Alvine Hoheloh. Amalia Frey

Alvine Hoheloh - Amalia Frey


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als Theodor schon fast neben ihr stand, kam sie zu sich.

      Seiner Pollenallergie trotzend hatte er sich den Weg durch das hohe Gras zu ihr erkämpft. Sogleich schnellte sie hoch und wich drei Schritte von ihm zurück. Er rang sich ein Lächeln ab, das ob seiner leuchtenden Augen durchaus glaubwürdig erschien.

      Hinter ihm stand ein Pferd. Sie kannte Asra, den Rappen. Er gehörte dem hiesigen Gastwirt.

      Strumpf beschnupperte das Leihpferd neugierig.

      »Bevor Sie schimpfen«, begann er, »darf ich etwas sagen?«

      Sie schnappte nach Luft. »Bitte«, platzte sie schließlich heraus.

      »Mir ist bewusst, dass ich Sie an besagtem Abend schwer verärgert haben muss. Nach Ihrem Abgang hatte ich Zeit, darüber nachzudenken und nun, da ich etwas über ihren bisherigen Lebensweg in Erfahrung bringen konnte, tut sich mir auch auf, wie es um Ihre Einstellung steht. Ich verstehe nun, woher Ihr Ärger rührt.«

      »Ist das so?«, blaffte sie zurück.

      »Fräulein Hoheloh, ich muss gestehen, dass ich noch mit wenigen Frauen wie Ihnen zu tun hatte. Gewiss waren die Damen, die mich bisher mit ihrer Gegenwart beehrten, oftmals ebenso unzufrieden mit ihrer gesellschaftlichen Stellung. Aber es kam mir eher so vor, als hätten diese jedenfalls sich damit arrangiert und würden nicht aktiv dagegen angehen. Dass sie sich unter dem Schutz der Männer, die die volle Verantwortung tragen, wohlfühlten.«

      Alvine holte Luft, doch Theodor erhob bittend die Hand, auf dass er weiter reden dürfe.

      »Bitte verstehen Sie mich nicht falsch: Von Kindesbeinen an habe ich mich gefragt, warum die Damen von Stand sich das antun, bis ich zu dem Schluss kam, dass viele offenbar nicht Kraft und Mut aufbringen konnten …«

      »Es wird uns regelrecht aberzogen!«, spie sie nun wider, »Sie reden von Verantwortung der Männer. Aber wenn diese nur daher rührt, dass sie die alleinige Macht haben, und Frauen der Weg zu Bildung und Selbstverwirklichung verwehrt bleibt, ist das ein erbärmliches Argument für diese Kompetenz. Sie haben überhaupt keine Vorstellung, Herr Fürstenberg! Also erlauben Sie sich gefälligst auch kein Urteil.«

      »Ich will Sie nicht verurteilen«, gab er um Ruhe ringend zurück, »ganz im Gegenteil, ich bewundere die Damen, die sich ihre Rechte einzufordern versuchen. Die um das Anrecht politischer Mitbestimmung und hoher Bildung ringen. Wie meine Genossinnen. Aber Sie … Sie sind die erste reiche Tochter, die die gleichen Ziele wie sie verfolgt.«

      Strumpf begann derweil an Asras Ohr zu knabbern, was er nur zu gerne tat. Es war seine Art, die Stuten zu necken, dass er es auch bei Hengsten tat, war jedoch neu. Alvine sah die Szene im Augenwinkel und hätte darüber am liebsten laut gekichert. Sie riss den Blick ruckartig zurück zu Theodor, der da in gebührendem Abstand vor ihr stand.

      Er trug dunkelblaue Reiterhosen, schwarze Reitstiefel und oben ein schneeweißes Hemd, dessen obere Knöpfe geöffnet waren. Für eine Sekunde besah sie den winzigen Ausblick auf seine nackte Brust, der sich ihr bot und wieder trat dieses Pochen im Unterbauch auf.

      »So ist das, Sie bewundern es? Warum in Gottes Namen gaben Sie sich dann letztens so herabwürdigend?«

      »So … haben Sie mich wahrgenommen?«, entgegnete er.

      »Wie hätte ich Sie anders wahrnehmen sollen? Sie hatten meine Verärgerung ja nicht einmal bemerkt.«

      »Ich muss Ihnen recht geben, doch ich versichere Ihnen, es geschah nicht aus böser Absicht. Zudem möchte ich wiederholen, dass ich bisher nicht mit einer Dame wie Ihnen gesprochen habe und ich nicht die Möglichkeit hatte, es einzuordnen.«

      »Einzuordnen? Ein Geburtsrecht, das für jeden Menschen gelten sollte?«

      »Ich bin Ihrer Meinung, jedoch, das sagte ich bereits, war ich an jenem Abend überrumpelt. Ich hatte schlichtweg nicht damit gerechnet …«

      Wieder unterbrach sie ihn: »Damit gerechnet, dass Frauen durchaus daran Anstoß nehmen, wenn sie als Menschen zweiter Klasse behandelt werden?«

      Er schnaubte. Sie schien ihm völlig festgefahren. Wie oft sollte er ihr noch gestehen, dass er diese Meinung nicht teilte? Verlangte sie von ihm, zuzugeben, dass er trunken gewesen war? Sowohl von seinem Glück, sie wieder zu sehen als auch vom Wein?

