BonJour Liebes Leben. Rose Hardt
und wie du dir sicherlich vorstellen kannst“, fuhr sie schließlich fort, „hatte ich mir gedanklich schon ein Traumgebilde aufgebaut: ich sah mich bereits als strahlende Braut ihm entgegengehen, alle meine Immobilienobjekte hatte ich nach einem passenden Nest für uns durchstöbert … tsss … doch was macht dieser Windhund?“, zischte sie plötzlich kopfschüttelnd.
„Na, was denn?“, fragte Charlotte ungeduldig.
„Naja, meine Hoffnung hatte er zwar erfüllt, doch seine Vorstellung von einer Ehe war mit meiner nicht kompatibel!“
„Aha …!“, kommentierte Charlotte.
Doro überhörte geflissentlich ihren Ausruf und schon im nächsten Moment zog erneut ein Wechselspiel von Gefühlen über ihr schönes Gesicht: Zuerst war es eine Mischung aus Enttäuschung und Trauer, dann Abscheu und Ekel, doch dann verengten sich gefährlich ihre Augen. Hinter ihrer hohen Stirn brodelte es mächtig. Sie schien im Geiste ihre beliebte Wutpeitsche aufzunehmen, um nun auf alles, was männlich war, draufzuschlagen. Ja, auch das war Doro!
„… er sagte“, fuhr sie schließlich zähneknirschend fort, „dass ich mein Single-Leben so weiterführen könne wie bisher. Er wäre ja ein moderner Mann, ein Befürworter der offenen Ehe – was auch immer er darunter verstand. Breitgrinsend fügte er noch an, dass mein Name von Sickingen …“, und um ihren Worten mehr Ausdruck zu verleihen, klopfte sie mit der Hand mehrmals auf ihre Brust, „tsss … ich kannʼs immer noch nicht glauben, eine Zierde auf seiner Visitenkarte wäre! Kannst du dir das vorstellen?“, empörte sie sich laut. „Anschließend sprach dieser Mistkerl laut und deutlich seinen Vornamen Heinrich-Diether inklusive meines Nachnamens von Sickingen aus. Ich dachte, jetzt ist er völlig übergeschnappt … grrr … dieser blasierte, aufgeblasene Gockel mit seinem übersteigerten Selbstbewusstsein, dieser Möchte-gern-von-Adel-Sein … grrr“, ihre Wut trieb sie vom Stuhl hoch und im Laufschritt um den Tisch, wobei sie adelsunfeine Flüche vor sich hin knurrte. So schnell wie sie aufgestanden war, saß sie auch wieder am Tisch und erzählte, das für sie Unfassbare, weiter: „Nun, und als krönenden Abschluss setzte er noch eins drauf. Lapidar meinte er, dass mein Name von Sickingen geradezu prädestiniert wäre, um Werbung für seine Sportfilialen zu betreiben, naja“, sagte sie achselzuckend, „mein Traumbild von Hochzeit und dem ganzen Gedöns, war danach lautlos in sich zusammengebrochen.“
Charlotte legte tröstend die Hand auf ihren Arm. „Das tut mir sehr, sehr leid für dich!“ Nun, was sollte sie auch sonst sagen.
Beide erhoben gleichzeitig ihre Gläser, nahmen einen kräftigen Schluck und spülten Diethers Unverfrorenheit mit einem Ruck runter.
Erst nach einer ganzen Weile stieß Doro einen kleinen Seufzer des Bedauerns hervor und sagte: „Wo er doch ein so guter Liebhaber war!“
Charlotte musste bei dieser Aussage laut lachen und meinte augenzwinkernd: „Na, dann würde ich ihn ganz nach deinem Motto als Liebhaber behalten und sofort danach hinauskatapultieren“, daraufhin erhob sie ihr Glas und prostete ihrer Freundin aufmunternd zu.
Entrüstung stand in Doros Gesicht. „Was hast du heute eingenommen? Diese lockeren Sprüche kommen dir doch sonst nicht über die Lippen?“
Achselzuckend antwortete Charlotte: „Nun, ich habe Gustav die Kündigung ausgesprochen und jetzt“, seufzte sie erleichtert, „jetzt fühle ich mich zum ersten Mal befreit. Zum Wohlsein!“ Anschließend kippte sie das edle Getränk in ihre Kehle.
