Mozart. Karl Storck
die Erziehertätigkeit sehr leicht. Bei der innigen Liebe und der nicht auf Furcht, sondern nur auf Vertrauen beruhenden Verehrung, die er für den Vater hegte, fügte er sich willig allen Anordnungen desselben. Dann war der Knabe ja von der Natur so sehr beglückt, er war so ganz Künstlernatur, daß ihm das Treiben der Menschen und der Welt keinen starken Eindruck hinterließ. Die Ehrenbezeugungen und Schmeicheleien, die ihm im Übermaß zuteil wurden, scheinen gar keinen Eindruck auf ihn gemacht zu haben. Er bleibt bei allem ein richtiges Kind und manchmal ein rechter Kindskopf.
Mit der italienischen Reise setzen die Briefe Wolfgang Mozarts ein. Sie sind zumeist an die Schwester gerichtet und bezeugen nicht nur die innige Liebe zu ihr und zur Mutter, sondern auch die rechte Freude an kindischem Getue. Die Natur hatte ihm auch kluge Augen gegeben. Wenn er zeitlebens nicht gelernt hat, die Welt und die Menschen so zu nehmen, daß er seinen Nutzen dabei fand, so lag das keineswegs an der Unfähigkeit, Menschen zu beobachten. Er hatte vielmehr ein sehr scharfes Auge für das Charakteristische im Tun und Lassen eines jeden und einen ausgezeichneten Blick für alle Schwäche und innere Hohlheit. Die Art, wie er z.B. die italienischen Sangesgrößen schildert, ist voll köstlichen Humors und dabei von höchster Schlagfertigkeit und Deutlichkeit. Gerade diese Mozart eigene Spottlust, sein Mutterwitz haben ihn davor geschützt, daß er in die Lächerlichkeiten der erstarrten italienischen Oper verfiel. Jetzt als Knabe hat er zwar die Operntexte, die man ihm gab, genommen, wie sie waren; aber noch in sehr jungen Jünglingsjahren hat er nachher einen Blick für die künstlerische Wahrhaftigkeit, für die Situation auf der Bühne bewährt, und hat die ihm dargebotenen Dichtungen so scharf nach dieser Richtung hin beurteilt, wie kein einziger der berühmten Vertreter der italienischen opera seria.
Es ist ja ganz sicher, daß diese großen Reisen, das häufige öffentliche Auftreten und nachher die zahlreichen Kompositionen auch eine körperliche Arbeitsleistung bedingten, die über das Alter und die Kräfte des nicht kräftigen Knaben hinausgingen. In seinen Briefen sagt er so oft, wie schläfrig er sei, Italien sei ein Schlafland; später muß er so oft mitteilen, daß ihm die Finger weh tun vom Notenschreiben. Aber es wäre unrecht, wollte man daraus dem Vater auch nur den geringsten Vorwurf machen. Ebenso wie es allzu äußerlich ist, Mozarts frühen Tod etwa mit einer Überanstrengung in der Kindheit in Zusammenhang zu bringen. Es ist ganz sicher, daß die genialen Kräfte des Kindes in ihrer Betätigung nicht zu hemmen waren. Eine Erziehung, die weniger klug und sorgfältig gewesen wäre, hätte sicher die schöne, harmonische Entwicklung dieser Kräfte beeinträchtigt, sie hätte aber niemals das Schalten derselben behindert, es wäre durch Zurückhalten und Ablenken von dem großen Ziel höchstens ein unnützes Verwenden der Kraft, eine Vergeudung entstanden; so ist es erreicht worden, daß die künstlerische Entwicklung Mozarts die natürlichste und ungestörteste und harmonischste ist, von der die Kunstgeschichte überhaupt zu berichten hat. Es gibt hier keinen Riß, ein Steinchen fügt sich an das andere, nichts ist gewaltsam, alles scheint von selbst zu kommen. Es ist ferner durch diese wundervolle Art der Erziehung erreicht, daß alles, was von außen an den Knaben herantrat, auf seine künstlerische Entwicklung keinen störenden Einfluß ausübte.
Es gibt vielleicht in der ganzen Kunstgeschichte kein zweites Beispiel, daß man einem Menschen gegenüber so stark das Gefühl des Nebeneinanders von Seele und Körper hat, wie bei Mozart. Ja noch weiter, ein Nebeneinander des künstlerischen und des mehr verstandesmäßig geistigen Lebens. Es hat ja gerade auf musikalischem Gebiet oftmals Künstler gegeben, deren geistige Fähigkeiten recht beschränkt waren. Für eine bestimmte Sängergattung ist das Beiwort »dumm« fast zum ständigen Begleitwort geworden. Gewiß bezieht sich dieses Mißverhältnis zwischen geistiger und künstlerischer Befähigung zumeist auf reproduzierende Künstler; aber auch den Komponisten kann man vielfach den Vorwurf machen, daß sie für alles andere geistige Leben außer ihrer Kunst teilnahmslos waren. Diese Teilnahmlosigkeit ist allerdings noch lange keine Dummheit und erklärt sich beim Musiker leichter als bei anderen Künstlern, weil diese Kunst das gesamte Nervensystem, das ganze Gefühlsleben in außerordentlichem Maße in Anspruch nimmt, daneben aber auch eine hohe handwerkliche Geschicklichkeit verlangt, beim Komponisten überdies auch ein beträchtliches Wissen in der Beherrschung der Theorie voraussetzt.
