Mozart. Karl Storck
später im günstigen Falle tüchtige Durchschnittsmusiker geworden sind.
Endlich Ende November 1766 traf die Familie Mozart nach fast 3½ jähriger Abwesenheit wieder in Salzburg ein. Vater Mozart hatte alle Ursache, mit dem Erfolg der Reise zufrieden zu sein. Er brachte einen nicht unbeträchtlichen Gewinn nach Hause. Die Ehrenbezeigungen, die man seinen Kindern erwiesen, hätten auch den verwöhntesten erwachsenen Virtuosen vollauf zufriedenstellen müssen; am meisten aber wird sich der brave Vater darüber gefreut haben, daß er seine Kinder trotz der mehrfachen Krankheiten unterwegs gesund an Körper und Seele zurückbrachte. Der unverdorbene und echt kindlich gebliebene Sinn Wolfgangs betätigte sich in den heimatlichen Mauern wieder in der altgewohnten Weise. Er war eben kein Wunderkind im gewöhnlichen Sinne des Wortes, das die Frühreife des Geistes mit Blasiertheit büßt, sondern schlechthin ein Wunder.
3. Heimatliches Intermezzo
Kurz vor der Heimkehr hatte der Vater an Freund Hagenauer geschrieben: »Es kommt darauf an, daß ich zu Hause eine Existenz habe, die besonders für meine Kinder zweckgemäß ist. Gott (der für mich bösen Menschen allzu gütige Gott) hat meinen Kindern solche Talente gegeben, die, ohne der Schuldigkeit des Vaters zu denken, mich reizen würden, alles der guten Erziehung derselben aufzuopfern. Jeder Augenblick, den ich verliere, ist auf ewig verloren, und wenn ich jemals gewußt habe, wie kostbar die Zeit für die Jugend ist, so weiß ich es jetzt. Es ist Ihnen bekannt, daß meine Kinder zur Arbeit gewöhnt sind: sollten Sie aus Entschuldigung, daß eins oder das andere z. B. in der Wohnung und ihrer Gelegenheit sie verhindert, sich an müßige Stunden gewöhnen, so würde mein ganzes Gebäude über den Haufen fallen. Die Gewohnheit ist ein eisern Pfad (Hemd), und Sie wissen auch selbst, wieviel mein Wolfgang noch zu lernen hat. Allein, wer weiß, was man in Salzburg mit uns vor hat! Vielleicht begegnet man uns so, daß wir ganz gern unsere Wandelbündel über den Rücken nehmen. Wenigstens bringe ich dem Vaterlande, wenn Gott will, die Kinder wieder. Will man sie nicht, so habe ich keine Schuld. Doch wird man sie nicht umsonst haben.«
Es war nicht nur die Lebensklugheit, die Leopold Mozart verbot, in Salzburg die Gelegenheit, für seine Kinder etwas zu erwerben, ungenützt vorübergehen zu lassen, sondern wohl noch mehr die Überzeugung, daß in den kleinen Verhältnissen daselbst der rechte Boden für die künstlerische Entwicklung nicht vorhanden war. Dagegen konnte ihm ebensowenig verborgen bleiben, daß ein zeitweiliges Ausruhen in gefestigter Häuslichkeit für das Gedeihen der ihm anvertrauten Kinder – so faßte er ja seine Lebensaufgabe auf – nur von günstigem Einfluß sein konnte. Allerdings gehörte dazu, daß die Lebensverhältnisse daheim erträgliche waren, nicht nur in pekuniärer Hinsicht, sondern auch in den Anforderungen des Amts und in der ganzen Tonart. Gerade daß in dieser letzteren Hinsicht berechtigte Wünsche nicht erfüllt werden würden, daß es da viel zu Reibereien und peinlichen Verhältnissen kommen würde, konnte dem klugen Vater nicht verborgen bleiben. Nicht umsonst hatte er von seinen Reisen oft betont, daß er nur mit vornehmen und gebildeten Leuten zu tun habe, und er hatte da doch auch eine gesellschaftliche Behandlung erfahren, die weit von der Art abstach, wie sie in der kleinen Residenz daheim einem abhängigen Manne zuteil wurde. Er mußte vorausahnen, daß man nun zu Hause den weitgereisten Mann, der so viele Triumphe in der Fremde gefeiert hatte, in kleinlichem Neid erst recht seine Abhängigkeit würde fühlen lassen. Ebenso konnte er darauf gefaßt sein, bei der Bürgerschaft alles eher als verständnisvolle oder gar freudige Teilnahme für seinen Wundersohn zu finden. Wie sehr sich in späterer Zeit die Befürchtungen Leopold Mozarts als berechtigt erwiesen, werden wir noch hinlänglich erfahren. Es ist dahin gekommen, daß Wolfgang, der auf dieser Reise noch manchmal aus Heimweh nach der Vaterstadt in Tränen ausgebrochen war, keinen Ort auf der Welt so ingrimmig haßte, wie gerade das schöne Salzburg. Jetzt war es aber noch weit davon. Der Knabe war ja noch ein glückliches Kind, und der Vater war klug und geschickt genug, alles von ihm fernzuhalten, was ihm vorzeitig einen Blick in das gemeine Getriebe der Welt eröffnet hätte.
