Drachenkind. . . .
da? Verstehen? Und wenn auch nicht ich, dann …«
»Ja, natürlich verstehe ich, was das bedeutet. Und ich sage dir, ich weiß es nicht. Ich glaube schon, dass ich selbst es irgendwie verhindert habe, aber … Keine Ahnung. Jack, sag es mir: Weißt du, was mit mir passiert? Ich … Shit. Ich wollte nicht, dass das geschieht. Ich habe Jan gewarnt, das hast du gehört, oder? Ich wusste, dass etwas stattfinden könnte, es kam so über mich und … «
»Ja, dann er auf mich los. Schon klar. Das war Moment, in dem du verändert. Du haben Crow gebeten, Augen zu schließen. Warum?«
»Crow?«
»Ja, Spitzname von Jungen. Er schwarze Haare wie Krähenfedern. Und er Krähen und Raben sehr gerne mögen, sie ihn auch. Eric, konzentrieren. Warum du ihn gebeten?«
Eric war wie erschlagen. Konzentration, klar. Jetzt sowieso. Langsam wich die Wut der Verzweiflung.
»Weil ich wusste, was passieren würde. Ich wollte ihm nicht wehtun. Das war ja der Grund, weshalb ich versucht habe, den Drachen …«
Eric verstummte, Jack sah ihn fragend an. Eric durchwühlte sein Inneres, schließlich sagte er einfach:
»Ich musste es tun. Es war, als ob ich dafür gemacht wäre. Jan ist …«
»Dafür gemacht? Was sollen das heißen, dafür gemacht?«
»Ich weiß nicht, besser kann ich das Gefühl nicht beschreiben. Beziehungsweise die Situation und alles, was ich in dem Moment gefühlt habe. Ich meine … der Punkt ist, ich habe seine Seele gesehen, ganz am Anfang, gar nicht mit Absicht. Ich sah Dunkelheit und die hat mich angeregt und etwas ausgelöst. Ich konnte mich schon noch im Zaum halten aber mit jedem Wort … ich konnte sehen, was er tun wollte. Er sehnte sich richtig danach, uns zu schaden. Am liebsten durch dich. Er meinte es ernst. Ich musste einfach was tun …«
»Foltern? Weil das ist, was du gemacht hast. Du haben Jan gefoltert. Vor allen andern.«
»Ja, aber das wollte ich nicht!«
Eric war am Ende. Jack nickte nur. Er kam einfach nicht darüber hinweg, doch da war noch mehr. Er schwieg lange, während Eric versuchte, sich zu beruhigen.
»Eric, sorry. Ich wollte auch, dass Jan leiden. Viele wollen. Aber nicht so. Es müssen doch Grenze geben, zwischen Wille und … naja, was man tun. Oder was man können. Als du im Wald so leicht den ganzen See gehoben hast, ohne Mühe oder vorher lernen, ich mein … zieh dir das rein! Verstehen, was du da gemacht hast? Mia und ich schon verunsichert. Du haben scheinbar keine Grenzen. Du bist … das ist extrem gefährlich, wenn nicht stabil und klaren Geist. Verstehen nicht falsch, ich glauben, du bist gut. Aber fähig zu allem, offensichtlich.«
Eric richtete sich auf, lehnte sich gegen die Wand. Er sah krank aus, blickte Jack direkt in die Augen.
»Ich weiß«, sagte er, »ich habe Angst. Es muss einen Grund geben und ich sehe ihn nicht. Etwas blockiert mich, Jack. Hält mich müde und ich kann einfach nicht … Da ist so viel … Ich fühle, wie ich mich verändere. Jeden Tag etwas mehr. Ich bin einfach fertig, erledigt. Und die Träume …«
Erics Stimme wurde immer leiser, er schaute planlos im Raum umher, suchte nach etwas, was seine Aufmerksamkeit aufrecht halten konnte.
»Ich fühle mich, als hätte mir jemand ein Halsband umgelegt und mich in der Wüste festgekettet. Ich soll ein Sandkorn finden, ein ganz bestimmtes. Ich habe nicht viel Zeit. Und überall laufen Fremde und Unbekannte umher und schütten noch mehr Sand aus. Sie lachen und schreien und es geht ihnen wunderbar. Alles ist sinnlos.«
Eric kippte seitwärts zurück auf die Matratze. Er fühlte sich leer, absolut leer. Wie so oft kam ihm der Gedanke, dass er sich nicht selbst leidtun sollte und erst recht nicht wollte. Es gab mehr als zu viel Leid in der Welt und er war ganz bestimmt nicht der Einzige mit Problemen. Jack sah ihn an, schien seine Gedanken zu beobachten.
