Alvine Hoheloh. Amalia Frey

Alvine Hoheloh - Amalia Frey


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nichts für Sie übrig?«, scherzte sie.

      »Das leider auch, aber ich hätte so gerne Ihnen eine Portion Zuckerwatte spendiert.«

      »Oh, Herr Fürstenberg, was reden Sie da? Niemand darf mich sehen, wie ich Zuckerwatte esse. Ich schlinge sie gar undamenhaft hinunter.«

      »Das bezweifle ich.«

      »Es ist so, ich könnte Sie nicht belügen.«

      »Nun denn«, er drehte sie galant ein paar Mal, bevor er fortfuhr, »dann werde ich es so besorgen, dass Sie Ihre Portion genießen, während niemand anwesend ist, der fähig zu einem Urteil sein dürfte.«

      »Wer wird mir dann Gesellschaft leisten?«, schlug sie ihm einen weiteren Spielball auf.

      »Meine Wenigkeit, wenn Sie erlauben. Ich wäre niemals in der Lage, Sie als undamenhaft zu bezeichnen. Ebenso wenig kann ich mir, abgesehen von Ihrer Mutter und vermutlich Ihrer Gouvernante, niemanden vorstellen, der das Recht hätte, Sie zu gängeln.«

      »Sie werden staunen: Ich hatte keine Kinderfrau.«

      »Nun veralbern Sie mich«, wieder drehte er sie, ganz verzaubert vom Flug ihrer glänzenden Locken.

      »Mitnichten! Meine arme Mama musste meine Erziehung allein bewerkstelligen, die Gouvernanten habe ich beizeiten vertrieben.«

      Wie sie feststellte, wirkte er weder ungläubig noch schockiert. Er glaubte ihr und was umso angenehmer war: Es gefiel ihm. »Hatte Ihre Mutter ernstlich Schwierigkeiten, Sie am Ende zu diesem holden Persönchen auszuformen?«

      »Sie würden sich wundern. Ich war und bin ein wahres Ungeheuer.«

      Dann lachten sie herzlich, er drehte sie wieder, fand die Schleifen über der Knopfleiste an ihrem Rücken neckisch und sagte: »Sie müssen verstehen: Es ist schwierig für mich, sich das vorzustellen.«

      »Nun, vielleicht glauben Sie mir, wenn ich Sie auf Folgendes aufmerksam mache: Ich habe das Gespräch mit Komplimenten für Sie begonnen. Erscheint Ihnen das nicht undamenhaft?«

      »Meiner Vorstellung nach nicht. Vielmehr sollten Damen das Recht erhalten, Dialoge zu beginnen, wie es Ihnen beliebt. Und nicht nur dahingehend ist das Kräfteverhältnis schändlich ungleich.«

      Alvines Herz tat einen Satz: »Sie sprechen wahre Worte!«

      »Es freut mich, dass sie Ihnen nicht unangenehm sind. Erlauben Sie mir die Frage: Was ist Ihr Steckenpferd?«

      »Es wird Sie gewiss überraschen: Auch ich reite gern.«

      »Wie schön«, gab er knapp zurück.

      »Leider ist mein Pferd fern meiner Heimat, nämlich im Elternhaus meiner Mutter untergebracht und ich sehe es nur, wenn wir dorthin reisen.«

      »Wann wird das sein?«

      »Oh, schon bald. Ehe wir gemeinsam in die baltischen Kaiserbäder fahren, meine Eltern, meine Brüder mit ihren Familien und ich, verbringen meine Mutter und ich ein paar Tage dort. Und sonst erlaube auch ich mir des Öfteren, über ein verlängertes Wochenende dorthin zu reisen, um reiten zu gehen.«

      »Sie reisen allein?«

      »Leider nein, normalerweise bringt mein Bruder oder einer unserer älteren Kammerdiener mich wenigstens bis zur Hälfte, wo mich unser Stallmeister in Empfang nimmt. Er ist der Einzige, von dem sich mein Hengst noch reiten lässt, und ist schon Ewigkeiten bei meinen Eltern angestellt. Und natürlich begleitet meine Gesellschafterin Greta mich überall hin.«

      »Sie sagten leider?«, schmunzelte er.

      »Gewiss. Sie können sich nicht vorstellen, wie lästig es ist, stets und ständig überwacht zu werden. Ich hatte jahrelange Fehden mit meinem Vater auszutragen, ehe er mir endlich erlaubte, mich wenigstens in der Stadt frei zu bewegen. Aber auch nur, wenn er überzeugt sein konnte, dass ich nur mit anderen Damen verabredet bin.«

      »Das kann ich mir gewiss nicht vorstellen und muss zugeben, mir darüber nie Gedanken gemacht zu haben. Und wie dankbar ich nun für dieses Geburtsrecht bin. Obgleich ich auf die aktive Dienstpflicht hätte verzichten können.«

      Ihr gelang darauf nur ein schwaches Lächeln. Sicher hatte sie kein Mitleid erwartet, aber eine erneute Versicherung ihrer gesellschaftlichen Unterdrückung aufgrund ihres Geschlechts erschien ihr noch unpassender.

