Game over. Elmer Eleonor Krogomo

Game over - Elmer Eleonor Krogomo


Скачать книгу
wir wissen noch nicht einmal, welche der vielen Möglichkeiten der Selbstvernichtung mit einiger Wahrscheinlichkeit eintreten wird. Die Menschheit arbeitet an allen Fronten daran, sich selbst oder und diesen Planeten ein für alle Mal auszulöschen, vielgestaltig sind die Vorgänge, die alle gleichzeitig aus dem Ruder laufen. Unternehmen wir nichts, bricht morgen womöglich schon der letzte Tag an. Insofern ist mir jede Aktion recht, wenn sie nur geeignet erscheint, diesen letzten Tag zumindest aufzuschieben.«

      Der Mann auf dem Schreibtisch lächelte nun, ein Vorgang, der seinen zahllosen Altersfalten noch einige mehr hinzufügte.

      »Sie sind dafür bekannt, Ihren Leuten den Rücken frei zu halten und auch für Ihre politischen Ansichten. Andererseits weiß niemand mit Sicherheit vorherzusagen, was am nächsten Tag passieren wird, auch kann niemand sicher vorhersagen, welche Aktion oder Entscheidung sich am Ende des Tages positiv auswirkt, ob sie sich überhaupt irgendwie positiv auswirkt. Wie auch immer, ich möchte Sie nur noch einmal darauf hinweisen, dass meine mathematischen Berechnungen sehr beunruhigende Ergebnisse erbrachten. Es ist durchaus möglich, mit einer vermeintlich gutwilligen Intervention dem Bösen zum Durchbruch zu verhelfen.«

      Der Chef lehnte sich zurück und blickte leicht pikiert in das uralte Gesicht.

      »Sie meinen also, wir sollten uns zum Christentum bekennen und alles voller Liebe hinnehmen?«

      »Seien Sie nicht sarkastisch. Würde ich die Alternative kennen, verbrächte ich die Zeit nicht mit Geplauder. Ich möchte nur eines: Denken Sie an meine Worte und seien Sie wachsam. Ganz sicher kommt demnächst der einmalige Zeitpunkt auf uns zu, an dem sich das Schicksal der Welt entscheiden wird. Dann müssen Sie Ihre Wahl treffen. Handeln oder nicht handeln, davon wird es abhängen. Und natürlich von der intellektuellen Klasse Ihrer beiden Streithanseln. Und nun wünsche ich eine gute Nacht.«

      Der Mann verschwand so geräuschlos, wie er gekommen war. Der Chef stand auf, ging zum Fenster und schaute lange regungslos hinaus. Er mochte es ganz und gar nicht, im Unklaren gelassen zu werden, und doch: Der Weise hatte recht. Da draußen braute sich etwas zusammen, was sich mit Gewalt allein nicht würde beherrschen lassen. Dabei vermochte er wirklich nicht zu sagen, ob Uslar und Johimbe tatsächlich fähig genug waren, dieser Herausforderung zu begegnen. Nur leider verfügte er über keine besser geeigneten Mitarbeiter.

       *

      Auf verschlungenen Umwegen gelangten die T73-Bevollmächtigten zu der Wohnanlage, die für die nächsten Tage ihr Stützpunkt sein sollte. Es gab nur noch wenige Gegenden, die sich ganztägig Strom, Müllabfuhr und Sicherheit gleichzeitig leisten konnten. Auf Teile von Bad Godesberg traf dies zu. Auf einem Hügel gegenüber des Drachenfels hatten sich vermögende Rentner und junge Emporkömmlinge in Eigenheimen zusammengefunden, ein kleines Kraftwerk gebaut, das gesamte Areal eingezäunt, den Zaun vermint, beleuchtet und mit Sensoren gespickt, und nun ließen sie sich von schwer bewaffneten Wachposten schützen.

      Der Chef hatte in einem der wenigen verfügbaren Mietshäuser eine kleine Wohnung für sie angemietet. Uslar fand die Wohnung deshalb praktisch, weil sie im obersten Stockwerk lag und eine gute Fernsicht bot. Johimbe war dagegen daran gelegen, ein Zimmer für sich allein beanspruchen zu können. Kaum eingetroffen machten sie sich an die Arbeit. Die Schränke warteten mit reichhaltigen Vorräten auf, der PC stand genau richtig vor dem Panoramafenster und die Haustür überzeugte durch schwere Panzerung.

      Sie gingen in der gewohnten Arbeitsteilung vor. Uslar klemmte seinen Bauch hinter die Tastatur des Rechners und begann mit der Recherche. Zwischendurch betrachtete er immer wieder einige Minuten lang reglos die Erhebungen des Siebengebirges, um sich dann wieder mit rasender Eile an dem Rechner zu schaffen zu machen. Er jonglierte mit drei verschiedenen Browsern, von denen jeder mehrere Fenster gleichzeitig lud und bediente nebenher noch weitere Programme, mit denen er sich neugierige Hacker vom Leib hielt. Auf seinem Spezialgebiet galt er als einer der Besten weltweit, er vermochte sich in die Datennetze regelrecht hineinzudenken. Er tauchte ab und nahm seine Umgebung nicht mehr wahr.

