Mozart. Karl Storck
war der Hof der natürliche Mittelpunkt aller gesellschaftlichen Veranstaltungen, und als solche erschien dann auch das Konzert, wie im Grunde ja auch jede Opernaufführung. Wo kein Hof war, schlossen sich die Patrizierkreise und die wohlhabendere Kaufmannschaft zu einer Gesellschaft zusammen. Das Honorar des Künstlers hatte in beiden Fällen den für unser heutiges Gefühl recht unangenehmen Beigeschmack des Geschenkes. Den Ausländern gegenüber mögen sich unsere Fürsten und städtischen Gesellschaften viel nobler bewiesen haben. In Mozarts Biographie sind es nur ganz vereinzelte Fälle, bei denen die nachherige Belohnung nicht hinter den meist recht bescheiden gehaltenen Erwartungen zurückblieb. Daß außerdem sehr oft an Stelle des Geldes Schmuckstücke gegeben wurden, war für den Künstler auch dann ein Schaden, wenn diese Schmuckstücke an sich einen höheren Wert darstellten. Das Ergebnis war also im ganzen immer ein recht ungünstiges. Großen Gewinn ernteten eigentlich in dieser Zeit nur Sänger und Sängerinnen, obwohl der Höhepunkt ihrer Vorherrschaft bereits überschritten war. Die italienische Oper war eben eine Gesangsoper, und die Geschichte der italienischen Musik ist viel mehr eine Geschichte der Gesangskunst und des Gesangsvirtuosentums als eine solche der Komposition. Die Sänger leiteten im Grunde den Komponisten. Auch die selbständigsten Naturen unter diesen strebten vor allem danach, ihren Sängern es recht zu machen. Sie rechneten mit ganz bestimmten Gesangsgrößen, und ihr Bestreben war, diesen ihre Arien auf den Leib zu schreiben.
Alles das setzt natürlich ganz andere Verhältnisse voraus, als wir sie heute kennen. Man muß diese aber berücksichtigen, um auch für die Komposition einen Maßstab zu gewinnen. Der Komponist arbeitete für ein festes, von vornherein vereinbartes Honorar die Oper für eine bestimmte Stadt. Eine Weiterverbreitung derselben, die nicht allzu häufig war, kam in der Regel nur dem Kopisten zugute, und es findet sich in Mozarts Briefen die Stelle, daß dieser sich oft viel besser stand als der Komponist. Bei den Sängern war das eigentlich selbstverständlich. Übrigens ist es ja heute in unseren Opernhäusern auch noch so, ja fast noch schlimmer, wenigstens für den Fall, daß ein Werk keinen Erfolg hat. Nur so ist es zu erklären, daß der Vater Leopold Mozart auch in dieser Zeit, als seinem Sohne allerorten die schönsten Erfolge bereitet wurden, für den kaum den Knabenschuhen Entwachsenen bereits überall nach einer festen, sicheren Stelle suchte. Nur aus diesen allgemeinen Musikverhältnissen heraus erklärt es sich auch, daß es dem doch sehr sparsamen und geschäftskundigen Vater nicht gelang, trotz der außerordentlichen Erfolge seines Sohnes solche Ersparnisse zu machen, daß für einen dauernd günstigen Vermögensstand der Grund gelegt worden wäre. In pekuniärer Hinsicht brachte allerdings gerade diese erste Reise verhältnismäßig den größten Gewinn.
Wiederum sind wir durch die Briefe Leopold Mozarts an seinen Freund Hagenauer, zu denen noch die Erinnerungen der Schwester und anderer und endlich auch die kurzen Reisenotizen des Vaters kommen, instand gesetzt, den Verlauf der Reise mit einer Genauigkeit zu verfolgen, wie sie sonst in dieser Zeit der wenig entwickelten Presse bei keinem zweiten Künstler zu erreichen ist.
Am 9. Juli 1763 begab sich die ganze Familie auf die Reise. Schon in Wasserburg gab's einen Wagenunfall, der die Reisenden zu einem eintägigen Aufenthalt zwang. »Das Neuste ist,« schreibt der Vater, »daß um uns zu unterhalten wir auf die Orgel gegangen und ich dem Wolferl das Pedal erklärt habe, davon er dann gleich stante pede Probe abgeleget, den Schemel hinweggerückt und stehend präambuliert und das Pedalband getreten, und zwar so, als wenn er schon viele Monate geübet hätte. Alles geriet in Erstaunen, und es ist eine neue Gnade Gottes, die mancher nach vieler Mühe erst erhält.« Es wirkt in der Tat als eine ganz besondere Gnade, der sich Mozart erfreute, daß ihm nicht nur die geistige Erkenntnis aller musikalischen Dinge so unbegreiflich leicht fiel, sondern daß ihm auch die Umsetzung dieser Erkenntnis ins Technische, ins rein Körperliche, denn auf das läuft doch dieser Pedalgebrauch schließlich hinaus, ohne jegliche Übung gelang. Mozart hat die Orgel dauernd geliebt. Noch 1777, als er zum erstenmal allein eine große Kunstreise unternahm, hat er dem berühmten Klavierfabrikanten Stein in Augsburg auf dessen Einwendung, daß die Orgel ein Instrument sei, »wo keine Douceur, keine Expression, kein Piano noch Forte stattfindet, sondern immer gleich fortgeht«, erklärt: »Das hat alles nichts zu bedeuten, die Orgel ist doch in meinen Augen und Ohren der König aller Instrumente.« Allerdings fühlte er, im Gegensatz zu manchem berühmten Orgelvirtuosen seiner Zeit, daß das Orgelspiel auch einen besonderen Stil erheische. Jedenfalls ist er von den Zeitgenossen als Orgelspieler oft noch mehr bewundert worden, denn als Klavierspieler.
