Drachenkind. . . .
Weg in die Küche sprachen Eric und Jack kein Wort. Ein kleiner Junge und ein Mädchen kamen ihnen entgegen, beide hatten sich scheinbar ein frisches Baguette stibitzt. Als sie Eric sahen, wurden ihre Schritte langsamer, doch als er so tat, als hätte er nichts gesehen, lachten sie und liefen an ihm und Jack vorbei. Der frische Duft benebelte Eric, er wollte nur noch essen. Sofort. Und sich dann mit Jack unterhalten. Doch bevor sie die Schiebetür zur Küche erreichten, blieb Eric wie angewurzelt stehen. Ein Geruch ließ ihn innehalten, Jack kam zurück und sah ihn fragend an.
»Jan ist da drin«, sagte Eric sofort. Jack lauschte. Jemand war gerade dabei, abzuwaschen. Offensichtlich wollte Jack allein deshalb die Möglichkeit ausschließen, dass es tatsächlich Jan sein sollte. Doch Eric meinte es ernst. Der Geruch war so deutlich, es war Jans Signatur. Eric machte ein paar unsichere Schritte rückwärts, ehe er sich wieder fing und versuchte, klar zu denken.
»Eric, es okay. Keine Gefahr, oder? Die nur abwaschen.«
»Bist du sicher?«, fragte Eric kleinlaut, prüfte seine Reaktionen und sein Inneres. Er hatte Angst, doch sie verflog. Jan würde bestimmt nicht versuchen, ihn anzugreifen. Also, was sollte schon passieren? Jack schob ihn beschwichtigend einen Schritt vorwärts.
»Lernen, damit umzugehen. Los jetzt, ich hab Hunger.«
Als sie in die Küche eintraten, waren dort Jan und die zwei seiner Freunde, welche ihm zu helfen versuchten, als Eric ihn angegriffen hatte. Sie standen an einem der riesigen Spülbecken, arbeiteten sich durch das Geschirr von Frühstück und Mittagessen. Eric blieb in der Tür stehen, Jack ging einfach weiter zu der langen Arbeitsplatte aus Metall, welche direkt an der Wand neben der Tür war und auf welcher immer die Reste des Essens abgestellt wurden. Als Jack sich einen großen, sauberen Teller von jenem Stapel nahm, auf dem einer von Jans Freunden ständig welche abstellte, bemerkten sie ihn. Der Junge hielt inne, Jack nickte ihm freundlich zu und entfernte sich rasch. Ohne Zögern oder Unbehagen begann er, Kartoffeln und Gemüse auf seinen Teller zu laden. Als der Junge seinem Bruder und Jan einen Stoß gab, drehten auch sie sich um und sahen Eric in der Tür stehen. Jan war gerade dabei, eines der großen Fleischmesser abzuwaschen. Als Eric die schimmernde Klinge sah, wurde er unruhig. Jan stellte das Wasser ab und warf Jack einen prüfenden Blick zu. Der war bereits am Essen und beobachtete die Situation, ohne sich einzumischen. Eric blinzelte. Da er sich nicht aus der Hand fressen wollte, musste er sich einen Teller besorgen.
Jan stand einfach nur da, mit gelben Gummihandschuhen, welche vom heißen Wasser leicht dampften und an denen Schaum klebte, der träge auf den Boden tropfte. Er hielt das große Messer fest umklammert. Er wusste, dass Eric nicht auf Stress aus war. Das war der eigentlich nie. Doch seit er im Duschraum aufgewacht war, wütete in ihm eine brennende Angst vor dem Ding, das ihn entweder in echt oder nur im Traum heimgesucht hatte. Ihm war klar, dass etwas Reales passiert war. Er wusste genau, dass weder Tim noch Kay, die zwei Geschwister und seine engsten Freunde, ihn belügen würden. Eric hatte etwas damit zu tun. Doch was sie ihm beschrieben hatten, war unmöglich. Und was er selbst gesehen hatte, ebenfalls. So hielt er es für einen Albtraum, erlebt während jener Bewusstlosigkeit, welche auf seinen Sturz auf den feuchten Fliesen gefolgt sein musste. Wahrscheinlich hatte Eric ihn geschlagen oder er war ausgerutscht und hatte sich den Kopf gestoßen. Jan konnte nicht annehmen, was die Alternative zu dieser Idee wäre, welche an sich schon erniedrigend genug war. Es ging einfach nicht. Egal, was alle anderen sagten.
Jetzt kam Eric unsicher auf sie zu. Jan blieb stehen, obwohl er einen unglaublichen Drang verspürte, Eric aus dem Weg zu gehen. Das Messer in seiner rechten Hand stieß gegen das Spülbecken, als er sich schließlich doch ein Stück bewegte. Eric sah es an und seine langsamen Schritte verstummten. Jan musterte ihn und machte keine Anstalten, die große Klinge loszuwerden. Als Tim das Messer in Jans Hand sah, gab er Jan einen leichten Stoß. Es war klar, dass er und sein Bruder in diesem Moment viel mehr Vorsicht vor Eric empfanden als Jan selbst. Und das nur, weil sie genau wussten, was wirklich passiert war und dass Erics Unsicherheit jederzeit verschwinden konnte. Sie sahen den Moment vor sich, in welchem Eric Jan im Duschraum gewarnt hatte. Ihre Herzen begannen, schneller zu schlagen.
