Drachenkind. . . .
hatten alle gesehen. Was sollte er nun sagen? Ja, ich habe dich gefoltert. Nein, ich sehe in Wirklichkeit ganz anders aus, das war ich nicht. Fast hätte Eric gelacht. Die Situation hätte unwirklicher nicht sein können. Als Jans Hand mit dem Messer nach oben schnellte und er es auf Erics Brust richtete, stellte sich Jack vor Eric.
»Jan, es reicht. Hören auf. Letzte Chance.«
»Ich muss es wissen, sag es mir!«, brüllte Jan so laut, dass sich seine Stimme überschlug. Er hatte Tränen in den Augen, stand kurz vor einem Nervenzusammenbruch. Die Messerspitze erzitterte, seine Hände schwitzten.
»Rede! Sag es! Ja, oder nein? Bist du …«
Jans Stimme versagte, er konnte kaum noch Atmen. Eric schob Jack beiseite, stellte sich direkt vor Jan.
»Jan, ich habe dich gefoltert. Es ist wahr. Du hast nicht aufgehört, du hast Crow bedroht und du wolltest Jack Schmerzen zufügen. Ich habe dich gewarnt. Ich habe dich deutlich gewarnt. Aber was du gesehen hast, existiert nur in deinem Kopf.«
Jan fiel das Messer aus der Hand, seine Muskelspannung ließ augenblicklich nach. Er schluchzte, sank auf den Boden und krümmte sich, als seine Realität auseinanderfiel.
»Es ist wahr! Es ist … Nein. Aber bist du es? Dieses Ding?«
Eric kniete sich vor ihn, legte ihm eine Hand auf die Schulter. Jans Zustand war schlecht. Ein Schwächeanfall. Sein Herz schlug ungleichmäßig, er hatte üble Seitenstiche, seine Atmung war krampfhaft. Eric erkannte den nahenden Schwindel, Jan würde ohnmächtig werden, falls er nicht normal atmete.
»Ja«, flüsterte Eric ihm zu. »Ja, sieht ganz so aus. Jan, du musst atmen. Atme, konzentriere dich. Sieh mich an.«
Eric war sich nicht sicher, ob das, was er gerade tat oder sagte, in irgendeiner Form hilfreich für Jan wäre. Doch der blickte Eric tatsächlich mit weit aufgerissenen Augen und Panik in den Gliedern an. Als er sah, dass Eric selbst verängstigt wirkte, bekam er sich langsam in den Griff.
»Leg dich hin«, sagte Tim. Zu dritt halfen sie Jan, sich auf dem kühlen Küchenboden hinzulegen. Sie überwachten seinen Zustand, während Jack kauend mit einer Papiertüte dazu kam, aus welcher er gerade noch den Rest eines Baguettes genommen hatte.
»Atmen eigene Luft«, schmatzte Jack, reichte Tim die Tüte und der hielt sie Jan vorsichtig auf Nase und Mund. Eric beobachtete angespannt Jans Puls. Die Schläge wurden schwächer, aber regelmäßiger. Jans Atmung entspannte sich.
»Willst du vergessen?«, fragte er Jan leise. Er spürte, dass der Drache sich einmischte, kühl und berechnend. Doch Eric ließ ihn, verfolgte unentschlossen und irritiert das eigene Handeln. Jan sah ihn an, mit einem undefinierbaren Ausdruck im Gesicht. Nach ein paar Sekunden schüttelte er den Kopf.
»Nein«, röchelte er, »nein! Lass mich … verpiss dich einfach. Scheiß Bestie, hau ab!«
»Es tut mir leid, Jan. Es tut mir wirklich leid. Das hätte nicht passieren sollen. Hab keine Angst vor mir, ich bin friedlich. Ich will nichts von dir. Aber falls du Jack oder Crow oder Haku jemals wieder bedrohst, werde ich dich töten. Denk daran. Vielleicht werde ich ab und zu in den Träumen nach dir sehen, falls du weiterhin so … unangenehm bleibst.«
Eric erschrak. Nichts dergleichen hatte er sagen wollen, abgesehen von der Entschuldigung. Tim und Kay gafften ihn fassungslos an, der Drache warf ihnen einen feurigen Blick zu und richtete sich auf. Jan atmete wieder schneller.
»Ihr wollt eigentlich nicht so sein wie er. Ganz bestimmt nicht. Oder doch?«
Keiner sagte etwas. Eric wollte kein Wort mehr sprechen, doch der Drache setzte sein Spiel fort. Eric war völlig klar, wie nahe das, was er selbst dachte, an dem war, was der Drache aussprach. Sie waren sich im Grunde einig. Das machte es fast unmöglich, die Sache zu beenden. Er beobachtete mit einer Mischung aus Hilflosigkeit und bitterem Vergnügen die Gedanken der drei, schließlich meinte Tim:
»Danke für deine Hilfe. Wir kümmern uns um ihn, versprochen. Er wird sich benehmen. Bitte, geh einfach.«
Eric nickte, als er Tims Furcht erkannte und sah, dass der die Warnung verstand. Beinahe hätte sich Eric noch einmal entschuldigt, beobachtete beschämt und unglücklich, welche zersetzende Wirkung das Spiel des Drachen auf alle hatte, die davon betroffen waren. Aber der Drache ließ ihn nicht sprechen. Er zog sich einfach zurück, das Feuer beruhigte sich. Eric nahm sich noch schnell eine ordentliche Menge zu Essen, dann verließ er mit dem großen Teller die Küche. Jack tat es ihm gleich.
