Unfassbar traurig. Ute Dombrowski

Unfassbar traurig - Ute Dombrowski


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großen, schlanken Schönheit wie eine graue Maus vorkam.

      „Ich gehe auch im Jogginganzug mit dir. Wo wollen wir denn essen?“

      „Lass uns in deine Richtung fahren, ich habe Lust auf ein Glas Wein und eine riesige Portion Spundekäs.“

      Bianca spürte einen kalten Schauer, der ihr über den Rücken lief. Seit drei Jahren war sie nicht mehr im Rheingau eingekehrt und sie überlegte in diesem Augenblick schon, wie sie Riva davon überzeugen konnte, in Wiesbaden zu bleiben.

      Die las die Gedanken ihrer Kollegin und sagte streng: „Wir fahren in den Rheingau oder ich gehe heim.“

      Bianca knabberte an ihrer Unterlippe, aber sie nickte. Es fiel ihr schwer, die Vergangenheit auszublenden. Schweigend gingen sie zu den Autos und Riva fuhr voraus. Bianca hängte sich dran und bald sah sie, dass Riva zum Kloster Eberbach unterwegs war.

      Die beiden Frauen stiegen aus und liefen durch den schönen Garten. Blumen blühten, der Rasen war trotz der Hitze grün und die riesigen Bäume warfen lange Schatten. Das alte Kloster lag still in der Abendsonne. Es waren nur noch wenige Menschen unterwegs und Bianca atmete tief durch. Auf der anderen Seite angekommen stiegen sie die Stufen zur Klosterschänke hoch und fanden einen Platz an einem der Tische auf der Terrasse.

      Die Bedienung trug eine Tracht und fragte höflich nach ihren Wünschen. Bianca schloss sich Rivas Bestellung an und so warteten sie auf die doppelte Portion Spundekäs mit dem frischen Brot, das hier im Kloster gebacken wurde.

      „Warst du mal zum Konzert hier?“, fragte Riva.

      „Nein, wir wollten das immer mal machen, aber irgendwie hatten wir nie Zeit. Du?“

      „Ja, ich war zum Mozart-Requiem und es war der Hammer. Ich saß zwar weit hinten, aber direkt am Gang, da war die Akustik der Wahnsinn. Irgendwie hatten diese Musiker etwas Mystisches. Die haben ja nicht nur das Requiem gesungen, aber das war der Höhepunkt. Ich fand es nur bescheuert, dass manche Leute nicht mal abwarten konnten, bis wir zu Ende geklatscht haben und einfach schon rausgegangen sind.“

      „Was? Das darf nicht wahr sein. Sie sind einfach aufgestanden und rausgegangen?“

      „Ja, aber die Strafe haben sie direkt bekommen. Ich habe geklatscht wie verrückt und stand an meinem Platz und plötzlich wurde es ganz ruhig und sie haben eine Zugabe gebracht. Also hat sich mein gutes Benehmen ausgezahlt. Ich denke aber nicht, dass wir den Abend lang über mich reden wollen, oder?“

      Das Essen kam, dazu schenkte ihnen die Bedienung Wein aus dem Kloster ein und ging mit einem Lächeln fort. Bianca nippte am Wein und nickte.

      „Jede Ablenkung ist willkommen. Glaub mir, ich dachte wirklich, ich packe meine Sachen und ziehe an die Ostsee. Ich war mir so sicher, dass es eine richtige Entscheidung war und dann habe ich es nicht mal für einen Kurzurlaub dort ausgehalten.“

      „Ich bin darüber nicht sehr unzufrieden. Mensch, du kannst doch nicht einfach abhauen. Und ich denke, dem Kummer kannst du selbst an der Ostsee nicht entkommen.“

      „Das ist mir dann auch klar geworden. Ich möchte ja gerne wieder richtig leben, aber es ist, als wäre es gestern gewesen. Weißt du, dass ich seit drei Jahren nicht mehr am Rheinufer in Eltville war?“

      Riva sah Bianca erschrocken und ungläubig an.

