BonJour Liebes Leben. Rose Hardt

BonJour Liebes Leben - Rose Hardt


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lieber Ludger, wir sollten ins Büro gehen, da kannst du dir Unterlagen raussuchen. Ohne eine Antwort abzuwarten, stand sie auf und marschierte schnurstracks zu Gustavs Arbeitszimmer.

      Er folgte ihr wie ein gehorsamer Dackel. „Duuu, Charlotte, wie du weißt, handle ich nur in guter Absicht …“

      Unvermittelt blieb Charlotte stehen. „Ja, ja ist schon gut“, seufzte sie genervt, „ich weiß, dass du deinem Bruder versprochen hast auf mich aufzupassen, das hast du bereits des Öfteren erwähnt“, abrupt und mitten im Satz schwieg sie, denn ihr war durchaus bewusst, dass sie auf Ludgers Hilfe angewiesen war. „Mein lieber Ludger“, fuhr sie aus einem Seufzer fort, „ich bin dir wirklich sehr, sehr dankbar, dankbar für alles, was du nach Gustavs Tod für mich getan hast und auch immer noch tust … das musst du mir glauben, aber“, kurz hielt sie inne, um ihre Wortwahl sorgfältig auszuwählen, „sieh mal, im Trauerjahr war ich nie wirklich alleine, immer war jemand da, mal ganz abgesehen von Frida. Doch jetzt brauche ich etwas mehr Zeit für mich. Verstehst du was ich meine? Ich muss meinem Leben wieder einen Sinn geben. Ich muss es neu ordnen!“

      Auch wenn er sie nun mit seinem berühmt-berüchtigten Dackelblick ansah, so war Vorsicht geboten, denn im Hintergrund lauerte ein listiger Fuchs, der nur darauf wartete im richtigen Moment zuzuschnappen.

      Für einen Moment dachte er stirnrunzelnd darüber nach, was sie gerade gesagte hatte, dann antwortete er: „Meine liebe Charlotte, das verstehe ich durchaus, aber …“

      „Ohne Wenn und Aber“, stoppte sie ihn, und mit dieser resoluten Antwort öffnete sie die Tür zum Büro. Muffige, abgestandene Luft schlug ihr entgegen. Seit Gustavs Tod betrat sie nur noch selten den Raum, es sei denn um irgendwelche Akten herauszuholen. Während sie das Fenster mit einem Ruck öffnete, fragte sie reserviert: „Weißt du in welchem Ordner die Unterlagen sind?“

       Was für eine überflüssige Frage! Die zwei Brüder hielten doch wie Pech und Schwefel zusammen. Sie wussten alles voneinander – oder? Wusste Ludger auch über Gustavs Affären Bescheid?

      Ein Gedankengang der ihr sogleich über die Lippen sprudelte: „Wusstest du eigentlich von den Affären deines Bruders?“

      Worte, die ihn wie Wurfgeschosse am Kopf trafen, fast wäre ihm beim Aufprall die Kinnlade runtergefallen, doch im letzten Moment blies er die Backen auf und beim Ausatmen sagte er: „Weißt du Charlotte, das war …“

      „alles ganz anders, als ich denke! Ich weiß“, beendete sie seine Ausrede barsch, „gib dir keine Mühe, Einzelheiten interessieren mich eh nicht. Ich möchte nur eine ehrliche Antwort von dir.“ Mit großen Augen sah sie ihn erwartungsvoll an.

      Verlegen senkte er seinen Blick, blies nochmals die Backen auf, und während er die Luft ausblies, nuschelte er, „jaaa wobei ich ihm immer gesagt habe, dass ich das nicht für gut finde …“

      „So, hast du das!“

      „Jaaa! Wie oft habe ich ihm gesagt, dass ich dich für eine wunderbare Frau halte und du das nicht verdienst“, achselzuckend fügte er noch an, „was sollte ich denn tun, er war mein älterer Bruder und gegen Ratschläge – wie du selbst weißt – immun!“

       Wieso nur konnte sie ihm das nicht glauben?

      Jedenfalls hatte ihre Frage ihn sichtlich in Verlegenheit gebracht, er vergrub die Hände tief in seinen Hosentaschen und unter seinem Jackett konnte man die Windungen seines Oberkörpers sehen, gerade so, als wäre ihm seine eigene Haut zu eng geworden. Nein, sie gab ihm keine Antwort mehr, stattdessen ließ sie ihn, samt seinem schlechten Gewissen, alleine. Für Charlotte war die Untreue ihres verstorbenen Mannes längst kein Thema mehr.

       Sie hatten sich, wie es so schön heißt: über die Jahre zusammengerauft, die dunklen Beziehungszeiten gemeistert und sich irgendwann arrangiert.

      Okay, dachte sie, dein schlechtes Gewissen, mein Lieber, darfst du gerne bei mir abarbeiten. Sie blieb auf der Türschwelle stehen und sagte: „Im Übrigen, ich möchte den Porsche verkaufen. Könntest du mir dabei behilflich sein? … Ach ja, noch was, gestern Abend wurde ich auf der Landstraße geblitzt, könntest du dich auch darum kümmern?“

      „Gustavs Porsche?“, fragte er erstaunt. Die Frage schien zunächst im Raum zu rotieren bevor er in der Lage war sie zu realisieren.

