Alvine Hoheloh. Amalia Frey
Gesicht, das eine romantische Komplementierung zu ihrer feengleichen Statur bot. Sie mochte Mitte fünfzig sein, also gut zehn Jahre älter als Elfriede. Dennoch wirkte sie bei Weitem nicht so abgekämpft, viel mehr verliehen ihr die schemenhaften Falten auf ihrer beigefarbenen Haut Würde und ihre Grübchen waren offenbar von heiteren Lachsalven geformt worden.
Die Damen saßen auf dem unbequemen Polstersofa und Konrad nahm auf dem Sessel vor ihnen Platz. Wie in fast allen Zimmern der Villa Fürstenberg starrten sie weiße Wände mit wenigen Gemälden an und auch sonst wirkte dieser Raum eher spärlich eingerichtet. Eine alte Standuhr, die stets ein paar Minuten nachging, tickte dumpf und die kredenzte Melange schmeckte der Gästin nicht, was sie aber höflich verschwieg.
Dorothea empfand den Mittzwanziger, der sich soeben dazu gesellt hatte, weniger reizvoll, als es ihre Fantasie versprochen hatte. Doch je länger das Gespräch andauerte und er es vermehrt verstand, Schmeicheleien und Wortwitz gekonnt zu vermischen, und zudem unternehmerische Fachkenntnisse bewies, desto mehr glaubte sie, dass er ihr nützlich sein würde.
»Nun, lieber Herr Fürstenberg, da wir gerade davon sprechen, ich gedenke, Ihrem Vater ein Angebot anzutragen, welches die erloschene Zusammenarbeit wieder aufleben lassen soll.«
»Wie ich sehe, fackeln Sie nicht lange. Hat Ihr Gatte Sie geschickt?«
Dorothea blickte ihn amüsiert an. »Um Himmels willen, nein. Herr Hoheloh weiß, um ehrlich zu sein, gar nicht, dass ich Ihre Mutter heute besuche.«
»Ist das so?«, fragte Elfriede verwundert nach.
»Wir haben uns früh darauf geeinigt, dass ich für unseren Bekanntenkreis zuständig bin. Es wäre mir gewiss ein Dorn im Auge, wollte er jeden meiner Schritte überwachen.«
Konrads Mundwinkel zuckten unmerklich. Solche Frauen waren ihm unheimlich. Damen, die sich von ihren Ehemännern nichts vorschreiben ließen – wo käme die Welt hin, wäre das in Mode? Aber ihre Arbeitsteilung, das musste er zugeben, schien zu funktionieren, schrieben die zahlreichen kleinen Schuhfabriken unter Hohelohs Schirmherrschaft doch seit Jahrzehnten erstklassige Zahlen.
»Meine Unterstützung ist Ihnen sicher«, sagte er dann, bemüht, seine Zerknirschung nicht durchblicken zu lassen, »nur leider kann ich meinen Vater schlecht zu einem Bündnis zwingen.«
»Oh, mach dir darüber keine Sorgen«, bekannte Elfriede euphorisch, »Frau Hoheloh hat mir einige Kniffe verraten, mit denen ich gedenke, deinen Vater zu überzeugen.«
Darauf sahen die Damen sich wissend an und kicherten kurz. Konrad spürte, wie ihm das Messer in der Tasche aufging. So hatte sich Elfriede Fürstenberg noch nie verhalten. Ihren Gatten um den Finger wickeln wollte sie? Dennoch zwang er sich zur Ruhe. Sollte sie ihr Glück versuchen. Und wenn es klappte, heiligte zuletzt immer der Zweck die Mittel. Sobald erst die Verträge unterschrieben und die Geschäfte am Laufen waren, wüsste er seine Mutter schon zu beeinflussen, diese … Freundschaft zu beenden.
Zwei Tage später setzten die Verschworenen ihren Plan um und begegneten sich auf einer Abendveranstaltung, ihre unwissenden Ehemänner im Schlepptau. Sie begrüßten sich wie alte Freundinnen. Dann stellten sie ihre Gatten einander vor und jede, die die Szene beobachtete, wusste um dessen Albernheit. Doch so waren die Herren verpflichtet, verbissene Höflichkeitsfloskeln auszutauschen und plötzlich begannen ihre Frauen über Geschäftliches zu plaudern, sodass die Männer sich gezwungen sahen, sich einzumischen. Ein hitziges Wortgefecht entstand, das darin gipfelte, dass man dies bei einem gemeinsamen Abendessen ausdiskutieren wollte.
Das hatten die Damen beabsichtigt und ein paar Tage später traf man sich zu viert in einem Separee des besten Hotels der Stadt. Bei Wein und schmackhaftem Essen weichten die sturen Böcke endlich auf und das Gespräch wurde ein angenehmes, das nächste gar außergewöhnlich erfreulich.
