Drachenkind. . . .

Drachenkind - . . .


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die großen Pranken. Vorsichtig grub er die Klauen in die kühle, feuchte Erde der Wiese und zuckte zusammen, als der Tastsinn sein Bewusstsein mit den Bewegungen unzähliger Wesen überflutete, welche sich in der Erde, zwischen den Grashalmen der Wiese und überall um sie herum bewegten.

      Hatte er Jack verletzt? Er war wirklich unvorsichtig gewesen, hatte vielleicht zu lange gespielt. Was hatten die Wächter gewollt? Den erhaschten Absichten nach Jack nehmen und den Drachen töten wollten. Warum? Ein grimmiges Knurren entwich Erics Kehle, er öffnete die Flügel und drehte sie in die tief stehende Sonne. Wie kamen sie darauf, einem kleinen Menschen etwas antun zu müssen? Er stellte keine Bedrohung dar. Eric hob den Kopf. Seine Art zu denken hatte sich auch verändert. Er stellte fest, dass er alle Zweifel verloren hatte. Nicht verwunderlich nach dem, was gerade gewesen war. Er sah Jack wieder an, den er mit seinem Schwanz fest umschlungen hielt, wie eine Würgeschlange ihre Beute. Er hatte gar keine Probleme gehabt, sich in den Drachen hineinzuversetzen und dessen Gestalt anzunehmen. Er konnte es einfach, es war wie angeboren, mehr noch, es erschien wahrhaftig. Und er hatte einen Schwanz! Irgendwie kam ihm das komisch vor, das befremdliche Gefühl, dass die Wirbelsäule nicht einfach am Hintern endete und der Körper überhaupt so anders war. Er bewegte ihn belustigt auf und ab, wiegte Jack und konnte sein Gewicht doch nicht merken. Nur erahnen, Eric spürte Jacks Lebenszeichen, wie sich ihre deutlichen Schwingungen von den tief schwarzblauen Schuppen verstärkt durch den eigenen Körper bewegten. Da regte sich sein Freund. Jack hustete und keuchte, sein Gesicht sah in der frühen Dämmerung noch gruseliger aus als zuvor. Eric ließ ihn nicht los, beugte sich mit dem langen Hals über ihn und bohrte seinen Blick in ihm fest, während er unwillkürlich schnüffelte.

      »Wahnsinn!«, hörte er es in Jacks Kopf klingen. Er machte den Eindruck, als könnte er sich kaum zwischen Wut und völliger Begeisterung entscheiden.

      »Du sein wirklich … Ich meinen … Du können wirklich … Du ein wunderschöner Drache, muss ich sagen. Aber auch bescheuert, leichtsinnig! Wenn du nicht bei Mia lernen, deine Kräfte kontrollieren, ich nie wieder reden ein Wort mit dich. Viel zu gefährlich! Du mich fast umgebracht, du Biest! Ah …«

      Eric war erleichtert, ein Stein fiel ihm vom Herzen. Scheinbar ging es Jack etwas besser, er dachte wieder klar und deutlich.

      »Willst du denn nach Hause laufen?«, fragte er ihn vorsichtig in Gedanken.

      Jack sah ihn giftig an und Eric lockerte die Fesseln seines Blickes.

      »Niemals«, röchelte er und versuchte, sich aus der festen Umklammerung von Erics langem Schwanz zu befreien. Völlig aussichtslos, Eric ließ vorsichtig los. Jack fluchte.

      »Na toll, jetzt habe ich mich an ein Spitze von dich geschnitten. Es vielleicht giftig, aber noch bin ich ja auch nicht tot …«

      Eric erstarrte. Er konzentrierte sich auf sein Inneres. Giftig?

      »Nicht für dich«, dachte Eric deutlich und Jack war erleichtert. Eric hielt inne, während Jack sich den kleinen Schnitt genau ansah und die Hand weg zog, als die Schnauze des Drachen sich dem kleinen Tropfen Blut näherte. Hatte er das wirklich gerade gedacht? Woher kam die Gewissheit? Eric spürte gerade noch, wie etwas in ihm sich aus seinem Bewusstsein zurückzog. Als wäre da noch jemand, der ihn gerade hatte wissen lassen, dass der Schnitt für Jack ungefährlich wäre.

      Jack machte einen zufriedenen Eindruck. Eric stellte ihn auf dem Boden ab, setzte sich auf und sah auf ihn herunter. Er sah ziemlich so aus, wie eine sehr große Ratte für einen Menschen. Er faltete fast wiederwillig die Flügel zusammen, um Jack aus dem Schatten ins warme Sonnenlicht zu lassen, da der etwas unterkühlt wirkte und sein Geist sich wie zur Erholung nach Licht sehnte.

