Die Brücken zur Freiheit - 1864. Christine M. Brella

Die Brücken zur Freiheit - 1864 - Christine M. Brella


Скачать книгу
statt für die anderen Staaten des Südens an der Front zu kämpfen.«

       Quietschend schob Bill seinen Stuhl zurück und stand auf. »Vielen Dank nochmals für Ihre Gastfreundschaft, Mrs. Albright! Die Karten könnt ihr behalten, Kinder.« Er zwinkerte uns mit einem traurigen Lächeln zu. »Gute Nacht, Ma’am.«

       Gelassen nahm er Hut, Mantel und Revolver vom Haken. An der Tür drehte er sich noch ein letztes Mal um. »Übrigens. Was ich noch hinzufügen sollte: Im Januar schließt sich Freddy Johnson jetzt doch der regulären Armee an. Er hat eingesehen, dass er Texas nur retten kann, wenn der Norden nicht gewinnt – und leider sieht es gerade nicht gut aus für unsere Seite. Wenn ihr also bis Januar durchhaltet, habt ihr vorerst nichts mehr zu befürchten.«

       Bevor wir ihn mit weiteren Fragen bombardieren konnten, verschwand Bill in die Nacht.

      15 Annie – 25. Dezember 1863

      W eihnachten, war Annies erster Gedanke nach dem Aufwachen. Sie weigerte sich, die Augen zu öffnen. Stattdessen lauschte sie in die Stille des Hauses. Von draußen vernahm sie leises Wiehern. Früher hätte sie das Pferd am Klang erkannt, doch sie war zu lange weg gewesen.

       Ob es schneite? Annie freute sich auf einen gemütlichen Tag, angefüllt mit Lesen, leckerem Essen und später einem einsamen Ausritt mit Midnight Maiden. Gut gelaunt schlug sie die Decke zurück und tapste barfuß über den abgelaufenen Teppich zum Schrank. Kurz zögerte sie, dann griff sie mit einem Grinsen nach ihrem Lieblingskleid. Das blaugrüne Karomuster war ausgewaschen und der Rock so weit, dass er sie in ihren Bewegungen nicht einschränkte. Sollte sich Theresa ruhig über ihre unangemessene Kleidung mokieren! Annie konnte ihr so oder so nichts recht machen.

       Das Esszimmer war festlich hergerichtet. Wie Theresa es eingeführt hatte, stand eine kleine Tanne auf einem Beistelltisch, geschmückt mit echten Wachskerzen und Zuckerstangen.

       »So kenne ich mein Mädchen. Kommt vor allen anderen zum Frühstück.«

       Annie drehte sich zu der gutmütigen Stimme um und strahlte die Haushälterin an. Mrs. Foster hatte sie im Grunde als eigenes Kind angenommen, nachdem Annies Mutter gestorben und ihr Vater daraufhin in monatelange Trauer versunken war, bis er schließlich ganz verschwand – mit dem Vorwand Zuchtstuten zu kaufen. Von dieser Reise hatte er Theresa mitgebracht. Gerade daran wollte Annie heute aber nicht denken.

       »Setz dich schon mal hin, Mädchen, ich hab gleich alles fertig!«, lächelte Mrs. Foster.

       Kurze Zeit später türmten sich vor Annie knuspriger Speck, Rührei, gebratene Würstchen, Bohnen, Plumpudding, frisch gebackenes Weißbrot, das noch warm war und einen verlockenden Duft verströmte, Butter, Blaubeermarmelade und Biskuits. Genüsslich nahm das Mädchen einen Schluck von ihrem schwarzen Tee mit einem guten Schuss Milch.

       »Bist du eine aufsässige Göre?«

       Annie verschluckte sich und musste husten. Ihr Halbbruder hatte seine pummeligen Arme in seine Seiten gestemmt und musterte sie interessiert.

       »Wer behauptet denn so was?«

       Scheibenhonig. Seit ihrer Ankunft hatte sie vermieden, allein mit dem Kleinen zu sein.

       »Mutter hat das gestern zu Vater gesagt. – Bist du es?«

       Annie tat so, als würde sie ernsthaft über seine Frage nachdenken. »Ich schätze schon.«

       Sie konnte sich das Grinsen nicht verkneifen. Der Fünfjährige schwieg beeindruckt.

       »Und bist du auch ein aufsässiges Gör?«, fragte sie zurück.

       Christopher zuckte mit den Schultern. »Ich schätze schon.« Schnell versteckte er sein Kichern hinter einer Hand, kam dann aber zutraulich näher. »Bist du meine Schwester?«

       Der hoffnungsvolle Ton seiner Stimme rührte sie.