      »Wechseln wir das Thema …?«

      »Gern«, gab er zurück, unfähig die Spur des Ärgers in ihrem Zungenschlag zu hören.

      »Weitere Lieblingsbeschäftigungen … Nun, ich lese sehr gern, ich gehe gern spazieren oder besuche meinen Vater in der Hauptfabrik.

      »Ist das so? Langweilt Sie das nicht?«

      »Was von den dreien?«, erwiderte sie, Übles ahnend.

      »Ich kann mir nicht vorstellen, was Sie im Büro Ihres Vaters interessant finden könnten. Oder motivieren Sie die Arbeiter?«

      »Nun, auch wenn Sie es nicht glauben mögen«, ihr gereizter Ton war nun endlich für ihn deutlich, »ich interessiere mich sehr für die unternehmerischen Abläufe. Es als Steckenpferd zu bezeichnen, ist wohl maßgeblich untertrieben: Nein, mit meinem Vater zu arbeiten ist mein Lebensinhalt.«

      Er spürte die Versteifung ihrer Gliedmaßen, was es ihm unmöglich machte, sie weiterhin zu führen. Daraufhin stoppte er behutsam und blickte in ihre funkensprühenden Augen. Wie hübsch sie war. »Verzeihen Sie mir. Ich muss zugeben, dass mir bisher noch keine Dame begegnet ist, die derartige Interessen bekundet.«

      »Es mag Sie verwundern, Herr Fürstenberg«, gab sie zurück, »aber sehr viele Frauen legen Wert auf die gleiche Arbeit, die gleichen Rechte und Wertschätzung!«

      Damit machte sie sich von ihm los und ließ ihn stehen. Mit offenem Mund starrte er ihr nach. Ihre Locken sprangen in ihrem eiligen Gang und trotz ihrer Enttäuschung auf und ab und ließen erneut den Duft nach Rosenseife in seine Nase steigen.

      °°°

      Obgleich es von jeher eine Angewohnheit der Brüder war, sich über Alvines maskulines Betragen lustig zu machen, konnte man durchaus behaupten, dass die beiden es am meisten gefördert hatten.

      Seit dem Tod von Dorotheas Eltern fungierte Friedgolds Hof, der direkt an einem malerischen See lag, als Kleinod der Zuflucht für die Vollblutstädterin und ihre Familie. Ihr Onkel hatte seinen Grund, zu dem auch Friedgolds Forst gehörte, vor seinem Tod an Alfred Hoheloh überschrieben. Um die Wälder zu pflegen, hatte man eine Försterfamilie angestellt, die ebenso in dem Haus wohnte, dazu Dienstbot*innen, die die Anlagen in Schuss hielten und die dazugehörigen Pferde hüteten. Außerdem waren ein paar Nutztiere angeschafft worden, sodass das rege Treiben einem kleinen Bauernhof glich. Die Kräuter- und Kartoffelgärten vor den Bauten taten ihr Übriges.

      Seit jeher war es für die Jungen Eduard und Karl eine Selbstverständlichkeit gewesen, während der Sommerferien, die sie hier verbrachten, morgens eine Runde schwimmen zu gehen – unbekleidet, verstand sich. Als Alvine drei Jahre alt wurde, ebenso Schwimmunterricht forderte und nicht einsehen wollte, warum in Gottes Namen sie diese elendig schwere Badekleidung zu tragen hatte, entschied ihr Vater das einzig Richtige: Er ließ eine circa Zehn-Quadratmeterfläche abstecken, einen robusten Steg und ein Durchgangshäuschen in dessen Mitte bauen und hinter dem Häuschen ließ er einen Sichtschutz aus Holz errichten. Frisches Wasser bekam dieser durch einen etwa anderthalb Quadratmeter großen unterirdischen Zufluss. Nun war es Klein-Alvine und dem Rest der Familie also möglich, den Bootssteg entlang in das Häuschen zu tippeln, sich dort all ihrer Kleider zu entledigen und dann in ihrem ganz eigenen Schwimmbecken herumzutollen.

      Eduard und Karl waren begeistert über die Gunst, ihrer Schwester schwimmen beizubringen und mit ihr bald darauf wild im Wasser zu spielen. Und sie ließen es sich nicht nehmen, Mutproben mit ihr abzuhalten. Zuerst testeten sie ihre Waghalsigkeit, als sie sie dazu überredeten, trockenen Fußes vom Steg ins tiefe, oftmals kalte Wasser zu springen. Als sie ebenso Mutproben zum Tauchen bestand, forderten sie sie auf, durch den unterirdischen Zulauf


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