      »Ich werde fliegen, falls du nicht laufen willst. Du musst nur irgendwo sitzen.«

      »Ja, direkt auf dein Nacken, ich können mich an Hörnern Festhalten. Gut, lassen mich hoch!«

      Eric legte zögerlich den Kopf auf den Boden, weil ihm nichts Besseres einfiel und Jack kletterte unsanft an seinem Gesicht hoch, wäre ihm fast auf eines der schlitzförmigen Atemlöcher getreten. Scheinbar wollte er sich für Erics Rücksichtslosigkeit während des letzten Fluges rächen. Er rutschte auf den harten und glatten Schuppen aus, von denen die meisten mindestens so groß waren wie seine Hände. Er klammerte sich an eines der Hörner, von denen Eric einige am Kopf hatte. Als Jack endlich saß, meinte er:

      »Falls du mich aufspießen, ich dich umbringen. Und ich glauben, wir uns beeilen, es werden bald dunkel. Und nicht zu schnell, Wind da oben ist kalt!«

      Eric hob vorsichtig den Kopf, stieß sich wieder vom Boden ab und stieg dieses Mal deutlich langsamer und behutsamer immer weiter in den Abendhimmel.

      Kapitel 5

      Jack und Eric hatten die dreißig Kilometer in weniger als zehn traumartigen Minuten zurückgelegt. Berauscht von Höhe, der unglaublichen Aussicht und dem neuen Blick auf Sonne und Wolken, hatte selbst Jack den Großteil seiner Lebensgeister zurückerlangt. Sie waren ein kleines Stück vom Heim entfernt gelandet, auf einem Tennisplatz des verlassenen Sportzentrums. Dann hatten sie sich wie zwei ganz normale Menschen die Straßen entlang geschlichen, sich durch den Hof und die Hintertür geschummelt und jetzt standen sie wie selbstverständlich vor der Tür zu Mias Büro. Das Heim wirkte unbewohnt, so still war es. Nur wenige waren in ihren Zimmern oder beim Essen, die meisten um die Zeit im Sommer noch in der Stadt unterwegs. Jack hob schon die Hand zum Anklopfen, aber Eric meinte:

      »Sie ist nicht da.«

      »Woher wissen? Du können durch Tür sehen oder was?«

      »Nein, nicht direkt. Aber ich kann es fühlen. Sie ist nicht da und es riecht auch nicht so stark nach ihr. Das tut es immer, wenn sie da ist. Glaube ich.«

      Jack stellte sich auf die Zehenspitzen und stöhnte. Er sah schon besser aus, allerdings taten ihm die Ohren weh. Vielleicht vom starken Wind während des Fluges, obwohl Eric ihn mit seiner Hitze ordentlich durchgewärmt hatte. Eric hatte sich kaum zurückverwandeln wollen, hätte gern wenigstens nachts die Gestalt des Drachen behalten. Er wollte unbedingt einmal alles beleuchtet von oben sehen und hatte versucht, Jack mit dem Argument zu überzeugen, dass sie auch später immer noch etwas essen könnten. Doch Jack wollte nur den Brief und ins warme Bett. Eric wusste genau, dass er eigentlich gerne mitgekommen wäre. Vielleicht ein anderes Mal. Jetzt wollte er sich sofort in ihr Zimmer begeben, umziehen und im Essraum eine Mahlzeit abholen. Auch Eric war hungrig. Proviant hatten sie total vergessen und Geld für eine Portion Fritten an der nächsten Straßenecke hatte auch keiner. Also latschten sie zu ihrem Zimmer, schlossen die Tür auf. Es sah wie immer aus, roch aber anders.

      »Mia war hier. Und da liegt was auf deinem Bett.«

      Jack knipste das Licht an.

      »Auf dein auch. Und wieso können du mit der platten Nase so gut riechen? Kann ich nicht …«

      Eric runzelte die Stirn. Jack jedoch dachte nicht mehr an Erics Nase, er sprang zum Bett, griff sich den Brief und riss ihn ohne Hemmung einfach auf.

      »Willst du denn nicht wissen, wer der Absender ist?«

      »Nein, ich wissen. Sein still, bitte …«

      Eric ging zu seinem Bett, zog sich aus und begab sich zum Kleiderschrank. Der war zwar noch nie bis oben gefüllt gewesen, aber Eric fand glücklich genug saubere Kleidung. Er fragte:

      »Willst du mit zum Duschen gehen? Du könntest es am aller besten gebrauchen. Und du solltest vielleicht auch gleich die Zahnbürste mitnehmen.«

      Jack antwortete nicht. Er war so ins Lesen vertieft, dass er nur dachte. Ein abwesendes »gleich« konnte Eric in Jacks Gedanken erkennen und er beschloss, auf ihn zu warten und den Brief erst zu lesen. Er watschelte zum Bett, nahm den Umschlag und suchte vergeblich nach einem Absender. Eric betrachtete den Brief so eingehend, dass er vor seinem geistigen Auge schon durchsichtig wurde. Als er schließlich meinte, nichts Ungewöhnliches am Papier entdecken zu können, riss er den Umschlag auf und zog das Pergament heraus. Als Erstes wunderte er sich, dass er kein normales Papier in Händen hielt, doch das war schnell vergessen,


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