Frosch, König und Königin. Axel Adamitzki
Wenn sie es nur endlich begreifen würde: Hier war er, der Sohn, dort war sie, die Mutter. Hier und dort. Im Grunde herzlich einfach.
»Ich kann auch unterwegs eine Curry essen, wenn dir das lieber ist.«
»Mir wäre es lieber, du würdest nicht jede Freitagnacht betrunken nach Hause kommen.«
Das waren ihre Worte, Freitag für Freitag. Er gönnte sie ihr, obwohl er selten betrunken nach Hause kam.
»Und da sind ganz sicher auch Frauen.«
Dominik schwieg. Der Satz war neu. Noch angetan von seiner Selbstlosigkeit, ihr, dem Drehbuch folgend, in die Falle gegangen zu sein, bemerkte er das Unheil nicht, das, abweichend von allen einstudierten Sätzen, auf ihn zurollte.
»Wage es nicht, jemals ein solches Weibsbild hier betrunken anzuschleppen.«
Dominik verzog abschätzig den Mund. »Keine Sorge, da gibt es keine, die mich interessiert.«
»Aha! Und welche interessiert dich?«
Dominik sah sie erschrocken an. Was für ein Fehler. Er hatte vergessen, dass seine Mutter zuweilen auch wie eine normale Frau empfand.
Er stand hastig auf und verließ wortlos das Zimmer. Camilla gehört mir, allein mir.
»Da gibt es also eine Frau? ... Und du sagst deiner Mutter nichts davon?« Sie lief hinter ihm her, wagte nicht, ihn anzufassen oder gar aufzuhalten.
Dominik schwieg, presste die Lippen fest zusammen. In seinem Zimmer angekommen, griff er nach seinem Laptop und warf sich auf sein Bett.
»Du störst«, murmelte er, ohne sie anzusehen.
Sie schreckte zurück und blieb in der Zimmertür stehen. Sie wusste, was diese zwei Worte bedeuteten. Er hatte nach seiner heftigsten Abwehrmöglichkeit gegriffen.
Einmal hatte sie ihn so »erwischt«, auf dem Bett, halb nackt, schwer atmend, mit dem Laptop auf den Knien. »Du störst«, waren auch damals seine Worte gewesen. Nicht noch einmal wollte sie so etwas sehen. Verbieten konnte sie ihm diese »Schweinerei« nicht.
Ein letzter Blick, empört und abstoßend, und schon warf sie die Tür lautstark zu, ging in ihr Zimmer und ließ auch dort die Tür dröhnend ins Schloss fallen. Alsdann ertönte Beethovens Fünfte - unüberhörbar für ihn und alle anderen Mitbewohner des Hauses.
Dominik atmete tief durch und legte den Laptop neben sich auf den Boden. Nie würde er es vor ihr machen. Wie ekelhaft. Aber ihre Angst davor, ihn erneut »erwischen« zu können, und auch ihre Ohnmacht, nichts dagegen tun zu können, waren schon ein gewaltiges Faustpfand. Ultima Ratio.
*
Kurz nach acht Uhr betrat Dominik das Solo, die Musikkneipe. Eine Currywurst hatte er unterwegs nicht essen müssen. Sie hatte ihm zwei Scheiben Graubrot mit Schabefleisch und ein Glas Milch auf einem Tablett vor die Tür gestellt und deutlich vernehmbar angeklopft. Worte hatte sie keine verloren.
»Ich bin dann weg«, hatte er am Abend, beim Gehen, mit erhobenem Kopf in den Flur gerufen und sanft die Wohnungstür geschlossen.
Sie wird in sein Zimmer gehen, sich angewidert umsehen, das Tablett in die Küche tragen und später vielleicht sogar sein Bett frisch beziehen.
Sie tat ihm leid.
»Du siehst so merkwürdig aus? Was ist los? Bist du verliebt?« Albert Achern, der Schatten von Holger Griebert, dem Frauenschwarm hier in der Kneipe, war gerade gekommen und stand jetzt neben ihm.
»Unsinn.« Dominik mochte Albert nicht, auch mit Holger sprach er selten mehr, als nötig war. Jeden Freitag schleppte Holger garantiert einen One-Night-Stand ab. Das störte Dominik nicht, lediglich wie er es tat.
Ab und an fiel für Albert auch etwas ab, die verschmähte oder die stille unattraktive Freundin. Was für ein armseliges Krumensammeln.
Ganz anders Stefan Huske, der Vierte in ihrer ungleichen Runde. Der suchte hier Freitag für Freitag tatsächlich die Frau fürs Leben. Gefunden hatte er bislang allein barsch abweisendes Lächeln. Trotzdem war er nicht bereit, aufzugeben. Das imponierte Dominik.