      »Ich kann nicht mehr sagen, als dass es mir leidtut und ich absolut auf Ihrer Seite bin.«

      »Wären Sie es doch schon an diesem Abend gewesen!«

      »Das war ich, nur gelang es mir nicht, meine Gedanken zu ordnen.«

      »Warum nicht?«, höhnte sie nun, »Sie verfügen über einen Kopf, der Ihnen gestattet, das Gesagte zu reflektieren.«

      Dieses Weib ist nicht zu fassen, dachte er.

      Entweder war sie immer so uneinsichtig oder, was er mittlerweile eher vermutete, hatte sie so lange über dieses Gespräch nachgedacht, dass sie zu tief drinsteckte, als dass sie von ihrem Urteil über ihn lassen konnte. Demnach war er ihr also im Gedächtnis geblieben und kurz fühlte er sich geschmeichelt. Daraufhin wurde ihm allerdings gewahr, was für einen Dickschädel sie haben musste, was ihn einerseits rührte und ihn andererseits aber auch verärgerte. Hätte sie sich an jenem Abend nur eine Minute Zeit genommen, sodass er sich hätte erklären können, wäre ihnen beiden die Odyssee der letzten Woche erspart geblieben.

      »Nein, ich habe gar nicht nachgedacht«, gab er zu.

      »Wie kann ein Mensch des Denkens nicht fähig sein?«

      »Fragen Sie mich nicht, es war so. Ich war überwältigt von allem, sodass ich von diesem evolutionären Vorteil keinen Gebrauch machte.«

      »Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen!«

      Wie vom Donner gerührt sahen sie einander an. Entgegen ihrer Natur hatte sie es zugelassen, ihm im Streit näher und näher zu kommen, sodass ihre Gesichter nun nur eine faustbreit voneinander entfernt waren.

      »Es ehrt Sie, dass Sie Ihr Leben lang stets die Kontrolle über sich hatten und Ihnen das nie widerfahren ist.« Er steigerte sich in seinen Redefluss hinein. »Aber Sie scheinen mir ohnehin eine Denkerin zu sein. Ich wette, Sie können gar nicht anders, als tagaus tagein ihr Hirn zu quälen. An der Tiefe der Denkfalte auf Ihrer Stirn wird nur allzu deutlich erkennbar, wie scheußlich Sie selbst darunter leiden!«

      »Ich darf doch sehr bitten! Was erdreisten Sie sich mit dieser Unterstellung?«

      »Ist es nicht so? Aber wenn Sie an jenem Abend kurz innegehalten und mir eine Gelegenheit gegeben hätten, wären wir im Guten auseinandergegangen.«

      Ihre Augen schossen Blitze aufeinander. Alvine wurde für eine Sekunde gewahr, dass sie bei Diskussionen eher dazu neigte, zurückzuweichen, um Anlauf zu nehmen, selbst bei ihrem Vater. Vor Theodor jedoch war sie nicht zurückgewichen, im Gegenteil: So gefährlich nahegekommen war ihr bisher kein Mann.

      Ein lautes Wiehern schreckte sie aus ihrer beider Dämmerzustand auf und sie sahen nur, wie Asra davondonnerte, dicht gefolgt von Strumpf, der ihn offenbar noch immer zu ärgern gedachte. Alvine und Theodor standen mit einem Mal allein auf der Lichtung inmitten des Waldes, und auch, dass sie auf zwei Fingern nach ihrem Hengst pfiff, was ihn maßgeblich beeindruckte, brachte die Tiere nicht zurück.

      Nach einem Moment des ratlosen Schweigens entschieden sie beide, ihre Wutausbrüche zu verschieben, und stapften eiligst in die Richtung, in die die Pferde entkommen waren.

      »Wie haben Sie mich gefunden?«, fragte Alvine irgendwann.

      »Vor ein paar Tagen habe ich bei Ihrer Mutter vorgesprochen, die mir mitteilte, dass Sie hier seien. Und dass sie einverstanden wäre, dass ich Sie besuche, um die Sache zu klären.«

      Alvine grummelte: »Das sieht ihr ähnlich. Aber dass sie so einfach meinen Aufenthaltsort preisgibt, das überrascht mich.«

      Dorothea war Alvines Veränderung freilich nicht entgangen, aber sie hatte ihre


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