      „Wie kann das denn sein? Du wohnst doch nur ein paar Schritte entfernt und du lebst da. Einkaufen musst du doch auch. Wo machst du das denn?“

      „Ich kaufe in Wiesbaden ein, fahre heim in meine Wohnung und schließe hinter mir die Tür. Am nächsten Morgen fahre ich wieder in die Stadt.“

      „Und am Wochenende?“

      „Schließe ich mich ein und lese.“

      „Du hast recht!“, rief Riva. „So kann das nicht weitergehen. Aber eines sage ich dir noch: Du musst es schaffen alleine rauszugehen. Es nützt nichts, wenn du immer mit mir kommst und ich dich zwingen muss.“

      „Ich weiß das, aber es ist verdammt schwer. Es hat mir unterwegs hierher schon fast die Kehle zugeschnürt.“

      „Ach Bianca, es tut mir so leid, dass es dir schlecht geht. Könnte ich doch nur etwas für dich tun!“

      „Es ist schon sehr gut, dass du mir zuhörst, ohne mich therapieren zu wollen. Und Mitleid will ich auch nicht. Danke, dass du für mich da bist.“

      „Das ist in Ordnung. Ich mag dich wirklich gerne. Mach dir doch einen Plan. Zum Beispiel: Montag – zum Anleger gehen. Dienstag – zum Bäcker in der Einkaufsstraße. Und so weiter. Weißt du, jeden Tag ein paar Schritte weiter.“

      „Das hört sich ganz sinnvoll an. Vielleicht mache ich das mal. Danke für deinen Tipp.“

      „Aber nun musst du mir mal etwas erklären“, sagte Riva und grinste, „wie kann man sich denn am Meer nicht wohlfühlen?“

      „Es war einfach nur beklemmend. Ich bin nach meiner Ankunft an den Strand gegangen, da war es kühl und es waren nur wenige Menschen unterwegs. Aber schon im Restaurant war mir alles zu viel. Vor allem gab es nur Touristen, niemand hat sich für mich interessiert.“

      „Aber das wolltest du doch auch gar nicht.“

      „Ja, aber ich kam mir so unnütz und fehl am Platz vor. Vor allem, weil alle Menschen so verdammt glücklich waren. Wieso auch nicht, die hatten ja Urlaub. Ich eigentlich auch, aber ich wollte meine Flucht planen. Nun bin ich gescheitert. Ich kann hier nicht weg. Es geht nicht. Ich kann Michael nicht zurücklassen.“

      „Und das ist gut so. Wann warst du denn das letzte Mal auf dem Friedhof?“

      Nun senkte Bianca den Kopf. Sie schämte sich, denn sie war schon sehr lange nicht mehr zu Michael ans Grab gegangen. In der Nähe von seinem war das von Benedikt, dessen Familienangehörige im Testament gelesen hatten, dass er in Eltville begraben werden wollte, falls ihm mal etwas zustoßen würde. Es tat so weh und zerriss Bianca das Herz.

      „Am letzten Jahrestag.“

      „Das ist ja nicht lange her.“

      „Im letzten Jahr. Dieses Jahr konnte ich nicht. Ich schäme mich so.“

      Eine Träne tropfte auf Biancas Shirt und hinterließ einen dunklen Fleck.

      „Oh nein, du musst dich nicht schämen! Ich verstehe das sehr gut. Friedhöfe sind furchtbar. Aber vielleicht musst du hingehen und dich dem stellen.“

      Bianca wusste, dass Riva recht hatte. Sie musste lernen, mit dem Schmerz umzugehen.

      „Weißt du, wenn wir ein Kind gehabt hätten, dann wäre es sicher leichter. Ich hätte etwas gehabt, was zu ihm gehört. Jetzt ist auch dafür alles zu spät.“

      „Du kannst aber immer noch Kinder haben, allerdings bräuchtest du dazu einen Mann. Zumindest wäre das die preiswerte Variante. Und wenn du den Kerl dann noch lieben würdest, wäre alles perfekt. Du kannst dir natürlich auch einfach nur ein Kind machen lassen.“

      „Bah, nein, hör auf. Ich werde mich nie wieder verlieben und ein Kind lasse ich mir auch nicht machen. Was soll es denn mit so einer Mutter, wie ich eine bin, anfangen?“

      „Ich denke, du wärst eine tolle Mutter. Mit deinem besonderen Gespür würdest du immer wissen, was gut für dein Kind ist.“

      Bianca musste lachen. Riva war manchmal so naiv, dass es schon lustig war, aber ihr war nicht nach Lachen zumute.

      „Ich werde morgen an den Rhein gehen. Das ist schon mal ein Anfang.“

      4

      Ella hatte die Tür zugeknallt und Ferdinand saß kopfschüttelnd vor dem Computer. Der Staatsanwalt war dagewesen und hatte nach Ergebnissen gefragt.

      „Wer ist die Tote? Wann ist sie gestorben? Woran? Wer war es?“, waren seine drängenden Fragen, die er in gewohnt überheblicher Art ausgesprochen hatte.


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