Drachenkind. . . .

Drachenkind - . . .


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Blatt gar nicht stehen. Er ging zu ihm herüber und schaute ihm über die Schulter. Jacks Pergament war ebenfalls leer und trotzdem sah Eric in seinen Gedanken die Zeilen wie kleine Bäche vorbeifließen.

      »Wie kann ich meinen lesen?«

      »Was?«

      »Wie kann ich meinen Brief lesen? Er ist leer, genau wie deiner …«

      Jack blickte auf.

      »Mia ihn verschlossen, mit ihren Gedanken. Du nicht gemerkt, dass Wächter auch Gedanken verschlossen? Aber du konntest lesen, also bei Mia genauso. Bin gleich fertig, dann ich kommen mit.«

      Jack wandte sich wieder seinem Brief zu und Eric schimpfte innerlich über seine dumme Frage. Zu müde. Allmählich musste er doch schon auf den Gedanken kommen, dass sich die Telepathie einfach in die Welt einfügte, die er bald kennenlernen würde. Und vielleicht war sie der einzige Weg, wirklich ohne Mitwisser Informationen auszutauschen. Oder genau das Gegenteil, sofern man sich nicht selbst unter Kontrolle hatte und seine Gedanken effektiv verschließen konnte. Er schnappte sich das Pergament, besann sich auf die Augen des Drachen und schon begannen sich die Buchstaben wie Wellen von der Spitze seines Daumes am Rand des Blattes auszubreiten. Er erkannte die saubere Schrift Mias, gerade und gleichmäßig, im krassen Gegensatz zu seiner eigenen, mit der man Briefe verschlüsseln könnte. Er wartete, bis sich die Schrift vervollständigt hatte, dann las er.

      Eric, es tut mir leid. Es gibt vieles, was ich dir nicht erzählt habe. Aber aus gutem Grund, das kannst du mir glauben. Ich bitte dich, sei geduldig. Es gibt viele Geheimnisse und sie müssen geschützt werden, ich werde dir zur rechten Zeit alles erklären. Vertraue mir. Wir werden diesen Ort bald verlassen, danach können wir reden. Nun zum Wesentlichen: Ich habe euch absichtlich im Wald gelassen, es war ein Test. Die Wächter waren nur eine Projektion meiner Erinnerungen, sie waren nicht völlig real. Nur für euch beide. Aber so, wie du mit ihnen umgegangen bist, mache ich mir keine Sorgen, dass die echten dich besiegen könnten. Doch ihr wart leichtsinnig. Jetzt, da du weißt, was du tun könntest, verlange ich, dass du bei mir lernst. Du musst unter allen Umständen deine Kräfte kontrollieren lernen. Du bist noch jung, dein Inneres ungestüm. Sei nicht dumm. Teile mir alles mit, was in dir vorgeht. Alles!

      Du bist der letzte Drache in allen bekannten Welten, wahrscheinlich mit Abstand das mächtigste Wesen unter allen. Es ist unbedingt erforderlich, dass du verstehst, was das bedeutet. Deine Kräfte gehen über die Vorstellungen der meisten weit hinaus und sie könnten sich rapide weiterentwickeln. Doch nur, weil du so mächtig bist, heißt das nicht, dass du sorglos sein kannst. Ganz im Gegenteil. Solltest du jemals durch falsche Mächte oder Ideen kontrolliert werden, wäre das für alles Leben eine katastrophale Gefahr. Ich warne dich hiermit ausdrücklich. Du wirst verfolgt und gejagt, ab jetzt auch Jack. Sie wissen nun, wo ihr seid. Auf Jack solltest du in Zukunft noch viel eher aufpassen als auf dich selbst. Denn wenn du innerlich stark bist, wirst du nicht leicht zu besiegen sein. Aber falls sie dir deinen engsten Verbündeten nehmen würden, sähe das sicherlich anders aus.

      Ich bin irgendwann heute Nacht wieder da, wir müssen uns unterhalten. Sei so lieb und gehe mit Jack in die Küche, ich habe euch dort etwas hingestellt. Ihr habt heute Küchendienst.

      P.S.

      Pass gut auf euch auf. Vergiss nie wieder, wer du bist, denn sie werden alles tun, um dich zu beeinflussen. Ich hoffe, dass du dir den Luxus Zweifel nicht mehr leistest. Er ist so viel teurer als du glaubst. Was in diesem Brief steht, ist nur für dich gedacht. Jack hat dieselbe Information erhalten. Falls ihr euch über eure Briefe unterhalten wollt, wartet damit, bis es notwendig ist. Lass den Brief fallen, sofort.

      Reflexartig ließ Eric den Brief auf den Boden fallen, wo der sofort in Flammen aufging und zu Asche zerfiel. Ein paar Funken stiegen aufwärts an Erics Gesicht vorbei, er spürte sie im Raum und ihr warmes Licht brachte seine Träume in Bewegung. Jack hatte im selben Moment das Gleiche getan. Sie sahen einander an und Eric meinte, Besorgnis im Gesicht seines Freundes zu erkennen. Doch Jack wandte sich ab, nahm sich frische Kleidung und schließlich seine Duschsachen.

