Frosch, König und Königin. Axel Adamitzki

Frosch, König und Königin - Axel Adamitzki


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      Ein letztes Mal ging sie in die Küche, trank ein Glas Kakao und wischte sich die Schnute ab. Immerfort hatte er von Schnute gesprochen, damals, als er hier noch lebte. Er wusste sicher noch heute, wie gern sie dieses Wort hörte.

      Sie freute sich auf ihn, und sie lachte. Ja, auch er brachte sie zum Lachen. Anders, als sie es an den Freitagen in den Clubs nötig hatte.

      Camilla schlüpfte in ihre schwere Lederjacke und verließ die Villa. Bevor sie in ihren schwarzen Mini stieg, zog sie die Jacke wieder aus. Erst gegen Mittag, wenn es hinausging in den Wald, zum Hochstand, würde sie die Jacke brauchen.

      *

      Camilla kannte die junge blonde Frau nicht, die nackt, lediglich mit schwarzen High Heels bekleidet, vor dem offenen Kühlschrank in der Küche ihres Vaters hockte.

      »Hallo«, sagte die Unbekannte, während sie sich erhob. Ihr Blick galt weder Camilla noch dem Joghurt, den sie in der Hand hielt. Sie schien in Gedanken. Aus einer Schublade nahm sie einen Teelöffel und verließ gazellenhaft stöckelnd die Küche. Die weißen Pobacken verschwanden als Letztes im dämmrigen Licht des Flurs.

      »Hallo«, erwiderte Camilla in aller Gelassenheit, legte die mitgebrachte Brötchentüte auf die Arbeitsplatte und sah sich um. Alles stand an seinem Platz, alles war aufgeräumt. Nichts anderes hatte sie erwartet.

      Als Erstes füllte sie Wasser in die Kaffeemaschine. Blonde Haare, dachte sie, dann werde ich ihr wohl in den nächsten Wochen ab und an begegnen. Hätte sie schwarze Haare gehabt, wie Camilla, am Ende ebenso kurz geschnitten, wäre sie mit Sicherheit lediglich ein One-Night-Stand gewesen.

      Camilla schaltete die Kaffeemaschine ein. Gleich würde er neben ihr stehen. Einen längeren Abschied wird es oben, in seinem Schlafzimmer, nicht geben. Aber einen Abschied gab es. Nie hatten sie je zu dritt gefrühstückt. Ihr Vater »liebte« seine Freundinnen und er liebte Camilla. Beides würde er nie vermengen, niemals verwechseln.

      Camilla bereitete den Frühstückstisch vor. Zwei Teller, Messer und Gabeln und auch zwei Servietten legte sie auf die Teller. Schließlich ging sie hinüber zum Kühlschrank und öffnet ihn.

      »Da bist du ja schon, mein Mädchen.«

      Was für Worte. Und schon? War sie zu früh? Hatte er an einen »ausführlichen« Abschied gedacht? Es war kurz nach zehn, ihre Zeit.

      Sie lachte ihren Vater an.

      Er hatte einen leeren Joghurtbecher in der Hand, den er beiläufig in den Abfall fallen ließ, einen benutzten Teelöffel sortierte er in die Spülmaschine ein. Im Hintergrund hörte man das Klappen der Haustür.

      »Lass dich in den Arm nehmen«, sagte er und stand schon vor ihr.

      Sie genoss es, in seinem Arm zu liegen. Er roch frisch geduscht. Anders würde er ihr am Samstagvormittag auch nicht begegnen. Einen »ausführlichen« Abschied hatte er wohl nicht vorgehabt. Vielleicht hatte Camilla ein Gespräch unterbrochen. Das würde er heute Abend fortsetzen oder nachholen.

      Jasper Dammers, ihr Vater, war von athletischer Gestalt, mehr als einen halben Kopf größer als Camilla. Der Dreitagebart und die tiefbraunen Augen, die sein Gegenüber durchdringen oder auch liebevoll streicheln konnten, wie jeweils erforderlich, unterstrichen sein Wesen deutlich. Er war ein Frauentyp.

      Camilla war gern seine Tochter.

      Dass er in diesem Jahr fünfzig werden würde, störte weder ihn noch die vielen Geliebten, die für kurze Zeit halb so alt sein würden wie er. Camilla war zweiundzwanzig. In vier, fünf Jahren würden seine Geliebten jünger sein als sie. Was für eine absurde Gewissheit. Darüber mochte sie jetzt nicht weiter nachdenken.

      Langsam kroch Camilla aus seinen Armen und wendete sich erneut dem Kühlschrank zu, ihre Lieblingsmarmelade, Brombeer-Kirsch, fehlte auf dem Tisch.

      Jasper setzte sich und beobachtete sein kleines Mädchen aufmerksam. »Wie war deine Woche? Hast du brav studiert?«

      Camilla hasste diese Frage. Sie war gern sein Mädchen, aber ... konnten sie nicht erst einmal frühstücken? Musste er sie gleich mit dem Unangenehmsten der letzten Tage und Wochen überfallen? Normalerweise tat er das nicht.