„Wie geht das denn?“, wunderte sich Doro, „er ist doch tot!“
„Stimmt! Aber ich hatte mich noch nicht von ihm verabschiedet, in meinen Gedanken hielt ich ihn noch immer fest - doch jetzt ist‘s vorbei. Er ist er endlich über die Brücke ins Jenseits gezogen!“
Kopfschüttelnd, mit ungläubigem Blick entgegnete Doro: „Was du wieder redest. Gib‘s zu … du hast etwas eingeworfen.“
„Nein“, lächelte Charlotte. „Die Erkenntnis ist mir gestern am späten Nachmittag auf dem Friedhof gekommen. Ausschlaggebend war eine alte Frau. Seit Gustavs Beerdigung beobachte ich sie und als ich ihr so nachsehe, wie sie, von der Last des Lebens niedergedrückt, zum Grab ihres Mannes geht, sehe ich mich, Jahre später, selbst in dieser Frau, und ganz plötzlich hat es bei mir klick gemacht!“
„Na, besser spät als nie!“; antwortete Doro wie aus der Pistole geschossen. „Sei froh, dass dieser Ehebrecher, dieser Dauerfremdgeher, der noch nicht einmal vor … ich meine, dass er endlich über die Brücke ist und dich dein Leben leben lässt“, korrigierte sie noch schnell ihre Wortwahl – beinahe hätte sie ihre beste Freundin auf eine Fährte mit fatalen Folgen gesetzt.
Nach einem kurzen Nachsinnieren über Doros Worte fragte Charlotte: „Wie? Was soll das heißen? Der noch nicht einmal vor … was willst du damit andeuten? Weißt du etwas was ich vielleicht wissen sollte?“
Verlegen wandte Doro ihren Blick hinaus zum Garten: „Du heiliges Kanonenrohr“, lenkte sie geschickt vom Thema ab, „was ist denn mit dem Buchsbaum passiert? Welcher Banause hat den so verstümmelt?“ Im nächsten Moment stand sie auf und ging über die Terrasse zu dem traurig aussehenden Gewächs hin.
Charlotte ließ vom Thema ab und folgte ihr. „Das? … Das war die Vertretung unseres alten Gärtners, er hatte wohl seine Schere nicht richtig im Griff. Tja, auch die arme Frida war ganz entsetzt über die stümperhafte Arbeit“, seufzte sie. „Ich muss ihn unbedingt anrufen, dass er den Buchsbaum wieder in seine ursprüngliche Form bringt.“
„Apropos, wie geht‘s Frida?“, fragte Doro mit besorgter Miene, „ich hab sie seit Gustavs Beerdigung nicht mehr gesehen.“
„Die arme Frida“, antwortete Charlotte kopfschüttelnd, „ihre Krankheit wird von Tag zu Tag schlimmer. Einfach unvorstellbar! Noch vor einigen Wochen war sie mit dem Auto unterwegs und eines Tages, ja, da fand sie den Weg nicht mehr zurück. Sie muss Stunden orientierungslos umhergefahren sein. Schließlich hat ein Passant sie weinend im Wagen vorgefunden, die Polizei alarmiert und die, die hatte Frida dann nach Hause gebracht. Nicht auszumalen, was alles hätte passieren können.“
„Meine Güte“, sagte Doro zutiefst gerührt, „das ist ganz schön brutal.“
„Und wie! Es ist, als ob eine Gehirnkammer nach der anderen sich schließt. Ihre geistige Klarheit, auch ihre Sprache haben … hm … wie soll ich’s formulieren?, sie haben Löcher bekommen – ja, so könnte man es ausdrücken.“ Nachdenklich und bitterlächelnd fügte sie an: „doch dann gibt es noch diese hilflose, ja, unschuldige Seite an ihr, eine Seite die man nicht übersehen kann. Verstehst du, was ich meine?“
Mit zusammengezogenen Augenbrauen nickte Doro: „Ja, ich denke schon.“
Eine Weile standen sie sprachlos einander gegenüber, um dieser scheußlichen Krankheit Gelegenheit zu geben, sich zu verflüchtigen.
„Naja“, seufzte Charlotte, „in bestimmten Situationen denke ich, dass es vielleicht besser wäre, wenn …“ nein, sie konnte das Wort Pflegeheim nicht aussprechen, es wollte einfach nicht über ihre Lippen.
„Du meinst, dass du Gustavs Wille doch nachkommen solltest?“, ergänzte Doro.
„Ja und nein“, druckste Charlotte, „doch so lange Lilo, die gute Seele, sich so rührend um sie kümmert, bleibt Frida hier, hier in ihrer vertrauten Umgebung. Und überhaupt, schließlich habe ich ihr viel zu verdanken. Ich würde es als Verrat an ihr ansehen. Sie war mir immer eine führsorgliche Schwiegermutter, mehr noch, sie war mir eine gute Freundin, die mir in all den Jahren, mit Rat und Tat zur Seite stand. Sie war mir eine große Stütze, gerade dann, wenn Gustav mal wieder einer seiner unsäglichen Affären hatte.“ Beschämt, auch unangenehm berührt von jenen Erinnerungen, senkte sie ihren Blick und ging zum Tisch zurück.
„Stütze!“, echauffierte sich Doro lautstark, „also ich hör‘ wohl nicht richtig“, sie folgte ihrer Freundin auf dem Fuße, wobei sie im Geiste wieder ihre beliebte Wutpeitsche fest umschlossen hielt. „Bei allem Verständnis, meine Liebe, aber du solltest die Kirche im Dorf