Halbzeitland. Gordon Müllenbach
Reifen von den Hügeln rollen, und leere, entflammte Züge auf den Gleisen ins Tal fahren, die Wiesel und Ratten im Flackerlicht aufeinander stürzen und in Flora und Fauna, unter Stern und Himmel zum Feuer im Haus futurloser Pogrome werden.
Öjwind wird sich in der Dämmerung der verwunschenen Zwecklosigkeit bewusst gegen deren Archaisierungen er argumentiert, aber kein Nachbar, der klingelt, keine Vogelkonzerte auf der Fensterbank, und in der Küche springt der Kühlschrank an,
Was lausche ich auch dem widerlichen Gebrüll an einer Lichtgestalt und von dem Rest einer Menschheit, der eh nur Sieger werden will unter dem Fremdgeist des gerade Unterworfenen? - und was erhaben wird wahr werden?! - oder wenn ich zu Gast komme und berichte, was widerfahren ist? - wird der doch wortwörtlich und ohne hochzugucken sagen, dass das einfach nicht stimmt! - die Regale im Wohnzimmer werden mit Büchern gespickt sein, die wie zufällig meinen Vornamen tragen, und der Rest der Sippe wird bei laufendem Motor im Wagen versteckt sein, weil man gerade jetzt schnell noch was vorhat, ich werde mich doch nicht zu Überforderung derer exhibitionieren, mich mit in die Karre kuscheln und die beiden dazu unverklingend stimmverloren wie Sterbende durch die Täler tragen.
Öjwind schläft ein und träumt, er befinde sich auf einer Regalzeile in einer Abteilung Statuetten, zusammen mit Zerberus, einer ägyptischen Nofretete, Cicero und einer mariaänischen Kore, zwischen Prothemen, die gemeinsam aus ihrem Miniatur-Pantheon blicken, dessen Umgebung von vielen Ausziehenden durchquert wird.
Im Nachbarhaus gegenüber meint Öjwind, einen afrikanischen Nachbarn mit einem Koffer aus der Tür treten zu sehen; Öjwind, nun aus dem Pantheon levitierend, entschwebt dem Haus einer wundersamen Eremitin und wandelt mit den Ausgezogenen durch eine belebte Kirmes, nah über derer Köpfe; gleich einem mit Helium gefüllten Ballon, baumelt Öjwind in der Luft und glaubt im Traum zu spüren, dass ein feiner Faden um sein Fußgelenk gebunden ist. Und so in der Höhe entdeckt Öjwind in der Ferne eine Verflossene, die mit einer geöffneten Champusflasche in der Hand auf einer Limousine hockt und auf das Autodach pinkelt.
In dem verbliebenen Raum, ein mit orientalischen Teppichen gekleideter Diwan, auf dem dunkelbunte Kissen liegen, Öjwind blickt von einer Lektüre auf, die er im Redaktionsregal entdeckt hat, und vor dem Nachbarhaus steht ein Koffer neben der offenen Haustür.
Öjwind, wieder im Halbschlaf angekommen, ahnt,
Auch ein noch so letzter Wunsch, der richtig an Ort und Stelle, an der Traufe mit vielen ähnlich, daliegt und das gut ist, wie integriert, und genauso authentisch und einzig: Schuppe von Schuppen, dem gefiederten Teil der Straße näher, - ja!, kein letzter Wunsch erfüllt eine nächste Zeit, von der wir den ganzen Tag über reden, wenn wir das Leben meinen, in dem dann der Frühling aus den von verschneiten Morgenden und bedeckten Tagen geprägten `Wird Alles!´ hervorbricht; alles wirken lassen?, oder gar, was sich bis zur Verwirkung verwirklichen will, und an Wirklichkeit erfährt die Wirkung sich selber? - was weiß ich, was das bedeutet?
Öjwind, erneut tief einschlafend, träumt nun von einer kleinen Prozession Zollbeamter, die ein Fleetfloß betreten, welches an der Kaimauer vor der Rückseite eines rot beklinkerten Industriegebäudes angebunden treibt.
Am Betonufer bleibt ein Öjwind vertraut erscheinender Hund, der freudig, mit heraushängender Zunge hechelnd, auf dem Anleger hin- und her trabt, zurück, während die Zollbeamten das Floß los tauen und langsam, auf Geisterinstrumenten Bewegungen musizierend, das Fleet hinaufdriften, und Öjwind zusammen mit dem Hund eine marseilleanische Hafenkneipe betritt. Irgendwie scheint in der Spelunke, eine Art Geburtstagsfeier in Gang zu sein, jedenfalls sind überall an den Stühlen und Regalen Luftballons angeknotet, und vor einer hinteren Fensterreihe zu einem waldigen Garten, in dem ein heftiger Wind die Bäume hin- und her weht, steht, sehr deutlich in ein Gespräch vertieft, eine Frau zwischen Rockern und Hippies,
„Offenbar ein Luftziegel! - Einer von der netten Sorte, mit verschlafenem Sonnenplatz am Fenster! Wir behaupten doch in uns einen Weltinnenraum, ein Zeitfenster im Winter, eine Intimsphäre, in der wir uns die Worte nicht mehr zurechtlegen wollen?“
„Ne macheons les mots, c`est ça, dyggy. Ça pousse!“
Als Öjwind aufwacht, erinnert er sich, wieder einmal, genau an früher, wie die Party damals zu Ende gegangen ist, der Nachbar die Polizei rief, und wie die Homepage mit diesem,
Hirnrissigen Scheißdreck!
ihnen Jahre einbrachte.