Eric beobachtete die drei, hörte Jack im Hintergrund schmatzen. Die Situation war absurd, so völlig überflüssig. Jan würde ihn ja wohl kaum mit einem Messer abschlachten wollen. Sollte er ihn bitten, es beiseite zu legen? Was war mit seinen Freunden? Sie waren keine Bedrohung, verhielten sich ihm gegenüber eher respektvoll, gar verängstigt. Eric entschied, das Messer nicht weiter zu beachten. Als er weiter ging und sich einen Teller nahm, konnte er Jans rasendes Herz hören und spürte die Schläge im Gesicht. Es kitzelte. Er nickte Jan und den anderen beiden zu, dann machte er sich auf den Weg zu Jack und füllte sich ebenfalls seinen Teller. Die Stille war so gespannt, dass es unangenehm wurde. Nur das hin- und herschwappende Wasser im Spülbecken und die tausenden, platzenden Schaumblasen blubberten und knisterten leise vor sich hin. Die Neonröhren summten sanft, einer der riesigen Kühlschränke begann plötzlich, zu brummen. Trotzdem wirkte es, als wäre es totenstill.
»Ist es wahr?«
Eric verlor vor Schreck fast den Teller und seine Gabel fiel laut klirrend zu Boden, als er die laute Frage hörte. Er drehte sich um. Jan kam mit dem Messer auf ihn zu, hielt es unverändert fest umklammert. Jetzt spürte Eric genau das, was er so sehr vermeiden wollte. Den Hauch einer realen Gefahr, welche ihn sofort anregte und direkt erahnen ließ, dass das Drachenfeuer in Bewegung geriet. Auch Jack stellte seinen Teller ab und platzierte sich neben Eric.
»Ob es wahr ist! Sag es mir.«
Eric wusste nicht, was er sagen sollte. Welche Frage stellte Jan eigentlich? Er erkannte Jans Zweifel und Angst, doch er verstand ihn nicht.
»Jan, was meinst du? Was genau willst du wissen?«
Erics Stimme wirkte noch relativ ruhig, seine ehrliche Ahnungslosigkeit wurde auch den anderen bewusst. Jan blieb stehen. Er schien nicht glauben zu können, dass Eric ihn nicht verstand. Nach ein paar unendlich langen Sekunden meinte er:
»Was ist da passiert, im Duschraum? Was haben wir … wie … warum bin ich gestürzt?«
Seine Stimme wurde schwächer. Eric war sich nicht sicher, ob es daran lag, dass sich Jan erniedrigt fühlte, oder daran, dass er etwas sah, was weder Eric noch sonst jemand gesehen hatte. Seine Freunde mussten ihm alles erzählt haben. Glaubte er ihnen nicht? Eric schaute Jack an, dessen Gesichtsausdruck sich gerade veränderte. Es schien, als würde Jack etwas erkennen, was er nicht begriff. Er schickte Eric einen Gedanken.
»Eric, er etwas gesehen. Schau in seine Erinnerung. Siehst du?«
Als Eric Jacks Hinweis folgte und sich Jans Gedanken genauer ansah, wurde ihm leicht übel. Er sah dasselbe dunkle Mischwesen, welches er in seinem kurzen Traum am Morgen gesehen hatte, wie es Jan und dessen Freunde geschlachtet und von ihrem Fleisch gezehrt hatte. Es stand an Erics Stelle im Duschraum, die glühenden Augen waren der Quell aller Schmerzen, welche Jan empfand. Jan hatte alles gespürt, jede Sekunde der physischen Qualen erlebt, doch der Ursprung war jenes bizarre, bitterböse Monster und nicht Eric selbst. Es war, als hätte der Drache Jan etwas eingepflanzt, einen furchtbaren Keim, einen materialisierten Schmerz. Plötzlich stand das Wesen über Jan, der große Kiefer mit den vielen langen und scharfen Zähnen kam Jan immer näher und die lange Zunge umspielte seinen blutigen Hals, leckte die rote Flüssigkeit ab. Das Ungetüm führte die Zähne an Jans Gurgel, durschnitt langsam die Haut aber biss nicht zu. Jan spürte die Hitze aus dem Inneren des Wesens, hörte währenddessen genau jene drohenden Worte in seinen um Hilfe schreienden Gedanken, welche Eric kurz vor Jans Heilung ausgesprochen hatte. Die Fänge der Bestie hielten Jans Kopf und Körper so fest, dass der sich keinen Millimeter bewegen konnte. Schließlich wurde es schwarz um ihn und er erwachte, verwirrt und von Schmerzen geschüttelt, die dann schnell verschwanden. Als wäre alles nur ein Traum gewesen betrachtete Jan seine Hand, dann den blutverschmierten Boden des Duschraumes, schließlich sein blutiges Handtuch. Als er Eric anblickte, packte der ihn am Hals und stellte ihn spielend leicht aufrecht hin, wobei sich Jan schmerzhaft auf die Zunge biss. Jan sah wieder Eric, doch dessen Augen waren denen des Monsters gleich.
Eric schloss kurz die Augen, wich vor Jan zurück. Der zitterte, er wollte eine Antwort. Blitzschnell suchte Eric die Erinnerungen an den Vorfall in den Gedanken der zwei Brüder,