In München und Augsburg hatten die Reisenden die gewohnten Erfolge. Dagegen gelang es ihnen in Ludwigsburg nicht, vor Herzog Karl zu Gehör zu kommen. Allerdings war wohl kaum der Italiener Iomelli, einer der bedeutendsten Meister der italienischen Oper, daran schuld, wie der Vater Mozart glauben wollte. Denn eine so kleinliche Mißgunst würde mit dem großzügigen Charakter dieses Mannes, der sich vor seinen musikalischen Volksgenossen nicht nur durch seine ganze Lebensführung, sondern auch durch wahre Hochschätzung der musikalischen Anlagen des deutschen Volkes auszeichnete, nicht übereinstimmen.
Schwetzingen, Heidelberg, Mainz brachten dann wieder die gewünschten Erfolge. Von hier aus führte sie ein Ausflug nach Frankfurt, wo im ganzen vier Konzerte stattfanden, in deren einem auch Goethe als Vierzehnjähriger den um sieben Jahre jüngeren kleinen Wundermann hörte. Er erinnerte sich noch Eckermann gegenüber deutlich des kleinen Mannes in seiner Frisur und Degen. Um einen Begriff davon zu geben, was dem Publikum in solchen Konzerten geboten wurde, sei die uns erhaltene Anzeige des Konzerts vom 30. August 1763 hier mitgeteilt.
»Die allgemeine Bewunderung, welche die noch niemals in solchem Grade weder gesehene noch gehörte Geschicklichkeit der 2 Kinder des Hochfürstl. Salzburgischen Kapellmeisters Hrn. Leopold Mozart in den Gemütern aller Zuhörer erweckt, hat die bereits dreimalige Wiederholung des nur für einmal angesetzten Konzerts nach sich gezogen. Ja, diese allgemeine Bewunderung und das Anverlangen verschiedener großer Kenner und Liebhaber ist die Ursache, daß heute Dienstag den 30. August in dem Scharsischen Saal auf dem Liebfrauenberge abends um 6 Uhr aber ganz gewiß das letzte Konzert sein wird; wobei das Mägdlein, welches im zwölften, und der Knab', der im siebenten Jahr ist, nicht nur Konzerten auf dem Klavessin oder Flügel, und zwar ersteres die schwersten Stücke der größten Meister spielen wird, sondern der Knab' wird auch ein Konzert auf der Violine spielen, bei Sinfonien mit dem Klavier akkompagnieren, das Manuel oder die Tastatur des Klaviers mit einem Tuch gänzlich verdecken, und auf dem Tuche so gut spielen, als ob er die Klaviatur vor Augen hätte; er wird ferner in der Entfernung alle Töne, die man einzeln oder in Akkorden auf dem Klavier oder auf allen nur denkbaren Instrumenten, Glocken, Gläsern und Uhren u. anzugeben imstande ist, genauest benennen. Letzlich wird er nicht nur auf dem Flügel, sondern auch auf einer Orgel (solange man zuhören will, und aus allen, auch den schwersten Tönen, die man ihm benennen kann) vom Kopf phantasieren, um zu zeigen, daß er auch die Art, die Orgel zu spielen versteht, die von der Art, den Flügel zu spielen, ganz unterschieden ist.«
Über Koblenz, Bonn und Köln führte der Weg nach Aachen, Hier wollte Friedrichs des Großen Schwester Amalie Mozart bereden, mit seinen Kindern nach Berlin zu gehen, aber ohne Erfolg. »Sie hat kein Geld«, schreibt Vater Mozart; »wenn die Küsse, die sie meinen Kindern, zumal dem Meister Wolfgang gegeben hat, Louisdor wären, so hätten wir froh sein können, aber weder der Wirt noch die Postmeister lassen sich mit Küssen abfertigen«.
Nach längerem Aufenthalt in Brüssel langten sie endlich am 18. November 1763 in Paris an und fanden hier in des bayrischen Gesandten Grafen Eyck Hause freundlichste Aufnahme. Als geschäftigster und erfolgreichster Freund bewährte sich Friedrich Melchior Grimm (1723–1807), der als »Baron Grimm« aus der Geschichte der französischen Enzyklopädisten auf literarischem und ganz besonders auf musikalischem Gebiete durch seine leidenschaftliche Parteinahme für die italienische Musik gegenüber der französischen bekannt ist. Ein geborener Regensburger, lebte er seit 1749 in Paris und hatte es verstanden, seine Stellung als Sekretär des Herzogs von Orleans zu sehr einflußreichen Beziehungen zu allen europäischen Fürstenhöfen auszunutzen. Wir werden erfahren, daß Wolfgang vierzehn Jahre später, als er allein in Paris sich durchzusetzen versuchte, sich in seinen Erwartungen, die er auf den Freund des Vaters gesetzt hatte, stark enttäuscht sah; jetzt erwies er sich als der wichtigste Förderer seiner Landsleute. Soviel Empfehlungsbriefe Mozarts von gesellschaftlich hervorragenden Leuten mitgebracht hatten, sie waren nach Leopolds Worten alle