Dominik sah sich gelangweilt um. Vielleicht acht, neun oder zehn Gäste verloren sich bislang in der großen dunklen Halle, standen an hohen Biertischen und unterhielten sich kaum hörbar. Die Band des Abends baute das Equipment auf. In einer Stunde würde es hier anders aussehen, unterhalten konnte man sich dann nicht mehr.
Dominik liebte es, unter Menschen zu sein, ohne mit ihnen sprechen zu müssen.
*
Die Musik war heute einfach nur laut. Dominik konnte das beurteilen. Bis zum Abitur hatte er in einer Band – mit Freunden - gespielt. Er hatte die E-Gitarre »gezupft«.
Nach dem vierten oder fünften Bier interessierte die Unzulänglichkeit der heutigen Band bald niemanden mehr. Man unterhielt sich, laut, taxierte sich, wog ab, stand nebeneinander, lachte und beroch sich, blieb oder schlenderte weiter. Der »Markt« war eröffnet.
So hatte Dominik vor zwei Jahren seine Jungfräulichkeit verloren. Anna. Sie hatte neben ihm gestanden, ihn angelächelt. Er hatte nicht zurückgelächelt, hatte das Signal nicht verstanden, war bald mal aufs Klo gegangen. Sie war ihm gefolgt. Was für ein Missverständnis. Ein schneller Fick in der Kabine, auf der Klobrille. Für beide zu schnell – er war fertig, sie noch lange nicht. Sie war entsetzt gewesen, hatte wutschnaubend und wortlos ihren Slip hochgezogen und ihn mit dem vollen Gummi über seinem schlaffen Schwanz zurückgelassen.
Ein Jahr später hatte Nina neben ihm gestanden. Eine Romantikerin. Es war eine laue Sommernacht gewesen. Im Schlosspark kannte sie ein kuscheliges Plätzchen. Wieder kam er zu früh. »Das macht nichts. Wir haben Zeit, oder?«, sagte sie und zog ihm einen neuen Gummi über. »Erdbeergeschmack«, sagte sie, »ich liebe Erdbeergeschmack.«
Er ließ sie machen, alles. Und sie sagte und zeigte ihm, was sie brauchte, wie sie ihn wollte. Die Romantik verflog. Am Ende kam auch sie auf ihre Kosten. Zufrieden, dennoch bedrückt erlebte sie den Tagesanbruch in seinen Armen.
»Schade, dass wir beide so hilfebedürftig sind«, hatte sie hoffnungsverloren gemurmelt. »Du bist ein Frosch und ich eine Itsche. Leider können wir uns gegenseitig nicht erlösen. Schade.«
Dominik hatte ihre Worte erst Tage später verstanden. Frosch und Itsche - Hilfsbedürftigkeiten suchen Erlösung. Und endlich hatte er gewusst, was er nötig hatte: seine Prinzessin.
Kapitel 2
Camilla erwachte. Eine Straßenbahn fuhr am Haus vorbei. Irgendwo hupte ein Auto, bellte ein Hund.
Sie öffnete die Augen. Die diffuse Finsternis im Zimmer war von einer tonlosen Stille. Sie drehte den Kopf. Neben ihr lag ein Kerl, besser gesagt, sie lag neben einem Kerl – in dessen Bett. Sein Atem ging verhalten und regelmäßig.
Camilla erhob sich, setzte die Füße neben das Bett auf den Boden und strich sich über die nackten schweren Brüste. Wo waren ihre Sachen? Und wo die Wohnungstür? Sie würde alles finden. Sie war geübt darin.
Erneut drehte sie den Kopf. Noch immer konnte sie ihn nicht erkennen. Wie sieht er aus? Wie heißt er? Sie erinnerte sich nicht. Es war auch bedeutungslos, die Antworten gehörten zum Gestern.
Er hatte sie zum Lachen gebracht, letzte Nacht, in einem Club in Mitte. Sie hatten geflirtet und gelacht. Seine zufällig absichtsvollen Berührungen waren angenehm gewesen, auch hatte er gut gerochen. Wie beinahe jeden zweiten oder dritten Freitagabend war das für sie ausreichend, um mit und bei einem Kerl den Abend zu beenden.
Der Sex war annehmbar, zwei bis drei. Daran erinnerte sie sich. Aber das ... es war bedeutungslos, es gehörte einfach dazu.
Er hatte sie zum Lachen gebracht, das war es, was sie gebraucht hatte. Alles andere war nur Spiel.
Sie musste nach Hause, am besten ohne