»Xiaolong, du müssen schlafen. Unbedingt ruhig schlafen. Ich weiß nicht, was den Drachen so viel Hass gelehrt haben, aber du müssen es herausfinden. Und zwar schnell. Ich helfen, ich immer bei dir. Aber sowas können nie wieder passieren. Viel zu gefährlich. Alle haben zugesehen. Fuck …«
Jack ließ sich neben Eric ins Bett fallen. Auch er hatte Tränen in den Augen. Eric wurde bewusst, dass Jack für einen kurzen Moment Zugriff auf seine Gedanken und Gefühle hatte. Jack suchte vorsichtig nach dem Eric, welcher gerade für ein paar Minuten verschwunden war und etwas zurückgelassen hatte, das ganz einfach nur unzähmbar bösartig erschien. Er verstand, was Eric fühlte. Der konnte nichts mehr sagen. Ein kurzer Impuls seines Verstandes machte ihm klar, dass fast alles, was er zu Jan gesagt hatte, genau das war, was Jan vorher selbst gesagt hatte. Bis auf wenige Worte. Der Drache hatte ein Spiel gespielt und er hatte es definitiv vernichtend deutlich gewonnen. Er hatte Jan einen finsteren Spiegel vorgehalten und ihn letztendlich wieder geheilt, als wollte er eine gewisse Grenze doch nicht überschreiten, obwohl er längst jenseits aller Toleranzen agierte. Was, wenn der Drache selbst sich für Jans Leben entschieden hatte und nicht Eric oder Jack? Eric fühlte einen seltsam schweren Gedanken. Belog er sich selbst? Gab es überhaupt eine Trennung zwischen ihm und dem Drachen? Irgendwie schon. Gleichzeitig doch nicht. Du bist ich, die drei Worte zogen wieder und wieder durch seinen gemarterten Geist. Dennoch … Eric schüttelte den Kopf und wischte sich die leisen Tränen aus dem Gesicht. Was sollte er bloß tun? Jack stand auf.
»Du sein wie Bruder für mich, das weißt du. Du mich immer schützen und ich dich. Bester Freund in mein Leben, Eric. Du bist nicht allein, glaub mir. Überhaupt nicht. Schlaf, ich reden mit Mia.«
Eric wollte sich dagegen wehren, spürte eine Art stechender Ablehnung bei dem Gedanken daran, dass Jack Mia alles erzählen würde, was gerade geschehen war. Aber Jack hatte recht. Es musste sein. Sie würde es sowieso erfahren. Oder nicht? Der kleine Zweifel ließ Eric die Fäuste ballen. Warum konnte nicht einmal etwas eindeutig klar sein?
»Okay. Danke, ich versuche es.«, flüsterte Eric. Ihm versagte fast die Stimme, er schloss die Augen und hoffte, dass er wirklich einschlafen würde. Ohne Träume. Nur einmal wirklich schlafen. Er hörte, wie Jack die Tür öffnete und aus dem Raum verschwand.
Kapitel 11
Eric konnte nicht einschlafen, lag regungslos auf dem Rücken in seinem Bett. Es war totenstill. Eigentlich müssten alle im Essraum sein und frühstücken oder sich irgendwann dorthin begeben. Doch kein Ton, weder aus dem Essraum noch direkt aus dem Flur, drang an seine Ohren. Er stand auf. Jack war noch nicht wieder da. Was würde er mit Mia besprechen? Jan ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Warum war es so still? Eric spürte eine Art Besorgnis. War es seine Schuld? Verhielten sich die Menschen um ihn herum jetzt anders? Was würde Jan tun? Eric vergrub das Gesicht in den Händen. Er würde ihn aufsuchen. Er musste mit Jan sprechen, sich entschuldigen. Herausfinden, welche Auswirkungen sein Handeln auf Jan hatte. So verließ er kurzerhand das Zimmer.
Niemand war auf dem Flur. Alle Türen waren verschlossen, Eric war es nur recht. Als er nach kurzer Zeit auf der anderen Seite des Gebäudes im zweiten Hauptflur ankam und vor der Tür zu jenem großen Zimmer stand, in welchem Jan und seine Freunde wohnten, fühlte er sich erstaunlich ruhig. Er klopfte. Nichts passierte. Kein Laut von innen, keine Regung. Eric legte instinktiv eine Handfläche an die Tür. Keine Schwingungen, nichts. Was auch immer hinter dieser Tür war, es bewegte sich nicht. Als nach erneutem Klopfen noch immer niemand öffnete, betätigte er prüfend die Klinke. Zu seiner Überraschung schwang die Tür einfach auf und gab den Blick in das große, von Sonnenlicht durchflutete Zimmer frei.
Der Boden war blutüberströmt. Jans Freunde lagen mit Stichwunden und aufgeschlitzten Armen herum. Jans lebloser, zerfetzter Körper hing an einem Stromkabel von der Decke und schaukelte im seichten Windzug eines weit offenen Fensters hin und her. Die noch tief stehende Morgensonne strahlte blendend hell durch das große Fenster in den Raum, direkt in Erics Gesicht. Er konnte kaum etwas erkennen. Schemenhaft erahnte er die Umrisse einer Gestalt, unwesentlich größer als er selbst, welche vor dem Fenster stand. Etwas bewegte sich, die Gestalt drehte sich zu Eric um und duckte sich leicht, wie ein aufgeschrecktes