Frosch, König und Königin. Axel Adamitzki

Frosch, König und Königin - Axel Adamitzki


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drehte sich zu seiner Tochter hin, nahm ihre Wangen in beide Hände, und er sagte: »Mein Gott, mein Mädchen, lade ihn zum Essen ein und frag ihn, ob er bereit ist, dir private Stunden zu geben. Am Geld soll es nicht scheitern. Du bist hübsch und eine Essenseinladung wird er ganz sicher nicht ausschlagen.«

      Ja, natürlich, das könnte eine Lösung sein. Aber was, wenn er am Ende keine Zeit hatte?

      »Ich überleg es mir«, sagte sie. Ihre Worte waren noch nicht verklungen, da wusste sie, sie würde nicht überlegen dürfen. Ihr Vater hatte längst entschieden.

      Und richtig. Ernst, aus kalten Augen sah er sie an. »Wann ist das nächste Tutorial?«

      »Am Dienstag.«

      »Gut. Überleg dir bis Dienstag, wie du ihn dazu bringen kannst, dass er dir hilft. Wie gesagt, Geld spielt keine Rolle.«

      Ihr Vater hatte entschieden, wieder einmal. Ängstlich sah Camilla ihn an. Und wenn nicht? Wenn er nicht will?, konnte er deutlich in ihren Augen lesen.

      »Du schaffst das. Du bist doch mein Mädchen, oder?«

       Bin ich das? Noch immer? Und was ist, wenn ich nicht will?

      Woher diese Frage auch immer kam, sie beunruhigte Camilla. Und sie erschreckte, dass sie ihrem Vater nicht verborgen geblieben war.

      »Und da wir nicht ewig Zeit haben, erwarte ich am Ende des Semesters diesen Schein in darstellender Geometrie. Du bist gescheit genug, um das schaffen zu können.«

      Sätze wie ein Paukenschlag, Sätze wie ein Gesetz.

      Noch immer hielt er ihre Wangen in beiden Händen. Sie wärmten nicht. Camilla mochte ihn nicht ansehen. Auch drückte diese eine Träne nicht mehr. Andere Tränen drückten, ganz andere.

      Wie gern hätte Camilla sich jetzt verkrochen. In seinen Armen. Still und stumm und blicklos. Wie früher, wenn ihr ein Missgeschick passiert war und er sie getröstet hatte.

      Warum war heute alles so kompliziert?

      Kapitel 3

      Dominik drehte langsam den Kopf, und mit einem Auge blickte er zur Uhr. 09:47. Das war früh, für ihn, an einem Samstag. Aber er war ja auch schon kurz nach Mitternacht zu Hause gewesen.

      Holger war bereits gegen zehn Uhr gestern Abend mit einer Frau verschwunden, neuer Rekord für ihn. Aber die Frau war allein gekommen und wie es schien, hatte sie Holger gekannt. Als Rekord galt es eher nicht. Stefan und er hatten darüber gelacht. Albert hatte sogleich aus Frust den Tequila für sich entdeckt. Stefan lächelte kurze Zeit später einer aparten blonden Frau zu, ohne eine Erwiderung zu erwarten. Routinemäßig, ohne große Hoffnung. Mit einer Cola in der Hand stand sie neben ihm und wartete wohl darauf, von ihm gesehen zu werden. Bald schon unterhielten sie sich angeregt und vergaßen die Welt um sich. Das lärmende Spektakel der Band, das kaum mehr als Brüllen und Zeichensprache zuließ, störte sie nicht. Was auch immer er erzählte, es beeindruckte sie oder brachte sie gar zum Lachen. Und ihr Blick hielt ihn liebevoll fest. Kurz nach elf gingen sie. »Wir wollen was essen gehen«, hatte Stefan ihm aufgeregt ins Ohr gebrüllt. Seine Augen hatten geglänzt. Und ... ganz sicher waren sie essen gegangen. Sie schienen aufrichtig fasziniert voneinander zu sein. Hatte es gefunkt? Nächsten Freitag würde er es erfahren.

      Dominik stand auf. In Boxershorts und T-Shirt setzte er sich an seinen Computer. Er rief eine Seminararbeit auf, speicherte sie mit dem aktuellen Datum als Kopie ab und scrollte durch. Eine Abhandlung über Primzahlen. Dieses Wochenende würde er sich damit beschäftigen. Aus seiner braunen Ledertasche zog er ein Skript - ein Aufsatz eines japanischen Mathematikers zur ›goldbachschen Vermutung‹. Absolut aktuell. Er legte den Artikel auf die Tastatur und stand langsam auf. Diese Arbeiten würden das restliche Wochenende halbwegs erträglich machen. Er freute sich darauf.