Mozarts geistige Interessen waren nun keineswegs einseitig auf Musik gerichtet. Er war später, wenn auch nicht ein studierter, so doch ein allseitig gebildeter Mann, der an allen Fragen, die ihm das Leben entgegenbrachte, lebhaften Anteil nahm. Er war auch keineswegs durch seine Kunst von der Welt abgeschlossen. Es ist nichts von verrückter Genialität an ihm; er ist zeitlebens ein heiterer Gesellschafter gewesen und hat sich überall schon durch seine gesellschaftlichen und rein menschlichen Eigenschaften beliebt gemacht. Man hat so das Gefühl, und die Worte seines Schwagers Lange, die wir früher zitierten, bestätigen es, daß er absichtlich sein künstlerisches Leben vor der Welt verschloß, daß es ihm also auch gelang, diese Tätigkeit zu verheimlichen. Nun stehen wir aber bei Mozart einer Fülle von Werken gegenüber, deren rein technische und handwerkliche Niederschrift fast die Arbeit eines sehr fleißigen Kopisten darstellt. Es ist an dieser Erscheinung eben alles wunderbar. Und das Wunderbarste bleibt zweifellos, um auf unseren Ausgangspunkt zurückzukommen, die Tatsache, daß seine unvergleichliche künstlerische Frühreife, seine sonst nie wiederkehrende Produktivität an sich betrachtet ganz natürlich wirkten. Das einzige, was einen bei alledem kopfscheu machen könnte, ist der frühe Tod Mozarts. Wenn man aber sein ganzes Leben, nicht nur hinsichtlich des künstlerischen Schaffens, sondern auch als Erleben, nicht nach der Länge, sondern nach der Fülle mißt, so hat er viel gelebt. Es würde ja auch den einfachsten physiologischen Grundbegriffen widersprechen, daß eine so durch und durch gesunde und harmonische Kunst aus einem in seiner natürlichen Entwicklung gestörten oder verkümmerten Gesamtwesen entsprossen wäre. Mit allen diesen Ausführungen bestrebe ich mich keineswegs, die Erscheinung Mozarts restlos zu erklären – Wunder darf man überhaupt nicht erklären, sondern muß man glauben –, ich will damit nur der Auffassung entgegentreten, als stehe Morzarts kurzes Leben in geradem Verhältnis mit seiner Kunstentwicklung.
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Am 12. Dezember 1769 verließ der Vater mit seinem nunmehr fast vierzehnjährigen Sohne Salzburg. Mutter und Tochter blieben dieses Mal zu Hause. Die Berichte des Vaters, die sich zum großen Teil erhalten haben und im Mozartmuseum aufbewahrt werden, geben die beste Schilderung der Reiseerlebnisse. Die Beziehungen zwischen dem österreichischen Adel, dem Mozart von Wien aus ja bereits gut bekannt war, und den vornehmsten Kreisen Italiens waren so innige, daß sie auf eine gute Aufnahme rechnen durften. Immerhin, daß diese so warmherzig und begeistert sein würde, konnten sie gerade nach den letzten, weniger günstigen Erfahrungen in Wien doch nicht erwarten. Hatten sie in Innsbruck in der vornehmen Gesellschaft einen großen Erfolg gehabt, so äußerte sich bereits in Roveredo die leidenschaftliche Teilnahme des ganzen Volkes an diesem musikalischen Ereignis. Wolfgang hatte zuerst vor dem Adel im Hause des Barons Todeschi ein Konzert veranstaltet; es hatte sich dann das Gerücht verbreitet, daß er tags darauf in der Hauptkirche die Orgel spielen würde, und da war die Kirche so angefüllt, daß zwei starke Männer ihm einen Weg auf den Chor bahnen mußten, wo sie dann wieder eine Viertelstunde brauchten, um an die Orgel zu kommen. Noch ärger war der Andrang in Verona. Hier war zuvor in zahlreichen Privatkonzerten Wolfgang auch bereits als Komponist stark hervorgetreten. Die Zeitungen rühmten und zahlreiche Gedichte priesen das Wundergenie.
Die nächste Station war Mantua. Das Programm des Konzerts, das er am 16. Januar hier in der Philharmonischen Gesellschaft gab, ist erhalten und bezeugt, welch starke Leistungen Mozart bei diesen Gelegenheiten bot. Unter den 14 Nummern des Programms ist Wolfgang an 9 beteiligt gewesen. Eine Symphonie seiner Komposition eröffnete und beschloß das Konzert. Die meisten übrigen Nummern stellten sein wunderbares Improvisationstalent auf die Probe, wobei ihm die Themen zu Sonaten und Fugen, erst während des Konzerts gegeben wurden. Dabei bot sich ihm die Gelegenheit, als Klavierspieler, Violinist und Sänger aufzutreten. Nach der Art dieser Leistungen begreifen wir es, daß er alsbald als ein »Wunderwerk der Natur gepriesen« wurde, das geboren worden sei, um die erfahrensten Meister der Kunst zu beschämen. Wir wollen bedenken, daß diese Improvisationen nicht nur eine außerordentliche Produktionskraft, sondern vor allem auch eine volle Beherrschung der musikalischen Formen voraussetzten, also nicht nur das Angeborene, sondern auch das Erlernte.
Noch im Januar gelangten sie nach Mailand, wo der erste längere