Sein Kollege, Melisman, wollte damals sofort in den Iran, „Das wird die Siegermacht für mich, Dicker, da geht´s aufwärts!“, brachte Melisman auf, und dass sie hier nicht als ausländerfeindlich galten, wenn sie dahin wollen. Er bastelte an irgendeinem Straßenfundstück Elektronikmüll herum, das sich ihm nicht fügen wollte „Pass auf, Dicker, gleich nach dem IXI sind diese Übermuslime doch alle wieder zurück in ihre Heimat, weil die Show endlich gelaufen war, bei der sie gerne in der ersten Reihe gesessen hätten.“, und Melisman meinte, dass die hier alles liegen gelassen haben, ihre angeheirateten Frauen, Arbeitsplätze, Kinder, „Einfach alles, und dann, weitermigriert.“ Öjwind vermutete damals nur, dass die den Holocaust halt gar nicht checkten. Melisman ging zu dem kleinen, roten Campingwagen-Kühlschrank und frotzelte, dass denen das doch scheißegal gewesen sei, ob hier in Europa oder im Ami-Land die Architektur brannte, und Öjwind unkte zurück, dass er doch auch noch nicht nach Frankfurt-Umland zöge, um einen guten Empfang auf die Skyline zu haben; aber das war Melisman nicht genug, „Ich sag´ dir ´was, das ganze Europa war denen schon geschlagen genug, deshalb sind die über den Ozean.“
Der hat einfach keinen Spaß mehr verstanden damit, dass die das einfach nicht aushielten, was hier schon alles abgegangen ist,
erinnert Öjwind,
Aber Dicker - ma´ ehrlich!
entfährt es ihm,
Die hat ihn aber auch in seiner Misere zurückgelassen wie ein zerbrochenes Pferd in der Morgenröte.
„Doch, Dicker, dieser Architekt, den ich mein`, ist ein jüdischer Geldsack, der will hier seinen hirnrissigen Scheiß hinbauen!“, und bei seinem Auftritt wollte Melisman ihn abziehen, „Wir ziehen den ab, und denen fliegt der ganze Scheiß-Saal um die Ohren!“ Melismans Lieblingsargument hieß dann meistens, „Das geht nicht an!“, und er meinte damit, „Dass diese arabischen Arschlöcher mit uns Gehirnstrom-Gewinnung betreiben wollen, und der dabei irgendwelche lebenden Brücken über die Elbe ziehen will.“, und folglich kam Melisman jedes Mal zu dem Schluss, „Also sprengen wir diese Herren-Jiddmann-Versammlung einfach in die Luft, die hier die Ghettos auf die Schollen zeichnen, oder fällt dir was Besseres ein,“ fragte Melisman, „was wir mit dem Material machen können?“, und Öjwind erwähnte den Ziesen-Automat draußen auf der Straße, und dass der nicht einmal auf Karte umgemünzt sei, was er damals irgendwie für einen unfehlbaren Plan hielt.
„Nur so ein bisschen!“, sein Kollege zog den erhobenen, kleinen Finger der einen Hand empor und deutete auf die Fingernagelgröße, „Nur so ein kleines Ding, und der Apparat ist weg, und die Rock´n´Roll-Arschlöcher halten ein Leben lang die Fresse!“
Wir haben also als nächstes dieses Ding weggesprengt.
weiß Öjwind noch, und der Zieselotten-Kasten segelt wieder durch die Luft, um dann, an ihm vorbeikrachend, etliche Meter weiter in einem ihm unbekannten Gebiet seiner Imagination aufzuschlagen und für immer zu verschwinden.
Er befand damals, dass das Zeug ganz gut taugte und richtig rums machte, aber ihm fiel auf, dass in dem Silo drüben manchmal noch jemand wohnte. „Das hat niemand gehört, Dicker, is` ´n Industriegebiet, hier hängt nachts keiner rum! Jetzt sind alle Babbos, Dicker, und keine Chavos mehr!“, triumphierte Melisman.
Sie gingen danach zurück in die Butze, legten Musik auf und machten ein paar Bierdosen auf, um vor laufender Chat-Kamera anzustoßen. Melisman posierte mit Führergruß und skandierte `Kraft durch Freude´ dazu, während Öjwind sich eine orientalische Glitzermütze