      Dominik zog sich aus, ging nackt über den Flur in sein Bad und duschte.

      Seine Mutter rechnete um diese Zeit nicht mit ihm. Vielleicht las sie in ihrer Tageszeitung oder war einkaufen.

      Mit zwei Marmeladenbrötchen und einem Pott Kaffee setzte Dominik sich an seinen Computer. Zeit und Raum verloren sich bald schon hinter mathematischen Thesen, die er überprüfte und durchdachte.

      Er las, machte Notizen, stellte Beweise an, verzog nachdenklich den Mund oder blickte skeptisch. So vergingen die nächsten Stunden.

      *

      Das Klopfen an seiner Zimmertür am frühen Nachmittag bekam Dominik nicht mit. Wenn er für sein Mathematik-Studium arbeitete, was er samstags und sonntags stets ausgiebig tat, wagte seine Mutter nicht, ohne Anklopfen einzutreten. Eigentlich wagte sie nicht einmal, anzuklopfen. Umso verwunderter war er, ihren Schatten in der geöffneten Tür wahrzunehmen. Er erschreckte buchstäblich.

      »Entschuldige, mein Junge. Angela ist da. Sie würde gern mit dir sprechen. Erlaubst du kurz ...?«

       Angela?

      Angela war der Widerspruch in Person. Sie kannten sich aus dem Sandkasten. Damals hatte er gern mit ihr gespielt. Heute mochte er sie nicht mehr. Ihre Mutter war mit seiner Mutter bekannt, nicht befreundet. Angela war ein Jahr jünger als er und sie, Angela, war für seine Mutter in den letzten Jahren beinahe so etwas wie eine Freundin geworden. Das war verrückt. Angela schien seine Mutter zu verstehen, sie schien sie zu mögen. Dass Angela seiner Mutter hin und wieder nett ihre Grenzen aufzeigte, wussten lediglich die beiden Frauen. Mehr als einmal hatte sich seine Mutter bei ihr ausgeheult und ihm später bruchstückhaft davon erzählt. »Sie ist so verständnisvoll und voll von Liebe. Wer die mal bekommt ... Was für eine unvergleichliche Frau. Und sie kann so geduldig zuhören«, schwärmte seine Mutter beständig, bald jede Woche, von ihr.

      Angela war ihm über.

      Dominik blieb keine Zeit zum Nachdenken. Angela stand mit ziemlicher Sicherheit im Flur neben der Tür und hörte mit – so war seine Mutter. Gleichwohl mit ihr kurz zu sprechen, würde das Wochenende mit seiner Mutter unbestritten behaglicher machen. Also, was soll es.

      »Aber nur einen Moment.«

      Dominik zeigte auf den Monitor und die Unterlagen, die aufgeschlagen neben der Tastatur lagen.

      Monika Bendow nickte, und mit ernster Stimme sagte sie: »Ja, natürlich. Deine Arbeit geht vor. Sie möchte dich auch nur etwas fragen.«

      Dominik zuckte die Achseln, stand auf und ging langsam zur Tür. Im nächsten Moment hatte seine Mutter schon Platz für Angela gemacht.

      »Hallo, Dominik.«

      Da stand sie. Wie hinreißend sie aussah. In den letzten zwei, drei Jahren war sie zu einer ... Nein! Sie stand neben seiner Mutter. Und das in jeder Hinsicht.

      »Hallo, Angela. Was möchtest du mich -?«

      »Es geht ganz schnell«, fiel sie ihm ins Wort. »Ich hab jetzt eh nicht viel Zeit.«

      Dominik stand nun vor ihr, blickte ihr unaufgeregt in die grünbraunen Augen und wartete.

      »Du hast gesagt, du würdest mal kommen. Wenn ich spiele. Und jetzt habe ich meine erste Hauptrolle.«

      Dominik verstand nicht gleich. Erst als sein Blick auf zwei Eintrittskarten fiel, die sie ihm mit aufgeregter Hand hinhielt, erinnerte er sich. Angela studierte Schauspiel. Und wie es aussah, war das hier eine Einladung.

      »Hauptrolle?«

      »Ja. Es ist ein winziges Theater. Um die hundert Plätze. Nicht weit weg.«

      »Und was wird gegeben?«

      »Die Jungfrau von Orleans. Frei nach Schiller. Sehr frei nach Schiller. Und ich spiele die Jungfrau«, sagte Angela. Und sie errötete.

      »Wie frei? Ohne Kostüme?«

      Dominik wusste nicht, woher er die Frechheit zu diesen Worten nahm. Vielleicht galten seine flapsigen Fragen auch eher seiner Mutter, die mit gesenktem Kopf und


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