Beinahe ein ganzes Jahr haben sie nun ruhig in Salzburg verbracht. Des Vaters Lehrprogramm war, unter Beibehaltung der hohen Fähigkeiten im Technischen und Mechanischen, die gründliche Ausbildung in der Kompositionslehre. Er hatte des alten Fux » Gradus ad pernassum« gründlich durchstudiert und unterrichtete seinen Sohn nach diesem großen Vorbilde in den Regeln des strengen Satzes. Zunächst wollte man nun auch daheim einen Beweis davon haben, daß der kleine Wolferl, der als Klavierspieler weggegangen, inzwischen ein Komponist geworden sei. So wurde ihm für den Jahrestag der Inthronisation des Erzbischofs (21. Dez. 1766) die »Licenza« in Auftrag gegeben. Danach ließ ihn der Erzbischof eine Woche bei sich einschließen, ohne daß er jemand sehen durfte, und in dieser Abgeschlossenheit mußte er ein Oratorium komponieren. Das für die Fastenzeit 1767 bestimmte Oratorium, zu dem der Erzbischof selber den Text gegeben hatte, ist in Salzburg im Druck erschienen unter dem Titel »Die Schuldigkeit des ersten und fürnehmsten Gebotes, Mark. 12, V. 30. Du sollst den Herrn deinen Gott lieben von deinem ganzen Herzen, von deiner ganzen Seele, von deinem ganzen Gemüt und aus allen deinen Kräften. In dreien Teilen zur Erwägung vorgestellt von J. A. W.« (wahrscheinlich Jak. Ant. Wimmer, nicht Joh. Ad. Wieland, wie Köchel annahm). Wolfgang fiel der erste Teil zu, die beiden andern wurden von Michael Haydn und dem Organisten Adlgasser komponiert. Der Knabe bestand mit allen Ehren neben den beiden alterprobten Komponisten. Nur die Schrift der 208 Seiten fassenden, reichlich mit Tintenklexen gezierten Partitur verrät den Knaben. Die Formen des italienischen Oratoriums, in denen das Werk gehalten ist, sind dagegen mit vollkommener Sicherheit gehandhabt. Ja man kann sogar ein bewußtes Streben nach Charakterisierung des Wortes als über die Gewohnheit hinausgehend bezeichnen. Daß die Musik an sich keine Originalität zeigt, ist ganz selbstverständlich. Aber eine Stelle, eine Tenorarie, »Manches Übel will zuweilen«, ist doch schon da, die in der schönen Führung der innigen Melodie den späteren Mozart vorahnen läßt.
Außer diesem Oratorium hat der zehnjährige Mozart vom Dezember 1766 bis Mai 1767 noch zwei größere Werke geschaffen, darunter die lateinische Schuloper » Apollo et Hyacintus«, wozu er sich auch die Grundzüge des Lateinischen angeeignet hatte. Man weiß nicht, ob man die wunderbare produktive Veranlagung oder die Arbeitsleistung des Kindes mehr bewundern soll.
Im Sommer 1767 gewann dann die Absicht einer neuen Reise nach Wien greifbare Gestalt, und der Knabe schuf sich dafür vier Klavierkonzerte. Auch diese Kompositionen erwecken an sich keine weitere Teilnahme. Aber beachtenswert ist, daß der Knabe, trotzdem er mit diesen Werken als Virtuose glänzen sollte, alles nur Virtuosenhafte, alles auf Kunststück oder äußerliches Paradieren Zielende vermied, dagegen den Nachdruck auf die gesangreiche Melodie verlegte, daß er ferner das Orchester nicht als bloße Begleitungsmaschine ansah, sondern danach strebte, es künstlerisch in den Gesamteindruck hineinzuziehen. In diesen Zügen verkündet sich der echte, große Mozart. Anfang September 1767 reiste die ganze Familie Mozart nach Wien. Die Vermählungsfeierlichkeiten einer Erzherzogin mit dem König von Neapel berechtigten zu der Hoffnung, daß der Knabe Gelegenheit haben würde, von seinen glänzenden Fortschritten Zeugnis abzulegen. Das ganze Unternehmen war aber nicht vom Glück begünstigt. In Wien, auch am kaiserlichen Hof, herrschten die Blattern, und obwohl der Vater vor denselben mit seinen Kindern nach Olmütz flüchtete, wurden auch sie davon ergriffen. Der kleine Wolfgang hatte sie so heftig, daß er neun Tage blind dalag. Beim Domdechanten von Olmütz, einem Grafen von Podstatzky, hatte die ganze Familie Aufnahme gefunden. Auch die mehreren Wochen, während derer Wolfgang nach der Genesung seine Augen schonen mußte, brachten sie in diesem gastfreundlichen Hause zu. Die Mußezeit wurde von dem Knaben benutzt, um fechten zu lernen. Auch die Kartenkunststückchen, die ihm zur Unterhaltung von einem erzbischöflichen Kaplan vorgemacht wurden, eignete er sich schnell an. Mozart hat zeitlebens eine große Vorliebe für leichte körperliche und geistige Unterhaltung gehegt. Er hat später z. B. dem Billardspiel mit größtem Eifer gehuldigt. Ebenso war er in der Gesellschaft wie auch im Briefwechsel zur Spaßmacherei immer aufgelegt. Die kindischen Wortverdrehungen und Wortspielereien, die beim Knaben als ganz natürlich erscheinen mögen, verblüffen beim Mann. Alles das erscheint geradezu als Notwehr des an die realen Bedingungen des Lebens, an die Forderungen des Körpers gebundenen Menschen wider die Übermacht der in ihm wirkenden göttlichen Schöpferkraft. Jeder, der einmal wirklich mit Anspannung aller geistigen Kräfte gearbeitet hat, kennt die erlösende Wirkung von Kartenspielen, die freilich