      Johimbe achtete nicht auf ihn, sondern hängte sich ans Telefon und plauschte in der Folge ausdauernd mit verschiedenen Kontaktpersonen. So verging die Zeit, jeder vertiefte sich in seine Art der Recherche, bis es dunkel wurde. Wie auf ein geheimes Kommando hin unterbrachen beide zur gleichen Zeit ihre Arbeit und bestellten sich beim für diese Siedlung lizenzierten Pizzadienst etwas Essbares. Beim Essen besprachen sie sich, wenn auch auf ihre Weise. Mit vollem Mund fragte Uslar: »Na, hat einer deiner hirntoten Lover wider Erwarten etwas Brauchbares zu berichten gewusst?«

      Sie fauchte zurück, beinahe sprangen ihr einige Nudeln aus dem Mund: »Gerade ein Soziopath wie du muss von hirntot sprechen. Meine Erkundigungen bringen immer neue und wichtige Informationen. Das solltest du eigentlich wissen, wenn es mit dem Kurzzeitgedächtnis einigermaßen klappen würde. F03, würde ich vermuten.«

      Uslar gluckste und wischte sich den Mund mit dem freien Handrücken sauber. Er kannte den medizinischen Code für Demenz; er fand es possierlich, nicht mit dem Code für Alzheimer, sondern nur mit der allgemeinen Diagnose der Altersverwirrtheit tituliert zu werden.

      »Oh, sicher weiß ich das. Schwanzparaden bringen zumindest statistisch immer etwas. Mal abgesehen von der Frage, warum eigentlich gut gebaute Jünglinge so scharf darauf sind, von dir fertiggemacht zu werden. Das kann niemand beantworten. Die Erfüllung kann es ja wohl nicht sein.«

      Sein vermeintlicher Wortwitz brachte ihn zum Lachen, krampfhaft hielt er den Mund zu, bis er den Bissen herunterschlucken konnte. Johimbe betrachtete Uslar mit distanzierter Abscheu. So, wie er da gebeugt saß und unter Zuckungen seines schmalen Oberkörpers vor sich hin gluckste, wirkte er wie einer dieser Gnome aus den Zeichentrickfilmen ihrer Kindheit. Wieder einmal fragte sich, wieso dieser offensichtlich für verantwortliche Aufgaben völlig ungeeignete Kerl eigentlich für die Guten arbeitete. Dessen ungeachtet würde sie ihm keinen Zentimeter Freiraum lassen.

      »Uslar, du bist eine verdammte Pestbeule! Wenn du Sex blöd findest, warum wirst du dann nicht Priester? Mit deinem Astralkörper kannst du ganz locker einen achtzigjährigen Papst spielen. Da hast du dann wirklich die Macht, Frauen fertigzumachen, wenn auch nur die. Bei allen anderen Gruppierungen hat der Unfehlbare ja ziemlich den Schwanz eingezogen, wenn ich das mal so sagen darf. Ich jedenfalls mache lieber Männer fertig, den Papst und Konsorten eingeschlossen, und wenn du dich nicht zusammenreißt, bist du unversehens der Nächste.«

      Uslar sah keinen Grund, mit dem unterdrückten Lachen aufzuhören. Er kratzte sich am Kopf, was einen milden Schauer Schuppen herausregnen ließ und meinte mit ätzender Ironie: »Ich werde ganz sicher kein Priester. Ich stehe nicht auf Messdiener, versiffte Kollegen, superschüchterne Wohlstandskinder und Jugendfahrten. Und ganz sicher will ich mein Leben nicht mit einer Haushälterin verbringen, die aus Sicherheitsgründen zwanzig Jahre älter ist als ich, aber genau so spitz.«

      Sie beugte sich mit falschem Lächeln über ihre Mahlzeit hinweg zu ihm hinüber, bis sein Schweißgeruch sie innehalten ließ.

      »Darf ich das als Geständnis werten?«

      Der kleine, bucklige Mann zerrupfte ungerührt einige Brocken, schob sie sich in den Mund und nuschelte kauend, ohne sie direkt anzusehen: »Nein, als Metapher. Um auf die ursprüngliche Fragestellung zurückzukommen: Was bringen dir die Lover an Informationen?«

      Sie lächelte maliziös zurück. Er hatte seinen Angriff eingestellt, das stimmte sie gnädig.

      »Teile eines Puzzles, wie immer. Ich habe mich an Leute herangefragt, die diesen Sohns und seine Eigenheiten kennen.«

      Mäßig interessiert schob sich Uslar einen weiteren Bissen in den Mund und schaute sie nun auffordernd an. Also sprach sie weiter.

      »Harry S. Sohns ist ein Waisenkind. Eltern unbekannt. Woher er sein Startkapital hat, bleibt ebenfalls im Dunkeln. Er hat auch nie geheiratet. Er geht nicht aus, verbringt seine ganze Zeit im bewachten Bereich seiner Zentrale, bewegt sich in seinem Büro, seinen Labors oder in seiner Wohnung, die sich allesamt auf dem gleichen Gelände befinden. Er hasst öffentliche Auftritte, für solche Dinge beschäftigt er extra einen Vorstand für Kommunikation. Daher kennen ihn nicht allzu viele Leute aus erster Hand. Fotos sind nur ganz wenige im


Скачать книгу