      Und nein, sie studierte nicht brav. Architektur »machte« sie für ihn. Er wollte sie neben sich, bei sich haben. In seinem Büro. Als seine rechte Hand. »Aber nur mit abgeschlossenem Studium«, betonte er immer wieder.

      Gern würde sie mit ihm arbeiten. »Du kannst mir doch alles beibringen«, hatte sie vor zwei Jahren versucht, ihm einen anderen Weg aufzuzeigen. »Wir könnten morgen schon gemeinsam arbeiten.«

      »Nein, das geht nicht. Man würde dich nicht ernst nehmen. Und nie könntest du meinen Laden übernehmen.«

      Als sie versucht hatte, dem etwas hinzuzufügen, hatte er bereits unmissverständlich und Einhalt gebietend die Hand gehoben. Und sie war stumm geblieben.

      Sein Wort war Gesetz. Daran hatte sich bis heute nichts geändert.

      Von Woche zu Woche hatte sie weniger Spaß an diesem Studium. Und langsam trieb sie sich zusätzlich in eine entsetzliche Falle, denn seit beinahe zwei Wochen hatte sie keine Vorlesung mehr besucht. Was sollte sie auch da? Den Matheschein, egal wann sie sich der Klausur stellen würde, würde sie sowieso nie erhalten.

      Nein, sie war nicht brav. Aber das durfte er nicht erfahren, nicht jetzt, nicht heute ... am liebsten nie.

      »Alles bestens«, sagte sie, nahm das Glas Marmelade aus dem Kühlschrank, sah ihren Vater kurz an, spürte, dass er etwas erwidern wollte, und ergänzte: »Frühstücken wir wieder allein?«

      Diese Frage mochte er nicht, nicht von ihr. Er wendete sich ab und blickte erbost in den Garten. Und schon tat es Camilla leid.

      »Was hältst du davon: Ich mach uns Rühreier, Papa«, schob sie nach - im kindlichen Ton, den ausschließlich er kannte. »Ich hab gesehen, du hast Eier und Bacon da. Möchtest du drei Scheiben?«

      Ihre Stimme, lieblich naiv, schien ihn zu beruhigen, und er lächelte sie an. Wie sie dieses Lächeln brauchte. Und augenblicklich lächelte auch sie.

      Das Frühstück verlief ruhig wie jeden Samstag. Sie unterhielten sich dabei über Belanglosigkeiten, nie sprachen sie über Wichtiges. Das kam später. Auf dem Hochstand.

      Jasper Dammers hatte eine Jagd bei Berlin. Nach dem Frühstück fuhren sie gemeinsam dorthin, Samstag für Samstag. »Nach dem Rechten sehen«, wie er immer sagte. Wozu auch Gespräche über ihre Gedanken, Absichten und Lebenspläne gehörten.

      Bevor sie losfuhren, füllte Jasper eine Thermosflasche mit Kaffee, holte ein paar Landjäger aus dem Kühlschrank, packte alles in einen vorbereiteten Rucksack und räumte den Frühstückstisch ab. Er hasste es, unaufgeräumte Räume zu betreten, also verließ er sie selbst stets aufgeräumt. Eine Macke von ihm, sie wollte so gar nicht zu den vielen anderen Facetten seines Lebens passen.

      Camilla verschwand wie jeden Samstag für ein paar Augenblicke in einer kleinen Wohnung, die gleichfalls zu seiner Villa gehörte, und zog sich um.

      Jasper hatte die Villa hier in Zehlendorf selbst entworfen und dabei auch an eine Wohnung für sein Mädchen gedacht. Zwei Zimmer mit Küche, Diele und Bad. Die Wohnung hatte zwei Eingänge. Einen von außen und einen vom Windfang der Villa. Für beide Türen hatte allein Camilla die Schlüssel, ihr Vater hatte darauf bestanden. Zum achtzehnten Geburtstag hatte er ihr die Schlüssel symbolisch überreicht. »Das ist ab jetzt dein Reich. Und es ist auch deine Verantwortung«, hatte er gesagt. Und diese Verantwortung war auch Teil des Samstagsrituals geworden. Aber im Grunde gab es dort nichts zu verantworten. Nicht einmal Blumen waren zu gießen. So staubte sie ab und an lediglich die Möbel ab. Bett, Schrank, Tisch, Couch und Sessel. Alles neu, alles nie benutzt. Die Symbolik war nicht zu übersehen.

      Während er aufräumte, machte Camilla sich für den Wald fertig. Kurzer Rock und Kniestrümpfe waren da unpassend. Und am Nachmittag, wenn sie wieder zurück waren, würde sie sich dort auch wieder umziehen. Mehr gab diese kleine Wohnung nicht her.


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