Als sie in ihrem Zimmer ankamen, schob Jack achtlos alles vom Tisch, was dort lag, stellte seinen Berg an Futter ab und holte sich aus seinem kleinen Kühlschrank eine Flasche Eistee. Beide setzten sich an den Tisch, doch keiner rührte sein Essen an. Jack blickte Eric nachdenklich ins Gesicht.
»Also … haben du gesprochen oder Drache?«
»Beide,« antwortete Eric unvermittelt, »ich wollte mich entschuldigen und dann …«
Er schwieg, begann mit der kühlen Mahlzeit. Seine Gedanken hingen in jenem blutigen Traum vom Vormittag fest. Das war es also, was Jan erlebt hatte. Dass er Eric in jener befremdlichen Form gesehen hatte, war wie ein merkwürdiges Zeichen dafür, dass der Drache äußerst selbstständig agierte und Dinge tun konnte, von denen Eric überhaupt nichts wusste. Und die letzte Drohung in der Küche? Er würde Jan in dessen Träumen besuchen? Eric grübelte, fühlte sich durch das Essen schon etwas besser und gleichzeitig so unwohl wie in dem Moment, als Jack ihm gezeigt hatte, was er Jan vorhin angetan hatte. Als er an Crow, Haku und Mia dachte, schluckte Eric und ließ sein Besteck sinken. Sollte er Jack nun auf all dessen offensichtliche Geheimnisse ansprechen? Was würde der sagen? Zögerlich aß Eric weiter, während Jack bereits fast fertig war. Schließlich entschied sich Eric, nichts zu sagen. Er fürchtete sich davor, Jack erklären zu müssen, was es mit jenem Mischwesen auf sich hatte. Denn er wusste es selbst nicht und solange er so wenig wusste, wollte er nicht mehr darüber nachdenken, was es alles bedeuten konnte. Es machte ihn nur verrückt. Sofort spürte Eric jenes triezende Schuldgefühl, welches immer dann aufkeimte, wenn er Jack etwas verheimlichte. Doch er kämpfte es nieder. Jack hatte selbst so vieles zu erklären, wenn sie erst einmal von hier fort wären.
Jack stopfte sich die letzte Ladung in den Mund. Warum war Eric so still? Er schien nachzudenken, seine Gedanken waren wie verschlossen. Das war neu. Normalerweise war Eric ihm gegenüber völlig offen. War etwas passiert, wovor er Angst hatte? Jack sah Eric beim Essen zu, nippte an seinem Eistee und hatte das Gefühl, Eric käme langsam dahinter, wie viel vor ihm verheimlicht wurde und dass er und Mia viel mehr miteinander über Eric sprachen als offensichtlich. Seitdem er dem Drachen begegnet war, wirkte Eric irgendwie anders. Vorsichtiger vielleicht. Aber da war noch mehr, Eric hatte es selbst gesagt: Er hatte Angst und fühlte, wie er sich selbst Tag für Tag veränderte. Jack rief sich Jans Gedanken in Erinnerung, betrachtete die verschwommenen Umrisse und Formen dessen, was Jan während seiner Folter gesehen und empfunden hatte. Er konnte das Erlebte nicht scharf sehen, hatte es in der Küche nur flüchtig gelesen, doch dass Jan dieses Ding mit Eric verband, war absolut klar. Und Eric hatte ihm abermals gedroht. Dieses Mal sogar damit, ihn in seinen Träumen zu besuchen. Jack wusste nicht, was er davon halten sollte. Er meinte zu sehen, dass der Drache dies nur deshalb sagte, weil er wusste, dass Jan sein Erlebnis zuerst für nicht mehr als einen hässlichen Traum gehalten hatte. Jan fürchtete sich vor diesem Wesen in seinen Träumen, offenbar war es über die Folter hinaus aktiv. So wäre es dann sehr effektiv, ihm mit weiteren Träumen zu drohen. Woher sollte Jan wissen, dass das so nie passieren würde? Trotzdem: Nachdem Eric den See angehoben und Jan einfach so geheilt hatte, war sich Jack kaum noch bei irgendetwas sicher, was seinen besten Freund und übermüdeten, verängstigten Beschützer betraf. Es war, als schlügen zwei Herzen in seiner Brust. Als wären zwei Seelen damit beschäftigt, untereinander auszufechten, wer oder was die Kontrolle übernehmen sollte. Und er konnte im Moment nicht mehr tun als aufzupassen, dass Eric nicht den Verstand verlor. Es war bitter. Jack dachte an Mias Brief und wünschte sich, er hätte ihn nie gelesen.
Als Eric schließlich seinen Teller von sich wegschob, fühlte er sich für einen Moment tatsächlich besser. Er sah Jack an und stellte zu seinem Erstaunen fest, dass