Das Dritte fand im Anwesen der Familie Hoheloh statt, ein prunkvoller Bau mit fünf Stockwerken, weiten Fluren und achtzehn Gäst*inzimmern. Zu viert saßen sie am langen Esstisch im kleinen Saal, aßen ein Sieben-Gänge-Menü und unterhielten sich locker. Dorothea und Elfriede warfen einander zufriedene Blicke zu, als sich ihre Gatten nach dem Essen zum Rauchen ins Kaminzimmer zurückzogen, von dem durch eine Glastür getrennt der Wintergarten mit Dorotheas Orchideenzucht abging. Die Herren nahmen auf den Sofas vor dem leeren Kamin Platz und genossen einige von Alfreds teuersten Zigarren.
Dort erblicke Heinrich das Familienporträt und sagte: »Wie ich sehe, hast du deine kleine Prinzessin bekommen.«
»Das ist richtig. Nur so klein ist sie nicht mehr, das Bild ist bereits zehn Jahre alt.«
Er reichte seinem Gast sodann eine aktuellere Fotografie: Alvine kurz nach ihrem Abschluss im sommerlichen Kleid und aufgesteckter Mähne.
»Wir sollten unserer Kinder einander vorstellen«, rief Heinrich auf einmal mit leuchtenden Augen.
Alfred zuckte zusammen. Seine Alvine an Fürstenbergs Sohn verheiraten? Was, wenn er genau so ein Sturkopf wäre, wie der Vater? Doch was hatte Dorothea gesagt? »Ich mag den Jungen, die Gerüchte um seine Eloquenz und Ausstrahlung werden ihm gerecht.«
Aber wäre das nicht Verschwendung? Alvine war noch keine zwanzig und so eine gute Partie. Locker könnte sie sich einen Adligen schnappen, läge dergleichen in ihrem Interesse. Zudem war es Alfred mittlerweile zuwider, dass ein jeder auf diesen Gedanken zu kommen schien, nachdem ihr passendes Alter bekannt wurde. Sein »Winchen« allerdings hatte ihm schon vor Jahren erklärt, niemals heiraten zu wollen und ihm war es immer noch ganz recht, dass das Kind solche Flausen ausheckte. Nein, er wusste von keinen offiziellen Verehrern. Wie er wohl reagierte, wüsste er, wie viele Heiratsanträge sie bereits bekommen hatte?
»Nun, ich werde das mit Dorothea bereden …«, gab er zur Antwort.
Alfred sehnte den Abmarsch der Besuchenden herbei, auf dass er seine Frau überfallartig in den Wintergarten bitten konnte. Da Dienstbotinnen noch die Sofatischchen und die Möbel säuberten, schloss er panisch die Glastüren hinter sich und setzte seine Gattin auf das schneeweiß lackierte Korbsofa an der einzigen gemauerten Wand des Glasraumes.
»Liebling, was ist nur los mit dir? Seitdem ihr aus dem Kaminzimmer zurück seid, bist du unruhig und machst mich ganz toll. Sag doch, was quält dich?«
»Heinrich will Winchen und Konrad einander vorstellen!«
Dorothea sagte erst gar nichts und schließlich brach sie in eine heitere Lachsalve aus. »Unsere Alvine, unser Trotzkopf, die schwor, sich nie auf einen Mann einzulassen? Sie würde Fürstenberg Junior in der Luft zerreißen.«
»Liebes, ich bitte dich. Sie lehnt die Ehe ab, doch wir beide wissen, dass eines Tages ein Verehrer vor der Tür stehen wird, der sie uns wegnimmt«, gab Alfred zu bedenken.
»Der sie uns wegnimmt. Mann, du solltest dich hören … nun gut, lass mich überlegen.«
Ihr Gatte gab sich Mühe nicht nervös vor dem Fenster auf und ab zu laufen, das hätte seine Frau im Denken gestört. Sie war es, die Konrad bereits erlebt hatte und gleichso der einzige Mensch, dem er ein vertrauensvolles Urteil zu allen Themen zugestand. »Nun«, sagte sie endlich, »der junge Fürstenberg ist ohne Zweifel ein schneidiger Kerl, von Intellekt, aus guten Verhältnissen und seine eloquente Wortwahl wird unserem Bücherwurm gefallen. Zudem wird er die Geschäfte seines Vaters übernehmen, also wären unsere Fabriken auf ewig mit Material versorgt. Und er lebt nicht in Kleinweistenicht, sondern nur im nächsten Bezirk. Das heißt, wir könnten Alvine so oft besuchen, wie wir wollten.«
»So ist das?«, Alfred ließ sich erleichtert auf das Sofa plumpsen, »ist er also kein so ein seltsamer Kauz wie Heinrich?«
»Das gewiss nicht, Liebling«, lachte Dorothea, »aber irgendwas an diesem Jungen bereitet mir Unbehagen. Ich kann nur nicht ausmachen, was genau.«
Sie rutschte näher an ihn heran. »Alfred, alles, was wir über ihn denken, ist zweitrangig. Solange Alvine ihn nicht mag, wird er sie nicht bekommen. Das ist so, oder?«
»Ich bitte dich Dorothea, aber natürlich. Ich habe meinen Söhnen nicht in die Heiratspläne hineingeredet