Mia ihn ausschlafen lassen. Er wickelte die erhitzten Beutel ab und legte sie neben sein Lager, setzte sich seitlich hin und schlug die Decke zurück. Es musste Abend sein, denn aus dem Essraum drangen sehr leise die Gespräche und das Klirren der Messer und Gabeln herüber. Das späte Sonnenlicht, welches durch das große Fenster in den Raum fiel, wirkte wärmer als sonst. Und zur Essenszeit war es normalerweise ein wenig heller. Seit wann war er in diesem Raum? Eric stand auf, streckte sich, spannte die Muskeln an und plumpste zurück auf die Matratze. Seine Glieder waren noch etwas lahm und ein unfassbarer Hunger steckte ihm tief in den Knochen, er prüfte seinen Körper. Stark und wieder leistungsfähig. Sehr sogar. Aber wie? Gedankenverloren betrachtete er seine Hände, spürte die messerscharfen Krallen des Drachen. Offensichtlich war sein Geist noch immer damit beschäftigt, beide Gestalten zusammenzubringen. Er dachte an seine erste Begegnung mit dem Drachen. Warum waren sie überhaupt getrennt? Ein betäubendes Kribbeln irgendwo im Hinterkopf ließ ihn blinzeln. Viele Fragen.
Den Pyjama, den er anhatte, kannte er nicht. Aus Baumwolle, in Rot und mit einer Mickeymaus auf dem Shirt. Eric grinste. Sicher hatte Jack den irgendwo hervorgekramt, er gehörte weder ihm noch Eric. Er saß auf der Kante der Matratze und überlegte, was sein Traum zu bedeuten hatte. Hatten sie überhaupt eine wahre Bedeutung? Er verglich ihn mit allen anderen, die er bisher gehabt hatte. Dieser war der erste, in dem er etwas von einem Wald oder einem Herrscher erfahren hatte, dem jener Wald gehören sollte. Und was war das für ein Name? Manou … Klang komisch, irgendwie altmodisch. Bedeutung? Die Gedanken des Mannes hatte er verstanden, die Sprache war nicht besonders fremd oder gar völlig unbekannt gewesen. Er konnte sich kaum an das Gesicht von ihm erinnern, dafür aber an seine Tat und das, was er in dessen Seele hatte lesen können. Wieder spürte Eric den Zorn in sich wachsen. Im Nachhinein wünschte er sich, er hätte den Kerl einfach beseitigt, bevor ihn jemand fand und rettete. Vielleicht machte er so weiter, quälte im Auftrag seines Herrschers irgendjemanden oder ganz bestimmte Wesen. Er sollte sterben. Schmerzvoll sterben. Eric blinzelte und wunderte sich, dass er so dachte. Warum überhaupt? Es war nur ein Traum gewesen, was hätten seine Taten schon bewirkt? Bisher hatte er sich immer klein und hilflos gefühlt, machtlos im Angesicht von Leid und Schmerz überall auf der Welt. Jetzt aber hatte er eine Chance, mit den entdeckten Kräften etwas zu ändern. Und gleich beim ersten Kandidaten hatte er vielleicht einen folgenschweren Fehler begangen und ihn laufen lassen.
Die Tür zu Mias Büro glitt auf und Jack kam rückwärts mit einem Tablett herein. Als er sich umdrehte und Seinen Freund munter dasitzen sah, verschüttete er vor Freude ein wenig des stark duftenden Kräutertees, den Mia sicherlich für sie beide zubereitet hatte.
»Xiaolong, Bruder! Du bist wieder wach«, rief er vergnügt, zerrte den einen Klappstuhl neben die Liege und setzte sich, »wir schon Sorgen gehabt, du noch länger schlafen … verdammt lange. Guten Morgen!«
Eric bemerkte, dass ihn der Name gar nicht mehr störte, es war ihm weder peinlich noch kam es ihm angeberisch vor. Immerhin entsprach es dem, was er war. Noch jedenfalls. Bald wäre er vielleicht gar nicht mehr so klein, denn er war immer noch sechzehn, nicht