Alvine Hoheloh. Amalia Frey
Seine Frau nickte verträumt. Die vielen Heiratsanträge, die sie für Alvine erhalten und sie Alfred verschwiegen hatte … Doch entweder wurden sie bereits von ihr höflich verneint oder, sollten sie ihren Weg zur Gemeinten persönlich gefunden haben, unsanft abgeschmettert. Es mochte Damen geben, die mit der Anzahl ihrer Anträge prahlten – das launische Fräulein Hoheloh hatte ihre nicht einmal mitgezählt.
Dorothea wusste von 19 Männern, die für Alvine auf die Freite gegangen waren. Ohne Zweifel eine beachtliche Zahl trotzdem es sich um eine der reichsten Töchter der Stadt handelte.
Aber dieser Konrad könnte ihr tatsächlich gefallen, dachte Dorothea. Auch, wenn Alvine von einem Leben als alleinstehende Freiheitskämpferin träumte, so steckte ebenso tiefe Sehnsucht nach Romantik in ihr. Das schloss die Mutter aus den Liebesromanen, die ihre Tochter las. Den Gedichten, die sie manchmal schrieb. Sie mochte sich nicht fest binden wollen, doch sollte sie nicht der Liebe eine Gelegenheit geben?
Vor Alfred waren auch schon Interessenten vorstellig geworden. Blaublütler, Schnösel und Gecken, Söhne oder Neffen seiner Geschäftsfreundschaften.
Stets wusste der Vater sie auszubremsen, indem er sagte: »Sie soll erst einmal die Schule beenden, dann sehen wir weiter.« Und später konnte er behaupten: »Sie möchte studieren gehen und ich erlaube es. Sprechen wir uns danach noch einmal.«
Aus einem Studium war wegen seiner Krankheit nichts geworden, seine Abwesenheit hatte Alvine unabdingbar in der Firma gemacht.
So lernte Alfred einige Tage später den viel gelobten Konrad kennen, der mit seinem Vater zu einer Firmenbesichtigung vorbeigekommen und gänzlich uneingeweiht in die Verlobungspläne der Eltern war.
Der junge Mann wirkte wissbegierig auf die Handhabung der Maschinen, die Abläufe, Handelspartnerschaften, Lieferbedingungen und Buchführung. Ähnliche Neugier kannte Alfred nur von seinem Winchen. Schließlich musste er sich ebenso eingestehen, dass er einen prächtigen Burschen vor sich hatte. So hätte Heinrich mit 20 wohl aus ausgesehen, wäre er nicht so dick und griesgrämig gewesen. Gut genug war Konrad gewiss nicht, aber welcher war das schon?
Als sie sich Stunden später mit vom vielen Reden trockenen Mündern verabschiedeten, sagte er: »Mein Sohn, ich sage Ihnen etwas. Sie sollten unsere Tochter kennenlernen. Wir bringen sie zu dem Ball der Casparis am Samstag mit. Ich hoffe doch, Sie erscheinen?«
Für den völlig Überrumpelten antwortete freudig der Vater: »Familie Fürstenberg wird vollständig dort sein.«
°°°
»Eine Unverschämtheit ist das!«, polterte Konrad am Abend, im Zimmer des Bruders auf und ab gehend, »da will ich die Geschäfte unseres Vaters voranbringen und was ist der Dank? Verkuppeln wollen sie mich!«
Theodor saß, die Beine ausgestreckt, auf seinem Bett und lehnte am Bettpfosten. Während er der Schimpftirade des Bruders lauschte, lachte er trocken in sich hinein und fragte sich, ob er sich die Kuhle im Teppich auf dem stets gleichen Weg Konrads nur einbildete. »Beruhige dich, niemand kann dich zu einer Ehe zwingen«, sagte er.
»Du hast gut reden. Wenn ich sie nicht heirate, enterbt er mich höchstwahrscheinlich. Das würde dir doch gefallen.«
Der Jüngere schnaubte verächtlich und entgegnete dann: »Ich bin bei Weitem nicht so eigensüchtig, wie du glaubst.«
»Was soll ich denn deiner Meinung nach bitte tun?«
»Sieh sie dir erst einmal an. Wenn sie hässlich wie die Nacht ist, und dazu auch noch freigeistig wie die Mutter, wird unser Chauvinist von Vater dich niemals zwingen wollen.«
»Nein, ich meine bis dahin. Wir werden sie nicht vor Samstag beurteilen können.«
»Wir?«
»Was glaubst du denn? Dass du dich wieder vor einem Ball drücken kannst? Vater hat gesagt, wer mit seinem Geld herumhuren will, soll ebenfalls für ihn arbeiten.«
»Ich entlohne die Damen meiner Nächte nicht vom Kapital unseres Erzeugers.«
»Wer es glaubt, wird selig. Aber er weiß, dass wir uns gerne etwas Nettes genehmigen.«
»Also auch von dir?«
»Er würde mich andernfalls wohl kaum für einen vollwertigen Kerl halten.«
»Nun gut, dann lass uns gehen«, rief Theodor gespielt fröhlich, schwang sich aus dem Bett und griff in die kleine Schublade mit den Präservativen.