      »Wir können …«

      Kapitel 6

      Nach dem Duschen brachten sie ihre Wäsche in die Waschküche, in der schon wieder eine Ladung Bügelwäsche aufgestapelt war. Jan und seine Freunde waren an der Reihe mit der Arbeit, hatten sich scheinbar wieder davor gedrückt. Total unerwartet, natürlich. Manchmal fragte sich Eric, warum Mia und ihre Kollegen Jan und dessen Gefolge gewähren ließen.

      In der Küche fanden sie zwei große Teller Tomatensuppe und Jack pries Mias Fähigkeit, immer genau zu wissen, was man nach einem anstrengenden Tag brauchte. Er kippte sich das Essen ohne Federlesen in den Magen, rülpste laut und begann mit dem Abwasch. Dann hielt er inne.

      »Du?«, sagte er kleinlaut zu Eric, »du können versuchen, zu zaubern? Ich wissen, Mia können ein wenig. Vielleicht du auch …«

      Eric verschluckte sich an seinem zweiten Löffel Suppe. Er war noch immer bemüht, sich an die Gerüche in der Küche zu gewöhnen, welche genauer und intensiver als jemals zuvor ungefiltert ihren Weg in sein Bewusstsein fanden. Sie durchzogen tatsächlich jeden Meter des gesamten Gebäudes wie lange, hauchdünne Fäden. Zauberei? Na klar, das auch noch. Es gehörte wohl dazu, dass sich hier jemand in alles Mögliche verwandeln konnte, den Abwasch mit einem Klatschen erledigen und vielleicht auch noch wie Jesus übers Wasser gehen würde. Doch er dachte an Mias Brief. Er war mächtig … oder so ähnlich. Vielleicht konnte er sich so ein wenig Arbeit ersparen. Er stellte den Teller weg und sah Jack an.

      »Wie denn?«

      »Naja, einfach versuchen mit vorstellen. Mit Willen. Mia nie gesagt, wie sie es machen. Aber wir vielleicht rausfinden!«

      Eric dachte nach. Falls es funktionierte? Wäre schon praktisch. Aber falls es schiefginge, hätten sie hinterher vielleicht mehr Arbeit als vorher. Er entschied sich zum Abwaschen mit den Händen. Jack guckte enttäuscht, aber mit dem Argument, dass er so auf jeden Fall bald zu Bett käme, konnte Eric ihn überzeugen. Außerdem waren es nur rund siebzig Teller, viel Besteck und viele Töpfe. In einer Stunde wären sie fertig. Ein seltsames Gefühl beschlich Eric, als er etwas im Boden spürte. Plötzlich ging die Schiebetür zur Küche auf und Mia kam herein, zwei Einkaufstüten tragend und mit einem Lächeln im Gesicht.

      »Ich sehe, ihr habt euch nicht wie Jan vor eurer Arbeit versteckt. Löblich, sehr sogar. Allerdings haben wir nicht viel Zeit, deswegen werde ich euch die Arbeit ein wenig leichter machen. Macht mal ´nen Schritt zur Seite …«

      Sie stellte die Tüten ohne ein weiteres Wort ab, schloss die Augen und das Geschirr begann, sich nur wenige Sekunden später rotierend in dem großen Becken selbst abzuwaschen. Sie nahm die Taschen, nickte in Richtung Ausgang und die zwei folgten ihr gespannt. Eric hatte plötzlich ein Gefühl, als würde sich die Spannung im gesamten Gebäude verändern. Er sah sich um, aber selbstverständlich konnte er niemanden sehen. Sollte er sie warnen? Er dachte an Mias Aufforderung aus dem Brief, ihr alles mitzuteilen, was er empfand. Augenblicklich bemerkte er den instinktiven Widerstand gegen diese Forderung. Kein blindes Vertrauen. Aber wie konnte er Mia misstrauen? Eric wurde unruhig und seine Gedanken drohten erneut, außer Kontrolle zu geraten. Mias hingegen waren bei den Kräutern und anderen Waren in den Einkaufstüten und sie schien seine Besorgnis nicht zu bemerken. Wo war sie gewesen? Die Gerüche, welche noch immer in ihrer Kleidung hingen, erkannte Eric nicht. Als sie vor der Tür zu ihrem Büro standen, drehte sich Eric noch einmal um. Und wieder war es ihm, als ob sich etwas kaum Sichtbares bewegte.

      Sie betraten den quadratischen Raum, in dem Mia eine Menge an Pflanzen anbaute und trocknete. Es roch stark nach Zitrone und Eric fragte sich wieder, wie all diese Mengen hier drin Platz haben und gedeihen konnten. Mia wuchtete die Tüten auf ihren kleinen Schreibtisch und bot ihnen beiden jeweils einen der Klappstühle an, die sie für den Fall eines Besuches immer unter dem Tisch hatte. Jack bekam ein dickes Kissen, damit er nicht zu tief saß. Danach schob sie die zwei großen Tüten auseinander, sodass sie einander sehen konnten und faltete die Hände. Das alles tat sie mit einer Ruhe und Gelassenheit, die ihrer Sorge um die teure Zeit sehr widersprach. Es wurde


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