      „Jaaa! Oder hast du etwas dagegen?“, fügte sie stirnrunzelnd an.

      Ludger zog zunächst nachdenklich die Augenbrauen zusammen, doch schon im nächsten Augenblick überzog ein selbstgefälliges Grinsen sein Gesicht, zögerlich antwortete er: „Ich könnte, ich meine … wenn nichts dagegen spricht, so könnte ich den Porsche kaufen!“ Nachsinnierend spitzte er seine Lippen, dann brach es aus ihm heraus: „Ja, ich kaufe ihn“, mit dem Ausspruch war sein Entschluss Fakt. Und nach dem Strahlen seiner Augen sah er sich bereits in dem sportlichen Gefährt hocken, sah sich mit gemäßigtem Tempo, sodass ihn auch alle sehen konnten, durch die Innenstadt fahren.

      Verblüffung stand in Charlottes Gesicht, doch wenn sie es sich recht überlegte, hätte sie diese Entscheidung vorhersehen können. Soweit sie sich zurückerinnern konnte, hatte er schon immer versucht Gustav nachzueifern: alles was er hatte, wollte auch er, und seit seinem Tod, beschlich sie zuweilen das Gefühl, dass es für ihn Zeit wäre, Gustavs Platz – hier im Hause und an ihrer Seite, womöglich noch in ihrem Bett – einzunehmen. Ein Gedankengang, der sogleich für eine Gänsehaut sorgte. Igitt, igitt nein! Und überhaupt, er und sie – unmöglich! Stattdessen versuchte sie gedanklich, Ludger und den Porsche zusammenzubringen. Sie sieht den drahtigen Ludger – ein jung gebliebener Sechziger, im elegant-klassischen Jackett, mit offenstehendem Hemd, dem passenden Halstuch sowie blankpolierten Schuhen und seinem selbstgefälligen Grinsen – im Porsche sitzen. Eigentlich fand sie ihn ja ganz attraktiv, wenn da nur seine Pedanterie nicht wäre. Sein übertriebener Hang zur Genauigkeit konnte jede Frau zur Raserei bringen. Vermutlich war er deshalb auch Single. Auch seine Frisur – die gegelten Haare mit den Kammspuren und dem immer perfekten Seitenscheitel – sagte schon sehr viel über seine Pingeligkeit aus. Dabei fiel ihr Blick auf sein volles dunkles Haar, das noch kein einziges graues Haar aufwies, aber wer weiß, vielleicht war es ja nachgefärbt. Ihr Blick vertiefte sich in seinen Haaren. Man neigte immer dazu hineinfassen zu wollen, um endlich einmal die Perfektion aus ihm herauszuholen. Ein Wunschgedanke, bei dem Charlotte unvermittelt schmunzeln musste, denn ihre beste Freundin, Doro von Sickingen, hatte das bei einer Geburtstagsfeier und im betrunkenen Zustand mal versucht – oha, da war aber was los! Ja doch, Ludger passte in den Porsche. Mit hundertprozentiger Sicherheit würde er den kleinsten Mückenschiss mit einem seiner weißen Stofftaschentücher – die allesamt mit seinen Initialen versehen waren – wegpolieren. Ein Fantasiegebilde das sie fast ausgesprochen hätte, doch im letzten Moment hielt sie inne und sagte nur: „Schön, dann halte Gustavs Porsche in Ehren!“

      Er klatschte in die Hände, zwinkerte ihr zu und sagte freudestrahlend: „Gut, dass wir das schon mal geklärt hätten“, wobei er sich genüsslich die Hände rieb, gerade so, als wäre er seinem Ziel ein Stückchen näher gekommen.

      Stirnrunzelnd und skeptisch beäugte sie sein Verhalten und sie konnte nur hoffen, dass sie ihn nicht selbst auf die falsche Spur gesetzt hatte – eine Spur, die ihn auf der Zielgeraden zu ihr führte.

      „Tja, wo waren wir noch gleich stehengeblieben? Ach ja, das Knöllchen! Selbstverständlich kümmere ich mich auch darum, sei unbesorgt, Charlottchen!“ Grinsend und träumend stand er noch eine Zeitlang da.

      „Ludger? Wolltest du nicht die Unterlagen für die Steuererklärung raussuchen?“

      „Wie? Ah richtig“, antwortete er. Aus seinem Tagtraum erwacht, klatschte er nochmals in die Hände, grinste wie ein Honigkuchenpferd und sagte mit einem leicht kindischen Unterton in der Stimme: „Na, wo sind denn die kleinen Ordner? Ahhh da sind sie ja!“

      Charlotte verdrehte genervt die Augen. „Viel Spaß! Ich gehe dann mal, du kennst dich ja hier bestens aus“, fügte sie überspitzt an.

      Während sie zurück zur Terrasse ging, fiel ihr Blick auf den großen Spiegel in der Eingangshalle.


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