»Nun willst du doch? Letztens haben dich keine zehn Pferde dorthin gekriegt.«
Der Jüngere hielt inne, dachte erneut an die süße Dame. Schließlich verwarf er den Gedanken wieder. Er würde sie nie mehr sehen, nachdem er es zweimal vermasselt hatte. Da könne es kaum helfen, wenn er sich in seinem Bräutigamsschmerz suhlte. So blieb er seinem Bruder die Antwort schuldig und ließ die Pferde satteln.
Als er fünfzehn war, hatte Konrad ihn das erste Mal mit in ein Bordell genommen. Seine erste Frau war eine reife Dame mit hellbraunem Haar gewesen, die sich Eva nannte. Zärtlich hatte sie ihn in die Welt der Lust und Leidenschaft eingeführt. Von da an konnte er nicht genug davon kriegen. Er verprasste im Laufe der Jahre fast alles der großzügigen Erbschaft seiner Großeltern für sein fleischliches Vergnügen. Doch nur mit Prostituierten gab er sich nicht zufrieden. Er verführte Dienstmädchen, Wirtstöchter, Genossinnen …
Ein seltsames Gefühl der Leere befiel ihn, sobald er alleine im Bett lag. Eine Leere, die ihn zwang, aufzustehen und mit einer Frau zu schlafen.
Als er kurz vor seinem Einzug zum Wehrdienst die geheimnisvolle Reiterin gesehen hatte, hatte sich das Blatt plötzlich gewendet. Er fühlte sich nach wie vor einsam. Jedoch, wenn er an sie dachte, beschlich ihn eine ungewohnte Wärme. Sie war es, die ihn all die Tyrannei des Militärs nahezu stoisch ertragen ließ. Als er nach Hause kam und am selben Abend seinen Stammpuff aufsuchte, bewunderten die Mädchen seine Narben und Abschürfungen. Obgleich sein Phallus schmerzhaft in der Hose drückte, zog er es anfangs vor, nur in ihren Armen zu liegen, ehe er einige Wochen später zu gewohnter Leidenschaft erwachte.
Dann hatte er die Eine wiedergesehen und war darauf tagelang nicht fähig zu essen oder zu schlafen gewesen, geschweige denn seine seither quälende Lust zu beruhigen.
Die Freudenmädchen waren wie immer überaus erfreut, die beiden hübschen und wohlhabenden Brüder zu begrüßen.
Konrad ließ sich wie so oft eine zierliche Blondine kommen und zog sich mit ihr in sein Lieblingszimmer zurück. Theodor setzte sich zigarrerauchend in das schummrige Kaminzimmer, in dem sich die Damen mit ihren potenziellen Freiern tummelten. Zwei Mädchen fingen seinen Blick ein und kamen auf ihn zu. Eine hatte kastanienbraune Locken, die andere war groß und hatte helle Augen. Sie fragten, ob er nicht Lust habe, mit ihnen einen Champagner zu trinken.
Bevor er antwortete, nahm er einen tiefen Zug und blies den Rauch zur Seite. »Champagner, Süßigkeiten und Früchte, was immer ihr wollt. Wenn ihr dafür beide mit mir ins Separee kommt und mich um den Verstand vögelt.«
Die Damen erröteten fast und lachten erfreut. »Das lässt sich einrichten«, sagte die Große.
Auf dem riesigen Bett nahm er sich eine nach der anderen vor, doch entgegen seiner Hoffnung gab sein Körper keine Ruhe. Sobald er an die Reiterin dachte und der blumige Geruch ihres Haars wieder in seine Nase stieg, waren sämtliche Manneskräfte zurück. Wie durch ein Wunder schaffte Theodor es pünktlich zum Frühstück der Familie.
Vater und Bruder rochen und sahen ganz genau, wo er sich so lange rumgetrieben hatte, die Mutter vermutete einen Virusinfekt.
°°°
Anders als Konrad Fürstenberg zog Alvine Hoheloh es vor, ihren Wutausbruch vor dem Menschen zu entladen, auf den er sich bezog. Sie schrie ihren Vater an.
Sie trampelte über den dunklen Teppich, der ihr Schlafzimmer säumte, und zeterte fürchterlich. Sie tigerte vom hellgefliesten Bad durch ihr Arbeitszimmer, zog Bücher aus