       »Das bin ich.«

       »Ist mein Papa auch dein Papa?«

       »Genau.«

       »Ist meine Mutter auch deine Mutter?«

       »Nein, das ist sie nicht!«

       »Wo ist deine Mommy?«

       Wie sollte sie dem Knirps das beibringen?

       »Meine Mommy ist hinauf zu den Sternen geflogen. Von dort schaut sie mir hier unten zu. Ab und zu blinzelt sie mir zu, wenn ich in der Nacht lang genug hochgucke.«

       »Aber warum ist sie da hochgeflogen?«

       Annie musste schlucken. »Ich weiß es nicht«, brachte sie mit erstickter Stimme hervor. »Jetzt setz dich hin, bevor das Essen kalt wird.«

       Einträchtig saßen die beiden nebeneinander am Tisch. Annie schnitt gerade das Brot für ihren Bruder in Würfelchen, als ihr Vater mit einem ungewohnt fröhlichen Lachen hereinkam.

       »Da ist ja mein Schatz!«

       Ein Strahlen legte sich auf Annies Gesicht. So hatte er sie nicht mehr genannt, seit sie klein war! Christopher sprang auf und warf sich in die ausgebreiteten Arme seines Vaters. Langsam erlosch Annies Lächeln, während sie die beiden anstarrte.

       »Frohe Weihnachten, Vater!«, unterbrach sie den Moment, als sie es nicht mehr länger aushielt.

       »Frohe Weihnachten, Annika! Frohe Weihnachten, Großer!« Colonel Bailey strich seinem Sohn über das Haar. »So, Kinder, kommt mit nach draußen! Es ist Zeit für die Bescherung!«

       Selbst Annie vergaß ihren Verdruss und ließ sich durch die Tür schieben. Geschenke? Was konnte das sein?

       Ihr Vater lotste seine Kinder in Richtung der Ställe. Im Korral stand Midnight Maiden. Beim Näherkommen erkannte Annie die große, blau-weiß gestreifte Stoffschleife, die um den Hals des Pferdes gebunden war. Überantwortete der Vater ihr die wertvolle Stute? Nach all den Jahren?

       Annies Herz begann zu singen. Colonel Bailey drehte sich lächelnd zu ihnen um. Christophers kleine Hand glitt in ihre. Vor Aufregung hüpfte er auf und ab.

       »Midnight Maiden soll ab sofort dir gehören – mein Sohn.«

       Eine Faust traf Annie in den Magen.

       »Sie ist das beste Pferd, das ich kenne. Deine Schwester wird dir Reitunterricht geben.«

       Christopher drängte sich verunsichert an Annie. Sie drückte seine Hand und kämpfte tapfer gegen die Tränen, die wie ein Hochwasser in ihr aufstiegen.

       »Es ist ganz schön groß!«, flüsterte der Junge skeptisch.

       »Ach was, das wirkt nur von unten so. Außerdem ist sie schon alt. Nicht mehr so spritzig wie damals, als Annie auf ihr reiten gelernt hat.«

       »Welches Reittier soll ich nehmen, solange ich hier bin?« Annies Stimme kam brüchig aus ihrer ausgetrockneten Kehle. Sie biss sich auf die Unterlippe, damit ihr Vater nichts bemerkte.

       Der lachte ein weiteres Mal übermütig auf. »Lass uns drinnen mal nachschauen.«

       Zögerlich folgte Annie ihm in den dämmrigen Stall. Christopher ließen sie draußen am Gatter zurück, wo er ängstlich sein erstes eigenes Pferd anstarrte.

       »Du kannst dir jedes Ross aussuchen, das du haben willst.« Großzügig deutete der Colonel auf die Boxen.

       Obwohl im Laufe des Krieges viele Pferde an die Armee verkauft worden waren, blieb Annie eine große Auswahl. Der Knoten in ihrem Magen zog sich fester zusammen. Das eine Tier, das sie liebte, war vergeben.

       Ohne Elan folgte sie ihrem Vater die Stallgasse hinunter, während er nach links und rechts zeigte und begeistert die Vorzüge jedes einzelnen Pferdes hervorhob. Die Fuchsstute war besonders sanftmütig, der langbeinige Schimmel daneben feurig, ein grauer Hengst hatte Preise im Viertelmeilenrennen gewonnen, sein Nachbar hatte einen edlen Kopf samt edler Gestalt, der falbe Kaltblüter hatte keine Besonderheiten außer seinem sturen Charakter. Annie machte sich eine mentale Notiz. Andere zeichneten sich aus durch Schnelligkeit, ein gesundes Gebiss, eine unvergleichlich graue Farbe, einen sanften Gang, Explosivität und Intelligenz. In Annie wuchs der Drang zu schreien. Zum Glück erreichten


Скачать книгу